In der «Jung & Alt»-Kolumne schreibt unser Autor Ludwig Hasler, 78, alternierend mit Samantha Zaugg, Journalistin, 28. Diese Woche denkt Hasler über das Wahlverhalten von Jungen und Alten nach.
Liebe Samantha
Gegen Schnapsideen hab ich gar nichts. Jeder zweite Geistesblitz wurde verlacht – bevor er zum menschheitsbeglückenden Kern unserer Fortschrittsgeschichte zählte. Das heisst nicht, dass dein Vorschlag zu diesem Kreis gehört. Du willst die Stimmen der Jungen stärker gewichten und so Demokratie «gerechter» machen.
Ich sehe manche abwinken: Darüber reden wir dann, wenn ihr Jungen mal in Scharen zur Urne geht, haha. Da hapert es, stimmt. War das früher besser? Nein. Resigniert ihr vor der anschwellenden Stimmenmacht von uns Alten? Es gibt sogar Alte, die das so sehen. Eben erzählte mir eine Frau um 20, ihre Grosseltern brächten ihr vor Abstimmungen ihre Formulare, sie möge die bitte ausfüllen, die Folgen des Entscheides müsse ja vor allem sie dann ausbaden.
Darum geht es, oder? Wir Alte entscheiden, ihr Junge badet es aus. War natürlich immer so. Nur hatten die Alten bisher – in nicht gar so rasenden Zeiten – bessere Karten. Ihre Erfahrung war Gold wert, auch für Junge, solange sie glauben konnten, ihre Zukunft sei mit denselben Mitteln zu meistern wie die Vergangenheit. Dieser Glaube ist weg. In euren Augen sind wir Alte Dinosaurier, schon lange da, doch unfähig zur Zukunft. Also halten wir besser den Mund – dafür zählt eure Stimme doppelt.
Tatsächlich sind wir nicht so scharf auf Zukunft. Sie schrumpft halt. Ich übrigens auch, zwei Zentimeter bisher. Als ich jung war, lebte ich auf Zukunft hin. Heute bin ich, was ich bin. Um nicht zu sagen: was ich war. Da rennt man nicht gleich los, wenn alle nach «Change» und «Transformation» rufen. Eher lacht man über die Galgenfrist, die uns bleibt:
Es sitzt ein Vogel auf dem Leim, Er flattert sehr und kann nicht heim. Ein schwarzer Kater schleicht herzu,Die Krallen scharf, die Augen gluh. Am Baum hinauf und immer höher Kommt er dem armen Vogel näher.
Der Vogel denkt: weil das so ist Und weil mich doch der Kater frisst, So will ich keine Zeit verlieren, Will noch ein wenig quinquillieren und lustig pfeifen wie zuvor. Der Vogel, scheint mir, hat Humor.
Wilhelm Busch, sicher. Doch lustig pfeifen wie zuvor, ein frommer Vorsatz. Anders als früher verlassen wir Alten die Bühne des gesellschaftlichen Theaters. Mit kaum 65: ab in den Zuschauerraum. Da sitzen wir dann, zwanzig, dreissig Jahre, sehen euch zu, mal staunend, mal schnaubend. Nur bei Urnengängen sind wir als Akteure nochmals gefragt. Logisch, lassen wir uns nicht zweimal bitten.
Das willst du korrigieren. Könnten wir probieren. Ob es besser herauskäme? Ich weiss nicht. Du bist sicher? Ich werde melancholisch, wenn die Gesellschaft den Ehrgeiz verliert, eine gemeinsame Zukunft zu wollen.
Ludwig