In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Zaugg, welche Ansprüche wir als moderne Gesellschaft an unsere Arbeit haben sollten.
Lieber Ludwig
Du sagst, je mehr Freizeit, desto mehr Stress. Find ich sehr steil – beziehungsweise aus einer recht privilegierten Position geschrieben. Zuerst zur Arbeit und zur Frage, welche Ansprüche wir an sie haben. In erster Linie soll sie genug Geld für ein sorgenfreies Leben einbringen. Weiter sollte sie uns körperlich nicht beeinträchtigen. Und uns auch psychisch unversehrt lassen. Dann sollte sie Freude bereiten, im besten Fall kann man einen Sinn darin erkennen.
Alles sehr grundsätzliche Dinge, die aber längst nicht für alle Menschen gegeben sind. Viele haben es auch nur eingeschränkt in der Hand, daran etwas zu ändern. Etwa weil sie von Einkommen sehr unmittelbar abhängig sind, weil ihre Branche in einem schwierigen Zustand ist, weil sie keine Möglichkeiten haben, sich weiterzubilden, um nur einige zu nennen. Dazu kommt, dass manche Menschen Aufgaben haben, die zwar nicht bezahlt sind, mit Freizeit aber auch nichts zu tun haben. Haushalt erledigen, Kochen, einkaufen, Wäsche machen. Oder sich um jemanden kümmern, um Kinder oder um ältere Menschen zum Beispiel. Freizeit ist für viele Menschen absolut notwendig.
Und nun zum zweiten Punkt, zu uns beiden. Ich nehme mir hier raus, für uns beide zu sprechen. Schliesslich sind unsere Jobs recht ähnlich. Wir beide können leicht sagen, wir brauchen keine Freizeit. Wir beide haben ja quasi unsere Hobbys, oder zumindest unsere Interessen, zum Beruf gemacht. Dinge, die andere Menschen als Freizeit deklarieren, gehören für uns zur Arbeitszeit. Bücher lesen, Ausstellungen besuchen. Ich gehe sogar so weit, dass ich Müssiggang zur Arbeit zähle.
Weil meine Arbeit in erster Linie daraus besteht Ideen zu haben. Und eine gute Idee kommt nicht, wenn man morgens aus dem Bett federt und acht Stunden aufs leere Blatt schaut. Ich muss mir ein interessantes Umfeld schaffen. Weil mir niemand sagt was ich zu tun habe. Meistens jedenfalls. Das ist die schöne Seite. Weniger schön ist, dass ich halt deshalb auch niemand anderen verantwortlich machen kann wenn es mal nicht läuft. Und dass ich deshalb auch immer irgendwie arbeite. Und auch sonst noch ein paar Sachen. Jede Arbeit hat ihre Schattenseiten.
Aber ich will nicht den Sauertopf geben. Sondern mit einem weiteren Vorteil abschliessen, den unsere Berufe haben. Wenn wir wollten, könnten wir uns entschliessen ein Tattoo zu machen. Sogar im Gesicht. Ich eine Schlange am Hals, und du einen kleinen Schmetterling unterm Auge? Ich habe beobachtet, dass deine Generation ein komisches Verhältnis zu Tätowierungen hat. Dass sie Tattoos an Kompetenz koppelt. Beziehungsweise das Gegenteil. Dass sie an der Kompetenz zweifelt.
Wie hältst du das? Fühlst du dich in der Bank kompetent beraten, wenn die Beraterin ein Piercing im Gesicht und Tattoos an den Händen hat? Oder bist du am Ende selbst tätowiert?
Samantha
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.