Spanien Die Rioja ist das Monument des iberischen Weinbaus: Am Ufer des Ebros wachsen Tropfen von höchster Qualität. Monumental ist auch die Architektur einiger Bodegas im Norden, andere setzen auf Kunst im Keller. Auf Besichtigungstour. Sybil Jacoby
«Ich mag diese weissen Schuhschachteln nicht», hat US-Stararchitekt Frank Gehry über architektonischen Einheitsbrei einst gesagt. Neutralität sei nicht neutral, sie entwerte Kunst. Sein Guggenheim-Museum in Bilbao ist in der Tat alles andere als ein Einheitsbrei, und doch verschlägt es uns die Sprache, als im ländlichen Elciego inmitten der Reben sein Luxushotel jäh in den Himmel ragt. Es wurde von der gleichnamigen Bodega Marques de Riscal für fast hundert Millionen Euro hochgezogen: Eine futuristische Kathedrale des Weins; riesige silber-, gold- und rosa-violett-farbene Titanbahnen schieben sich in Wellen übereinander.
Gehry hat der Industriestadt Bilbao mit dem Museumsbau zu mehr Glanz verholfen. Auch die grossen Weinkellereien in der Rioja haben die Architektur als Marketing- und Tourismusinstrument entdeckt. Nicht nur zur Freude der ansässigen kleinen Weinbauern. Die Einheimischen nennen es bloss «la cosa», das Ding. Aber Aufsehen zu erregen ist im hart umkämpften Weinmarkt erlaubt, und so lockt das Hotel mit Spa und Vinotherapie, einem exzellenten Gourmetrestaurant und exquisiten Hotelzimmern, die vor allem Japaner entzücken. Die Investition zahlt sich aus, denn statt früher jährlich 7000 Touristen sind es jetzt 3000 – monatlich.
Ein weiterer Anziehungspunkt für Weinreisende ist auch der avantgardistische Bau der Bodegas Ysios beim Städtchen Laguardia im äussersten Süden des Baskenlandes. Hier hat sich Santiago Calatrava ein Denkmal gesetzt.
Die moderne Architektur einzelner Bodegas in Nordspanien drückt das Umdenken im spanischen Weinbau nicht nur optisch aus. Denn Marques de Riscal gehört auch hier zu den Pionieren. Er steht als einziger der grossen Produzenten auf der Nordseite des Flusses Ebro. Die sieben Grossen machen übrigens 70 Prozent der Produktion der spanischen Weine aus. In der Rioja bearbeiten 18 000 Winzer die rund 63 500 Hektaren; davon füllen 580 selbst ab, alle anderen liefern an grössere Weinbaubetriebe.
Bodenstruktur, Mikroklima und Ausrichtung der Parzellen wirken sich direkt aufs Traubengut aus und damit auf die Qualität. Das wird hier im Norden besonders deutlich; der Fluss Ebro mit seinen acht wichtigen Zuflüssen prägt die Rioja. Sie ist in drei Gebiete unterteilt: Die Rioja Alta auf der Südseite des Ebros zieht sich vom westlichen Ende bis hinunter nach Logroño, der Provinzhauptstadt. Gegenüber dehnt sich das kleine Gebiet Rioja Alavesa aus mit höher gelegenen Weinbergen, die bis ins Baskenland reichen. In Norden wird es von den Kordilleren überragt. «Aus dieser Region stammt die Hälfte der besten Riojas», sagt David Schwarzwälder, der uns begleitet. Der Önologe und Buchautor bereist Spanien seit Jahrzehnten. Die südlich von Logroño gelegene Rioja Baja ist ein eher flaches Gelände mit sanften Hügeln. Da die Weingüter in den einzelnen Teilgebieten kaum über genügend eigene Weinberge verfügen, kaufen sie traditionell in mehreren Teilgebieten Lesegut ein. Deshalb sind hier keine Lagenbezeichnungen möglich. «In der Rioja sind zudem die ersten nach neuzeitlicher Technik produzierten Rotweine entstanden. Auch die Impulse, die eine Klassifizierung spanischer Weine erst ermöglichten, sind von hier aus gegangen: Qualitätsabstufungen nach Reifezeiten im kleinen Holzfass und auf der Flasche: Crianza, Reserva und Gran Reserva.» Zudem sei die Rioja 1991 zur ersten «Superappellation» Spaniens aufgestiegen, der Denominación de Origen Calificada (D.O.Ca.).
Die Region gilt als «Wiege des Tempranillo»; die Sorte bedeckt mehr als 75% der Gesamtfläche. Die meisten klassischen Roten sind Cuvées: Der Garnacha steuert Aroma und Alkohol bei, der Mazuelo kräftiges Tannin, der Graciano ist für Säure, Frucht und Farbe zuständig. Moderne Riojas sind reinsortige Tempranillos.
Victor F. Pascual Artacho ist der Consejo Regulador des D.O.Ca. Rioja in Logroño; er entscheidet mit seinem Gremium über die Zulassung von Rebsorten, Anbauflächen, Produktionsmengen und Zusätzen. «Die Schweiz ist für uns ein äusserst wichtiger Kunde. Schweizer waren die ersten, die bereits 1947, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, auf Qualität pochten und ein Handelsabkommen mit uns unterzeichneten.» Er ist sich bewusst: «Gute Weine gibt es mittlerweile überall auf der Welt. Doch berühmte Architekten wie Gehry potenzieren die Attraktivität unserer Weinregion.»
Szenenwechsel. In der Rioja Alta steht die 1984 erbaute Bodega Ontañon in einem Aussenquartier Logroños. Bereits die monumentale Skulptur Ganymeds (Mundschenk von Zeus) an der Aussenfassade beweist, dass sich dieses Haus von anderen abhebt: Es ist nicht zuletzt ein Ort der Kunst. «Mein Vater war mit dem Künstler Miguel Angel Sainz befreundet, ein religiöser Mann, der sich stark mit der griechischen Mythologie beschäftigte. Seine Werke – Skulpturen, Bilder, Glasfenster – prägen unsere Bodega», sagt Raquel Pérez Cuevas, die die Geschicke von Ontañon leitet. Wir steigen an raffiniert ausgeleuchteten Nischen mit Skulpturen und Bildern vorbei hinunter ins Allerheiligste. Den geräumigen Fasskeller dominiert ein weiteres Werk des Madrider Künstlers: zwei Zentauren, die auf ihren Schultern antike Amphoren balancieren – wie Schutzgötter des Kellers.
David Schwarzwälder: Spanien und seine Weine. Hallwag im Gräfe und Unzer Verlag, 2009, Fr. 45.– Die Reise wurde unterstützt von Rioja Schweiz.