In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche fragt Hasler, wieso
Liebe Samantha
Hast du gesehen? Madonna auf dem Weg zum Boxmatch in Brooklyn, in Adidas-Hosen. An ihrer Seite David Banda, ihr Lieblingssohn, gerade 16, gross gewachsen, ein Prachtkerl von Teenager – im roten Kleid von Gucci.
Kein Mensch würde fragen, ist das ein Bub oder was, der führt sich ja auf wie ein Mädchen. Er tritt auf wie ein Gott. Eine Göttin. Elegant wie ein Tier. Geschlecht belanglos.
Trotzdem: Ich will auf gar keinen Fall, dass Mädchen je aufhören, wie Mädchen zu sein. Auch wenn ich damit Geschlechterrollen fixiere: einzig, so ein kleines Mädchen in seinem Sommerglück. Es hat sich Blumen ins Haar geflochten, verspielt wie im Paradies, es muss gleich hüpfen vor Freude, es vergisst die Zeit, vergisst das Drumherum, vergisst sich selbst. Vollkommener kommt mir Menschenglück selten vor Augen.
Buben sind auch nicht ohne, klar. Leicht anders schon. Irgendwie abgebremster. So ganz vergessen sie sich nie, sie wollen etwas sein, wollen etwas zeigen. Kann sein, es steckt schon mehr Ich in ihnen drin, das hindert sie daran, sich dem Augenblick hinzugeben. Sie sehen sich gesehen. Ist jetzt arg schematisch. Aber ich weiss, wovon ich spreche.
Überdies habe ich zwei ältere Schwestern. Das Vergnügen, in ihrem Windschatten aufzuwachsen, war durchzogen. Beide waren perfekt. Konnten einfach alles. Im Garten, im Haus – in der Schule sowieso. In der vierten Klasse las uns der Lehrer genüsslich mustergültige Aufsätze vor, ich wusste nie, wollte er uns belehren oder beschämen, jedenfalls, vom wem stammten diese zeitlos vorbildlichen Klassiker? Von meinen Schwestern, aber klar.
Seither wundere ich mich nicht, wenn Frauen mir in manchem überlegen sind, das ohne Muskelkraft vorankommt. Es überraschte mich auch nicht, als Hirnforscher berichteten, bei Frauen sei das Corpus callosum auffällig dicker. Das ist der kleine Steg, der unsere Hirnhälften verbindet. Und ist der dicker, läuft halt wohl mehr hin und her, zwischen links und rechts, zwischen analytischen und intuitiven Kräften. Auch wenn dieses Hirnbild allzu simpel ist – Frauen switchen besser.
Nicht dass sie viel dafür können, ihre Vorgeschichten haben sie einfach besser präpariert dafür. Während unsereins geübt ist, in eindeutigen Lagen (Jagd und so) zu handeln, also mit Muskelkraft und Geradeausdenken zu punkten, sind Frauen erfahrener in eher chaotischen Situationen (mit so unberechenbaren Wesen wie Kindern). Ein prima Training fürs Improvisieren und kreative Arrangieren.
Leider lassen es viele beim Kreativen bewenden. Seit Jahren studieren an der ETH mehr Frauen als Männer Architektur. Auf dem Bau sieht man fast nur Männer. Schade, schade.
Müsste nicht sein, oder?
Ludwig
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.