In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche sinniert Hasler über eine Welt, in der immer mehr Leute das eigene Ego ins Zentrum stellen.
Liebe Samantha
Im Wettbewerb «nüchtern Denken» schlägst du mich verlässlich. Der Grill? Bringt nichts – ausser Plackerei. Klassischer Fetisch. Peng.
Wie du dann uns Alte da herausholst, ist klasse: Gegen den Fetisch Grill seien wir geeicht. Der Reiz, selber zu feuern, sei für uns stumpf, hätten wir doch noch erlebt, wie es war mit dem Einfeuern in Herd und Ofen; seither hätten wir die Nase voll von dieser Sorte «natürlich Leben».
Könnte sein. Feuerstelle oder Kochherd, wie du sagst, alles dazwischen ist affektiert. Also keine chromstahlglänzende Hightech-Outdoorküche. Wenn schon hinaus, dann nicht zum Barbecue, sondern richtig pfadimässig elementar, an den Waldrand, Feuerstelle präparieren, Spiesse schnitzen, Cervelat über die Glut. Mehr braucht es nicht. Vergessen, wer ich bin, Körper werden, versöhnt mit Natur, das Ich macht Urlaub. Bis einer «Gang rüef de Brune» anstimmt – und oben die Sterne erscheinen.
Die Sterne. Was sagst du zu den Bildern vom Weltraumteleskop James-Webb? Sensationelle Einblicke, Galaxien kurz nach dem Urknall, Sterne, die grad entstehen, oder explodieren. Mir ging es wie Thomas Zurbuchen, dem Nasa-Chefwissenschaftler: Ihm seien fast die Tränen gekommen. Ja, was denn sonst? Wer da nicht ergriffen wird, hat seine Menschenseele aus Versehen erhalten. Oder bin ich senil kosmosfromm? Der Tamedia-Redaktion war mehr zum Schäkern zumute, sie titelte: «Schau mir in die Augen, Universum!»
Mir? Ich fasse es bis heute nicht. MIR! Das Universum, der unermessliche Kosmos, das Milliarden Jahre alte All soll mir in die Augen schauen, mir Winzling, mir mickriger Eintagsfliege. Was für eine vertrackte Groteske: dass sich alles um mich drehen soll. Dass das Ego sich als Zentralfigur des Welttheaters aufspielt. Wie komplett fehlbesetzt es da ist, weiss es insgeheim selber. Um so markiger gibt es den Boss (harmlose Version: am Grill), in dauernder Angst, bei Kontrollverlust aufzufliegen.
Wir Alten sind hoffentlich gelassener. Auch weil wir nicht mehr viel zu verlieren haben, klar, wir sind demnächst eh nicht zu retten. Vor allem aber, weil wir besser eingestimmt sind ins kosmische Konzert. Als Kinder sangen wir am Abend «Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen am Himmel hell und klar … Verschon uns Gott mit Strafen und lasst uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.» So dachten wir vor dem Einschlafen nicht an nur uns, sondern an das grosse Ganze, den Himmel, die Sterne, den Schöpfergott, den kranken Nachbarn …
Kinderkram? «Geistige Einquartierung» nenne ich es heute. Dank James-Webb texten wir es neu, astrophysikalisch. Die Tonart bleibt dieselbe: Einübung ins Verbundensein mit dem Kosmos.
Ludwig
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.