In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 77, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 27. Diese Woche schreibt Zaugg über die gleichermassen häufige wie unglückliche Kombination von viel Geld und durchschnittlichem Geschmack.
Lieber Ludwig
Du könntest also nicht mit einer Frau leben, die hässliche Lampen kauft. Ich bin einigermassen überrascht, diese Aussage von dir zu hören. Hätte ich eher der jüngeren Generation zugeordnet. Wieso? Führe ich später aus. Zuerst etwas über Geschmack.
An dem machst du deine Aussage ja fest. Du schriebst, Geschmack sei subkutan, unter der Haut, im Körper, etwas, was wir nicht kontrollieren. Wie die Handschrift oder das Lachen. Da möchte ich widersprechen.
Und dazu Pierre Bourdieu zitieren, den französischen Soziologen. Er geht davon aus, dass Geschmack nicht individuell ist, sondern vielmehr geformt wird. Vom sozialen Umfeld, in dem wir uns bewegen, der Art wie wir sozialisiert werden.
Bei materiellen Gütern sieht man das ganz gut. Ich will ein Beispiel machen und bleibe dazu gerade beim Thema Möbel. Nehmen wir den Corbusier- Sessel. Du weisst schon, diese würfelförmigen schwarzen Ledersessel mit dem Chromgestell.
Wenn wir bei jemandem zur Tür hereinkommen und da steht so ein Sattel, dann können wir über die Person einige Annahmen treffen. Mit einem Möbelstück wie dem Corbusier-Sessel sagt man, hallo, ich kenne das Konzept Design und weiss, dass es als kultiviert gilt, sich dafür zu interessieren. Aber so richtig Ahnung hab ich halt auch nicht. Dafür viel Geld.
Dieser Sessel gilt als Designklassiker und ist auch unverschämt teuer, dann kann der ja nicht verkehrt sein. Ist er auch nicht. Aber dadurch halt auch einigermassen uninspiriert, schon fast generisch. So was wie aristokratische Popkultur. Um es kurz zu fassen: viel Geld, aber höchstens durchschnittlicher Geschmack.
Jetzt sind bestimmt einige Leute beleidigt. Macht nichts. Als Bourdieu seine Theorie gedroppt hat, war’s auch so. Viele Leute sahen seine Aussagen als narzisstische Kränkung. Ich find sie aber ganz gut. Und auch nützlich, wenn man darum weiss. Denn anhand des Ausdrucks von Geschmack kann man Leute recht zuverlässig einschätzen.
Im letzten Brief hast du auch über Meinung geschrieben. Dass sie weniger ehrlich sei als Geschmack, weil dieser nach deiner Theorie angeboren ist. Das haben wir ja, Bourdieu sei Danke, dekonstruiert. Ich würde noch weiter gehen. Meinung ist auch Geschmack. Man kann sich seine Meinung zulegen, um sich damit zu schmücken. Man kann Bourdieu zitieren und sich schlau fühlen. Quasi ein immaterieller Corbusier. Schuldig im Sinne der Anklage.
Jetzt hab ich schon keinen Platz mehr. Dabei wollte ich noch ausführen, wieso ich die Aussage eher mir als dir zugeordnet hätte. Warum? Im nächsten Brief, wenn du willst.
Samantha
Hinweis: Jung & Alt gibt es jetzt auch als Buch. Verlag Rüffer & Rub.