«Jung & Alt»-Kolumne
Ich wähle Leute, die mehr vertreten als ihren Jahrgang

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 78, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Hasler, weshalb das Alter für ihn kein wichtiges Wahlargument ist.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
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Kaum Alte: Im letzten Zürcher Wahlkampf blickten vor allem junge Gesichter von den Plakaten.

Kaum Alte: Im letzten Zürcher Wahlkampf blickten vor allem junge Gesichter von den Plakaten.

Matthias Scharrer

Liebe Samantha

Wie bitte? Lauter alte Männer in Parlament und Regierungen? In welcher Prähistorie lebst du? Ich sehe überall erfreulich bunte Truppen am Regieren und Parlieren. Auch mit Jungen, die vom Politologieseminar direkt in Realpolitik wechseln (verwechseln). Alte Gesichter auf Wahlplakaten? Gott bewahre. So rar wie frische Ideen. Dafür üppig «Unverbrauchte». Also Schluss mit dem Geschimpfe über alte Männer, die aufstrebenden Jungen im Weg stehen. Der politische Betrieb ist auf Junge so begierig wie der wirtschaftliche auf Fachkräfte.

Es kann auch dir nicht entgangen sein: Letztes Jahr leitete eine auffallend junge Frau die Bundesversammlung, mit 35 Präsidentin des Nationalrates, das ist das Nonplusultra, was man hier werden kann, «höchste Schweizerin», die Krönung politischer Lebensläufe. Mit 35! Auf dem Höhepunkt! Dauert dir das immer noch zu lange? Ich bin eher umgekehrt besorgt: Was wird aus solch rasanten Performern danach, mit 45, 60? Alle können unmöglich in den Bundesrat wechseln.

Du siehst, ich bin anders gewickelt. Als Kinder hatten wir zu schweigen, wo Erwachsene redeten, egal was. In der Schule war der Lehrer unanfechtbar, unsere Meinung nicht gefragt. Im Beruf galten wir erst mal als Grünschnäbel; wie man es macht, zeigten uns die Älteren. Erst Klappe halten und lernen, hiess es, «Sporen abverdienen», «Lehrgeld bezahlen». War auch nicht das Gelbe vom Ei. Aber sollen Junge nun als Naturbegabungen durchgehen? Findet ihr euch schon gelungen, wie ihr angeliefert wurdet?

Also ich sehe die Jungen nicht als Fraktion der Grünschnäbel. Habe selber erlebt, wie reif sie urteilen – wo sie unmittelbar betroffen sind. Hatte mit einem Gymnasium zu tun, da fand der Rektor, die Qualität des Unterrichts könne doch am besten die unterrichtete Klasse selber einschätzen, also bat er regelmässig zur Aussprache im Klassenzimmer – und siehe da: Schülerinnen und Schüler beurteilten ihre Lehrpersonen mit sachlichem Ernst, auffällig fair, differenziert.

Aber eben, hier wissen die Jugendlichen, wovon sie sprechen. Und in der Politik? Muss man da speziell drauskommen? Sporen abverdienen? Wir halten (theoretisch) unser Milizsystem hoch: Politik soll kein Separatbetrieb für Politprofis sein. Politik machen wir selbst. Politik können wir alle – sofern wir im (beruflich-praktischen) Leben allerlei Erfahrung gemacht haben. Also eine Ahnung haben, wie die Welt läuft, wie Menschen ticken. Real. Erfahrung, nicht Studium. Im Idealfall: in der Politik lauter Leute mit Welterfahrung, aus sämtlichen Parzellen des Lebens, Alter nebensächlich.

Dies ergäbe ein anderes Abbild der Gesellschaft. Mit Leuten, die mehr vertreten als ihren Jahrgang.

Ludwig

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