Von den Äusseren Hebriden im Nordwesten Schottlands kommt der beste Tweed der Welt. Auf Lewis & Harris wird die Schurwolle von Hand gewebt. Material fürs Leben und Trendstoff, nicht nur für sophisticated Gentlemen, sondern auch Streetstyle-Ladies.
Puderrosa, Zitronengelb und Flieder waren die Fransenjäckchen, Miniröcke und Marlene-Hosen aus Tweed in diesem Endlos-Sommer. Jetzt sind die Farben gedeckter, Erd- und Moostöne, Cognac, Mustard und Ockergelb. Für Alexander McQueen, Vivienne Westwood oder Gucci sind Tweed-Teile wie für Globus, Zara oder Zalando die Key-Pieces der Saison. Das Lifestylemagazin «elle» outet ausgerechnet den berühmtesten Stoff der Briten als Hilfsmittel für «French Chic par excellence» – Chanel setzt immerhin seit Jahrzehnten aufs feminine Tweed-Kostüm. Mode-Blogger wie Beautypunk.com raten zum Stilbruch, denn in der richtigen Kombination – mit Sneakers, weissem T-Shirt und Jeans – wirke der «etwas spiessige Trendstoff alles andere als konservativ» und verlören Tweedblazer oder Chaneljäckchen das angestaubte Image. «Konzentriert Euch auf ein Stück aus Tweed und überlasst die ikonischen Zweiteiler dem britischen Adel!», lautet der Street-Style-Tipp.
Modemacher Oliver Sinz aus Berlin sieht das zum Beispiel anders. Er setzt den urbanen Gentleman aufs britische Retrorad in kompletter Tweedmontur mit Sakko, Krawatte, Knickerbocker und Karohemd. Prêt-à-Vélo heisst das wettertaugliche Business-Outfit, das nostalgisches Stilbewusstsein demonstriert. «Mit diesem Anzug können Sie duschen gehen», sagt der Massschneider, «denn in dem Wollstoff ist noch das Fett der Tiere enthalten», nanobeschichtet ist das Kultoutfit obendrein.
Dort, wo das Original herkommt, herrschen immer Tweed Days vor. Harris Tweed stammt von der Doppelinsel Lewis & Harris, Schottlands nordwestlichstem Ausläufer im Atlantik. Von dort, wo die Tiefs entstehen und sich die Schafe warm anziehen, um Regen, Sturmwind und vier Jahreszeiten an einem Tag zu trotzen. Mit ihrem dicken Wollkleid kommen sie gut dagegen an. Die Crofters, die Kleinbauern, haben es ihnen gleichgetan und seit Jahrtausenden die im Sommer geschorenen Schafwollvliese zu Tweed verwoben.
Wärmend, wind- und regenabweisend, atmungsaktiv, knitterfrei, widerstandsfähig: das ist ein Stoff fürs Leben. Outdoortauglich – und trotzdem macht er etwas her. Er ist der Klassiker der Countryschickeria, mit dem sich die Queen, Lords und Ladies, aber auch urbane Fashionqueens kleiden. Harris Tweed ist Natur pur und passt sich immer der Natur an, so bunt die eingesponnenen Garne auch sein mögen. Sie stehen für die Farben der Hebriden: Ginstergelb, Grasgrün, Sandbeige, Torfbraun, Moosgrün, Heiderot, Himmel- und Atlantikblau, Regen- und Steingrau. Am Ende wirkt jedes noch so farbige Muster von weitem tarnfarben wie Moos oder Schlamm. Mit der Zeit wird das kratzig-starre Gewebe weicher und passt sich der Form des Trägers an, es bricht, ohne zu brechen. Ganz billig ist es nicht, dafür hält es auch ein Leben lang.
Im Gegensatz zu günstigerem, industriell gefertigtem Tweed wird Harris Tweed wie früher auf oft 100-jährigen, mechanischen Trittwebstühlen von Hand gewebt. Mancher Weber trägt dabei Ohrenschützer, Donald Macdonald in Shawbost an der Westküste von Lewis nicht. Draussen blöken die Schafe, drinnen in der Webhütte sitzt der Weber am Stuhl und klimpert mit den Füssen abwechselnd auf den Pedalen. Die Fadenspulen schiessen hin und her, die Metallschäfte und Schiffe rattern, klacken, hämmern und sausen in einem Affenzahn und veranstalten einen Höllenlärm, so dass der stärkste Tinnitus keine Chance hätte, den Krach zu übertönen. «Meine Frau weiss immer, wo ich bin, wenn ich webe», lacht der 65-Jährige. Da er nicht hört, wenn jemand kommt, und mit dem Rücken zum Fenster zur Strasse sitzt, hat er einen verschnörkelten Spiegel seiner Grossmutter und einen LKW-Rückspiegel an der Wand.
