Auch im Winter ein Besuch Wert: Bäumige Traumwege in der Ostschweiz

Einst zierten sie ganze Landstriche, dienten als Schattenspender, Markierungshilfe und befestigten die Fahrspur. Längst ist die Zeit der grossen Alleen vorüber. Wer aber sucht, der findet sie heute noch – auch in der Ostschweiz.

Michel Brunner
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(Bild: Michel Brunner)

(Bild: Michel Brunner)

Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.

Bereits vor 3500 Jahren pflanzte man in Ägypten Bäume in Reihen. Später schmückte man in der Antike die Tempelanlagen ebenfalls mit Alleebäumen. In Mitteleuropa fehlten sie allerdings noch im mittelalterlichen Städtebau. Umso mehr Platz gab man ihnen dafür in der italienischen Renaissance.

Man begann Alleen in den an die Herrensitze grenzende Gärten anzulegen, wie nach aussen gekehrte Räume bildeten sie dort Korridore. In Frankreich griff man dieses Prinzip auf und trieb es dann unter dem Regime von Ludwig XIV. während der Barockzeit auf die Spitze. Kilometerlange Alleenstrassen förderte auch Napoleon Bonaparte auf seinen Siegeszügen, damit seine Soldaten im Schatten marschieren konnten. Als das Bürgertum jedoch Adel und Klerus entthronte, wurden viele Alleen wieder gefällt.

Den Alleen ging es an den Kragen

Spätestens 1930 mit dem Ende des Pferdezeitalters und dem Aufkommen des Automobils sowie der geteerten Strassen ging es den Alleen an den Kragen. Fast überall in Europa verschwanden sie zusehends. Dass Alleen in der Schweiz bereits um 1800 rar gewesen sein könnten, lässt ein Reisebericht von Johann Wolfgang Goethe vermuten, der von den unzähligen Alleen Württembergs schreibt, diese aber für ihn zwischen Schaffhausen und dem Gotthard offenbar kein nennenswertes Thema mehr sind.

Umso wertvoller sind die letzten schönen Alleen in der Region. Vier der bedeutendsten von ihnen, werden hier in jahreszeitlicher Folge vorgestellt:

Sumpfzypressen-Allee in Rapperswil-Jona

Zartes Grün zeichnet sich im Frühling bei den Sumpfzypressen in Rapperswil-Jona ab. (Bild: Michel Brunner)

Zartes Grün zeichnet sich im Frühling bei den Sumpfzypressen in Rapperswil-Jona ab. (Bild: Michel Brunner)

Als Luftbefeuchter leisten die 38 Sumpfzypressen dem nebenstehenden Park des Baummuseums von Enzo Enea beste Dienste, denn sie drainieren den sumpfigen Boden und sorgen für ein ideales Klima. Besonders im Frühjahr, wenn die frischen Nadeln ausgetrieben sind, erstrahlt diese Allee im zartesten Grün und ist ein Besuch wert.

Hainbuchen-Laubengang in Rorschach

Im kühlen Schatten dieses Hainbuchentunnels in Rorschach lässt es sich gut wandeln. (Bild: Michel Brunner)

Im kühlen Schatten dieses Hainbuchentunnels in Rorschach lässt es sich gut wandeln. (Bild: Michel Brunner)

Die Ostschweiz hat nur wenige Laubengänge aufzuweisen. Eine der schönsten wurde an der Promenadenstrasse 1989 von Stadtgärtner Walter Moser angesetzt. Die Hainbuchen werden jedes Jahr in Form geschnitten, damit der Tunnelcharakter bestehen bleibt, was sich besonders im Sommer dank des kühlenden Schattens auszahlt.

Birken-Kirschen-Allee in Diessenhofen

Herbstliche Farbenpracht unter der einmaligen Birken-Kirschen-Allee in Diessenhofen. (Bild: Michel Brunner)

Herbstliche Farbenpracht unter der einmaligen Birken-Kirschen-Allee in Diessenhofen. (Bild: Michel Brunner)

Einzigartig durch die abwechslungsweise Bepflanzung von Birke und Kirsche ist die zwischen den Fischteichen verlaufende Allee am Kundelfingerhof. Besonders im Herbst, wenn der Kontrast des gelben Birkenlaubs und der roten Herbstlaubfärbung der Kirschbäume ins Auge sticht, lädt diese Allee zum Lustwandeln ein. Dann mischen sich in der Zentralperspektive die beiden Farben optisch wie in einem impressionistischen Werk zu einem einheitlichen Orange und leuchten mit den blaugrünen Teichen um die Wette.

Platanen-Allee in Romanshorn

Besonders im winterlichen Nebel muten die alten Platanen in Romanshorn mystisch an. (Bild: Michel Brunner)

Besonders im winterlichen Nebel muten die alten Platanen in Romanshorn mystisch an. (Bild: Michel Brunner)

Wer sich scheut in den trüben Wintermonaten eine Allee zu besichtigen verpasst unter Umständen die grösste Pracht, welche alte Alleebäume zu bieten haben. Zeugnis davon legen die Platanen an der Strasse namens «Friedhofallee» ab. Europaweit einzigartig stehen hier dicht an dicht noch 51 Platanen, die über eine so bizarre Kronenform verfügen, dass sie jetzt im laublosen Zustand besonders bei Nebel gespenstisch anmuten. Wer durch diesen Baumgang wandelt, fühlt sich andächtig in einer Art gotischen Kathedrale wieder. Die über 140-jährigen Stämme erinnern an Säulen. Darüber die Hauptäste, die sich geschwungen wie ein Tonnengewölbe schliessen, währenddessen filigranste Zweige die Kronendecke verschnörkeln wie sakrale Masswerkfenster.

Dies alles ist der Dank eines über viele Jahrzehnte streng eingehaltenen Pflegekonzepts. Die Arbeiten dazu gehen auf mehrere Generationen von Baumpflegern zurück, die sich den Bäumen annahmen. Heute kümmert sich Obergärtner Herbert Nafzger jährlich von Januar bis – je nach Winter – April liebevoll um sie. Dabei klettert er von Platane zu Platane und schneidet tonnenweise Jahrestriebe heraus. Für Nafzger ist jede Platane ein Individuum, bestünden Absichten sie zu fällen,

«dann kettet ich mich sogar an einen der Bäume», wie er beteuert.

Anlass für die Pflanzung war die Eröffnung des reformierten Friedhofs 1872, wobei die Gesellschaft Eintracht den Antrag erst 1876 stellte. Durch die Pflanzung sollte die Strasse ein Gesicht erhalten. Der Antrag wurde noch im selben Jahr bewilligt und ausgeführt. Anfangs wurde die Strasse «Kirchstrasse» genannt, da der Bau einer evangelischen Kirche geplant war. Da diese erst 1911 erbaut wurde, wurde die Strasse bereits früh in «Friedhofallee» umbenannt.

Erste vollständige Sammlung

Im Buch «Alleen der Schweiz» (Fr. 58.–) stellt Michel Brunner 120 Alleen vor, 39 davon ausführlich. Das 288-seitige Buch, erschienen im AS Verlag, ist das erste vollständige seiner Art. Besonders sind die Bilder: Erstmals wurden unterschiedliche Jahreszeiten fotografiert und gar ganze Alleen nachts ausgeleuchtet. Ergänzend gibt es neu eine Postkartenbox mit 50 Alleensujets. (mha)