Kari fehlt der Schneid

Kino Schöner leiden mit Xavier Koller: Das sechsfach für den Schweizer Filmpreis Quartz nominierte Melodram «Eine wen iig, dr Dällebach Kari» ist ein Fall für die Mottenkiste. Hans Jürg Zinsli

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Der Makel lässt sich nicht frisieren: Der junge Coiffeur Kari Dällebach (Nils Althaus) ist unglücklich verliebt. (Bild: Thomas Kern)

Der Makel lässt sich nicht frisieren: Der junge Coiffeur Kari Dällebach (Nils Althaus) ist unglücklich verliebt. (Bild: Thomas Kern)

Was soll da noch schiefgehen? Dällebach Kari (Nils Althaus) und die schöne Annemarie Geiser (Carla Juri) werfen sich am Schwingfest verliebte Blicke zu. Als ihr, der reichen Fabrikantentochter, das Herzkettchen wegfliegt, hechtet er, der Coiffeur mit der klaffenden Hasenscharte, dem Schmuckstück nach. Als Lohn winkt ein Tanz mit der Herzensdame.

Romanze im Schneckentempo

Doch dann, ja dann – ist Karis Hasenscharte plötzlich nur noch halb so gross. Und man fragt sich: Ist das Instandheilung durch akuten Liebestaumel? Nein, ein übler Anschlussfehler ist es, den man sich in einem Film über das Berner Stadtoriginal eigentlich nicht erlauben darf, da man als Zuschauer, genau wie Karis Kundschaft, erst mal nur auf seinen Makel starrt.

Ein zweiter Dämpfer folgt postwendend: Die rasant angerissene Romanze kommt nur noch im Schneckentempo voran. Ein Ablenkungsmanöver, um den Zuschauer vergessen zu machen, dass Karis Werben aufgrund der Standesunterschiede von vornherein zum Scheitern verurteilt ist? Oder kommt da noch was?

Armer Tropf in drei Phasen

Grundsätzlich stünden die Chancen nicht schlecht, dem populären Dällebach-Stoff, der zuletzt in Bern als Theater und in Thun als Musical zu sehen war, neue Facetten abzugewinnen. Im Gegensatz zu Kurt Frühs Filmoriginal von 1970, auf das sich Regisseur Xavier Koller wohlweislich nicht beruft (sondern auf das in Bern aufgeführte Stück von Livia Anne Richard), ist Kari kein Alkoholiker. Er springt auch nicht von der Berner Kornhausbrücke, sondern ist bloss ein armer Tropf, beleuchtet in drei Lebensphasen.

Als Erzähler fungiert der alte Dällebach (Hanspeter Müller-Drossaart), beginnend bei der eigenen Geburt: Als saugunfähiger Bub, vom herbeigeeilten Arzt für lebensuntauglich erklärt, wird Klein Kari von der Mutter wie ein aus dem Nest gefallener Vogel aufgepäppelt. Aus dem Nest fallen dann aber Karis Geschwister, die als Verdingkinder vom Hof müssen; ein Thema, das Kollers «Dällebach» in die Nähe von Markus Imbodens «Verdingbub» rückt. Obwohl Kari später bei der Schwester wohnt, wird dieser Aspekt höchstens noch gestreift.

Sehenswerte Jungschauspieler

Zum Herzstück des Films wird eine Grenzüberschreitung der vorhersehbaren Art: Kari, bis über beide Ohren verliebt, wagt sich ins Textilgeschäft von Annemarie Geisers Vater und in die «mehrbessere» Familienvilla vor. Dort hält er um die Hand der Tochter an. Doch die Katastrophe folgt auf dem Fuss – nicht nur für den ungelenken Kari, der vom Regen durchnässt ins Pyjama gesteckt wird, sondern auch für den Zuschauer. Beim ersten Auftritt im Geschäft hält man Geiser senior noch für einen überkandidelten Bediensteten. Als die Verhältnisse geklärt sind, fällt das gestelzte Patrizier-Berndeutsch und das Overacting des Bündner Schauspielers Bruno Cathomas negativ ins Gewicht. Da hält man sich lieber an Nils Althaus und Carla Juri, die sich sehenswert anschmachten. Auch das aufgeräumte Bern ist hübsch anzusehen. Die Rasiermesser im Salon Dällebach werden im Akkord gewetzt.

Putzig inszenierte Swissness

Doch putzig inszenierte Swissness allein – das kann's nicht sein. In Kollers Film klaffen simpler Inhalt und komplizierte Form zu stark auseinander. Zu schal wirkt Dällebachs Witz. Zu unklar bleibt der Adressat des Films: Nachdem sich der Erzähler-Kari anfangs an Annemarie wandte, spricht er später zur Marktbekanntschaft Stine (Fabienne Hadorn), am Ende fällt die Identifikation auf den Zuschauer zurück: «Eine wen iig, u eini we du.» Da hätte man sich vom Coiffeurmeister wahrlich etwas mehr Schneid erhofft.

Der Film startet morgen in den Kinos