Der Weber war Lastwagenfahrer, bevor er in Pension ging und wie seine Vorfahren mit der Heimarbeit begann. Seitdem webt er etwa 300 bis 400 Meter Tweed im Monat, pro Stunde vier Meter à 20 Pfund, vier Meter würde man für ein XL-Sakko brauchen. Das Teuerste ist der Schneider, denn es müsse schon ein spezieller sein, denn der Stoff ist dick. Die fertigen Ballen werden direkt von Schneidern und Couturiers beim ihm abgeholt oder gehen in die Mills, wo sie gewalkt, gewaschen, dampfgebügelt, getrocknet und vermarktet werden. «Früher dauerte allein das Walken, das den Stoff verdichtet und undurchlässig macht, einen ganzen Tag», erzählt Macdonald, «ein Frauenjob. Noch heute treffen sich auf Lewis & Harris die Frauen zum Singen der eingängigen Working Songs, mit denen sie sich früher die Zeit beim eintönigen Walken vertrieben haben.»
Zuletzt wird der Stoff auf Unreinheiten und Löcher kontrolliert. Bis zur Abholung lagern die Ballen bei Macdonald im Wohnwagen nebenan, bis unters Dach mit fertigen Tweeds gefüllt. Uni, gescheckt, kariert, gestreift. Die Muster – Heringbone, Houndstooth, Barleycorn, Plain, Kaona – sind vielfältig, eines schöner als das andere.
Das Geschäft läuft gut. Die robuste Textilie aus Harris ist sehr gefragt. Nicht nur in der Modebranche; auch im Interieurdesign widerfährt dem teuren Tuch, das Räume so gemütlich macht, vom Möbelbezug, Vorhang, Teppich bis zum Lampenschirm eine Renaissance weit über Grossbritannien hinaus.
Nur Tweed aus reiner Schurwolle, die auf den Äusseren Hebriden in den hiesigen Mills gewaschen und gefärbt, dann zu Garn versponnen und von den Hebrideans in ihren Heimen handgewebt wurde, erhält das Harris-Echtheitsetikett mit dem Reichsapfel (Orb) sowie eine Seriennummer. So schreibt es der Harris Tweed Act von 1993 vor, der auf den Trade Marks Act zurückgeht, der Harris Tweed bereits 1910 als geschützte Marke anerkannte. Die Schafwolle selbst muss nicht zwangsläufig von hiesigen Tieren stammen. Sie darf aus anderen Teilen Schottlands zugekauft werden, denn die Hebridenwolle reicht bei weitem nicht.
Die Harris Tweed Authority in Stornoway auf Lewis wacht darüber, dass alles seine Ordnung hat. Schon das Einfärben ist eine Wissenschaft für sich, nach geheimen, vorgegebenen Rezepturen werden die Rohwollvliese gefärbt und maschinell gemischt, kardiert und zu Streichgarnen versponnen. In diesem Prozedere, das nur bei Harris Tweed in dieser Reihenfolge durchgeführt wird, ist die Einzigartigkeit der Farben begründet. Ein Garn kann bis zu neun oder zehn verschiedene Farbnuancen aufweisen.
Während anderswo Wolle industriell gewoben wird und die Handweberei an Unwirtschaftlichkeit krankt, hat sie sich auf den Äusseren Hebriden eine Nische geschaffen. «Denn kein Tweed der Welt reicht an die Qualität von Harris heran», schwört Annie the Granny, Verkäuferin in der Harris Tweed Company in Grosebay. In dem kleinen Laden bekommt man gut geschnittene Tweed-Jacken, nicht nur «boxy jackets» wie in Touristenshops auf dem Festland. Schon den nobelsten Herrschaften hat die ehemalige Sozialarbeiterin aus Cardiff ein Stück mit dem Orb verpasst.
Auch Prince Charles, Lord of the Isles, in jungen Jahren selber Schafzüchter auf Lewis & Harris, und Camilla waren schon in diesem Nest in der Mondlandschaft an der Golden Road und haben geordert. Annie zeigt einen blaugrünen Blazermantel – die Farben des Meeres – von Donald John Mackay, «derselbe Stoff geht an Chanel». Mackay ist einer der bekanntesten Crofters und Weavers der Inseln, the Queens Weaver, seine Hütte steht am türkisblauen Luskentyre Beach. «Für seine Verdienste um den Tweed hat ihn die Queen zum Member of the Order of the British Empire ernannt.»
Während Annie weiterplaudert, über junge Leute, die der Jobs wegen abwandern, und ältere, die der Natur und Ruhe wegen herziehen, und Touristen, die wiederkämen, «nobody comes to Harris only once», ziehen die nächsten dunklen Wolken auf. «Wetterfest und einsamkeitsliebend muss man hier schon sein, sonst fängt man am besten noch selber zum Spinnen und Weben an.» Mit der neu erstandenen Ausstattung können die Tweed Days kommen.