«Jung & Alt»-Kolumne
Dienst nach Taube

In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche erklärt Zaugg, was wir von Tauben lernen können und was nicht.

Samantha Zaugg
Samantha Zaugg
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Haben keine grossen Ansprüche: Tauben auf den Strassen Berns.

Haben keine grossen Ansprüche: Tauben auf den Strassen Berns.

Keystone

Lieber Ludwig

Das waren wirklich andere Zeiten. Wie du, beziehungsweise Kollege Kurt Wüthrich zu euren Doktortiteln gekommen seid. Dass du deine Dissertation quasi beim Nachtessen verteidigt hattest. Ich dachte, solche Geschichten seien übertrieben. Die gebe es nur in so Boomer-Memes. Aber offenbar ist das ein Ding. Denn kürzlich ist mir noch was in der Art begegnet. Der Thurgauer Künstler Hans Bissegger habe sich einen Job bei Max Bill beschafft. Indem er ihm eine Zeichnung gezeigt hat.

Bill, schon damals renommierter Architekt und Künstler, die Zeichnung angeschaut und gesagt, es sei recht, er, der Bissegger könne am Montag anfangen. Heute ist das anders. Um zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, muss man sicher mal die richtigen Abschlüsse vorweisen können. Fremdsprachen meistens auch. Die Bewerbungsverfahren sind mehrstufig, oft gehört es dazu ein Assessment, eine Aufgabe, zu lösen. Ganz andere Stimmung.

Gleichzeitig lese ich aber auch, dass überall Personal fehlt. Egal in welcher Branche sei es Service, Informatik, Handwerk, Pflege oder bei den Lehrern. Ich halte fest, ich bin verwirrt und habe das Gefühl, es ist alles kompliziert geworden. Also Zeit für einen Schwank. Eine liebe Freundin beschäftigt sich derzeit beruflich mit Tauben. Sie hat erzählt, eine Taube macht noch keine Plage. Aber viele Tauben seien eine grosse Pest. Und aus einer, beziehungsweise zwei Tauben, würden sehr schnell sehr viele Tauben.

Das hat mit der Arbeitshaltung der Taube zu tun. Die Strassentaube hat nämlich eine sehr liederliche Einstellung zur Arbeit. Sie gibt sich mit dem absoluten Minimum zufrieden. Wenn sie ein Nest baut, um zu brüten, ist sie schon zufrieden, wenn das Ei nicht wegrollt. Ist diese Bedingung erfüllt, dann findet die Taube, doch, da hab ich einen richtig guten Job gemacht. Der Erfolg gibt ihr recht. Wir erinnern uns, sie vermehrt sich superschnell.

Was will ich damit sagen? Für manche Dinge muss man sich nicht mehr Beine ausreissen als nötig. Denn so hat man mehr Zeit für inspirierende Sachen. Für neue Ideen. Um es sich gut gehen zu lassen. Jetzt bleibt nur die Frage: Was macht eigentlich die Taube mit der zusätzlichen Freizeit? Geht sie Glace Essen? Macht sie ein Ausfährtlein im Cabriolet? Liest sie endlich mal den Ulysses von James Joyce?

Ich hab natürlich recherchiert. Und bin enttäuscht. Sobald die Jungen weniger Pflege brauchen, werden sie von den Eltern zurückgelassen. Die haben während des Brütens schon ein Zweitnest gebaut. So was geht eben, wenn man nicht so grosse Ansprüche hat, wir erinnern uns. Jedenfalls beginnen die Taubeneltern quasi parallel mit der neuen Brutfolge. Die Zeit, die Strassentauben durch effizientes Arbeiten gewinnen, nutzen sie also, um noch mehr zu arbeiten. Also doch kein so gutes Vorbild für Work-Life-Balance.

Samantha

Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.

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