Politiker haben einen besonderen Umgang mit der Wahrheit, denn sie sind immer Partei. Eine Umfrage zeigt: Rund die Hälfte der Befragten geht ohnehin davon aus, dass Politiker die Unwahrheiten verbreiten.
Der Genfer FDP-Staatsrat und beinahe Bundesrat Pierre Maudet hat gelogen. Eine Reise nach Abu Dhabi deklarierte er als privat, obwohl sie im Zusammenhang mit einem politischen Geschäft stand und vom Gastgeber bezahlt war. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Vorteilsnahme, seine politische Karriere ist ruiniert.
Alt-SVP-Bundesrat Christoph Blocher kann an lügenden Politikern nichts Verwerfliches finden. In einem Interview mit der «SonntagsZeitung» bekannte er kürzlich: «Politiker lügen relativ häufig.» Gerade als Bundesrat müsse man lügen, «sonst gilt man als unkollegial». Blocher hält das Lügen für legitim, denn «der Zweck heiligt die Mittel». Es sei nicht entscheidend, ob ein Politiker die Wahrheit sagt, sondern ob das politische Ziel die Lüge rechtfertigt.
Der Aufschrei der Entrüstung blieb nach dieser Aussage aus. Die Resultate der neuen Sotomo-Umfrage bieten dazu eine Erklärung. Demnach geht rund die Hälfte der Befragten ohnehin davon aus, Politiker würden Unwahrheiten verbreiten. Wähler der SVP gehen dabei signifikant häufiger von einer Unredlichkeit der Politiker aus, was die eigenen Parteivertreter nicht ausschliesst. Links- und Mittestehende haben etwas mehr Vertrauen in die Politik, machen aber vor allem rechte Politiker für «Fake News» verantwortlich.
In einem Streitgespräch in der «NZZ» zwischen Anita Fetz (SP) und Gerhard Pfister (CVP) bezeichnet es die Basler Ständerätin zwar als «Fake News», dass Politiker am meisten lügen würden. Der Parteipräsident der Mittepartei räumt immerhin ein: «Ich vereinfache die Realität, um wenigstens gehört zu werden.» Und er sagt: «In der Politik gibt es keine Wahrheit. Politik bewertet Fakten einfach unterschiedlich.»
Über die «Wahrheit in der Politik» hat die Publizistin Hanna Arendt 1964 ein Essay geschrieben, das Pfister recht gibt und Blochers Haltung in einen grösseren Kontext stellt. Arendt formulierte den Kernsatz, dass über das, was wahr ist, die Politik gar nicht bestimmen könne. Dies sei die Aufgabe von Wissenschaftern, Richtern, Historikern oder auch Journalisten.
In der Politik gehe es um die Vorherrschaft von Meinungen und Ansichten, mit denen eine Veränderung der Verhältnisse erwirkt werden soll. Die Wahrheit stelle jedoch einen Gültigkeitsanspruch, der jede Debatte ausschliesse. Wer also nichts will ausser der Wahrheit, stehe deshalb ausserhalb des politischen Kampfes. Im Umkehrschluss sieht Arendt als Konsequenz, dass es Politiker mit Tatsachen nicht so genau nähmen, um ihre Ansichten durchzusetzen. Denn als Teil der Wahrheit wären sie unveränderlich. Es bleibt dem Politiker, sie zu manipulieren oder als blosse Meinung darzustellen.