Die Ältern
«Ist das dein Opi?»: Kinder-Kriegen mit über 50 Jahren

Der medizinische Fortschritt machts möglich: Immer mehr Paare nach 50 wollen noch ein Baby. Doch wie ist es für Kinder, mit Eltern aufzuwachsen, die ihre Grosseltern sein könnten?

Alexandra Fitz
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Immer öfter: Eltern, die eigentlich Grosseltern sein könnten. (Symbolbild)

Immer öfter: Eltern, die eigentlich Grosseltern sein könnten. (Symbolbild)

Keystone

Was haben Charlie Chaplin, Gianna Nannini und Philipp Hildebrand gemeinsam? Sie haben alle spät Kinder bekommen oder werden bald alte Eltern. Der Komiker wurde mit 73 zum letzten Mal Vater, die Sängerin gebar mit 54 eine Tochter, und der Ex-Nationalbank-Chef (52) und seine Partnerin Margarita Louis-Dreyfus (53) erwarten gerade Zwillinge.

In den letzten Jahren ist im deutschsprachigen Raum ein deutlicher Trend zur späten Elternschaft festzustellen. In der Schweiz ist eine Mutter bei der Geburt im Schnitt 31,7 Jahre alt. Jede sechste Frau ist über 35 Jahre. In Europa wuchs die Anzahl von Kindern, die von älteren Müttern und Vätern gezeugt wurden, innerhalb von zehn Jahren um 70 Prozent. Väter gelten dann als älter, wenn sie über 50 Jahre alt sind, Frauen, wenn sie über 40 sind. Auch wenn es ab dem Alter von 44 noch vereinzelt zu natürlichen Schwangerschaften kommen kann, sind laut Dorothea Wunder, Gynäkologin und Reproduktionsmedizinierin im CPMA (Centre de Procréation Médical Assistée) in Lausanne, die Hälfte davon Fehlgeburten. So greifen die meisten in höherem Alter auf die Eizellspende zurück.

Die Aufschiebung des Kinderkriegens ist ein Massenphänomen, für das es mehrere Gründe gibt. Immer mehr fokussieren sich erst auf den beruflichen Erfolg und kümmern sich dann um das Familienglück. Insbesondere Akademiker bekommen spät Kinder. Zudem fehlt vielen Frauen über lange Zeit der richtige Partner. Die Fortschritte der Reproduktionsmedizin vergrössern ihr Zeitfenster, in dem sie Kinder bekommen können – und wirft Fragen auf: Muss man um jeden Preis ein Kind haben? Und: Wie ist es eigentlich für Kinder, mit alten Eltern aufzuwachsen?

Ein 68-Jähriger und seine 51-jährige Frau aus Hamburg haben alles dafür getan, in diesem Alter noch Eltern zu werden. Wenn ihr Sohn die Matura hat, ist sein Vater 86 oder tot. Zwischen den Hildebrands und ihren Kindern wird ein halbes Jahrhundert liegen. Eine grosse Zeitspanne. Eine überhüpfte Generation.

Der Journalist Eric Breitinger hat in seinem Buch «Späte Kinder» mit Kindern gesprochen, die alte Eltern haben. Das Fazit: Manche späte Kinder erzählen von den Vorteilen, die ältere Mamas und Papas haben: mehr Lebenserfahrung, Geld und Zeit. Doch viele späte Kinder erlebten das Alter ihrer Eltern als belastend. Sie machen ihren Eltern keine Vorwürfe, erinnern sich aber mit Wehmut an die jungen Jahre. An erschöpfte Eltern, ohne Dynamik. Sie schämten sich für das grossväterliche Aussehen und mussten sich Sprüche wie: «Ist das dein Opi?» anhören. Späte Kinder, so Breitinger, seien häufig altklug und frühreif. Sie wachsen meist als Einzelkind auf, sind ständig von Erwachsenen umgeben. Das gesamte Umfeld – selbst Cousins – ist älter.

Je älter die Eltern, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass man als Kind Oma und Opa nicht mehr kennen lernt und entsprechend weniger Bezugspersonen hat. Hinzu kommt, dass die eigenen Eltern früh wegsterben oder pflegebedürftig werden und die Enkel womöglich gar nicht kennen lernen geschweige denn bei der Betreuung helfen können.

«Wenn die Eltern noch genug Energie haben, ist späte Elternschaft kein Nachteil», sagt der Kinder- und Jugendpsychologe Philipp Ramming. Es gehe um das Aktivitätsebene. Der Präsident der Schweizerischen Vereinigung für Kinder- und Jugendpsychologie weiss um die Irritation in der Gesellschaft, wenn eine Frau über 50 Mutter wird. Dann gebe es ein «Gschnörr» à la «Das haben sie jetzt auch noch gewollt». Wenn es eine Liebes-Gemeinschaft sei, die gut zum Kind schaue, sei es egal, ob die Eltern das gleiche Geschlecht haben oder älter seien, findet Ramming.

Eltern mit spätem Kinderwunsch können sich an die Reproduktionsmediziner Peter Fehr und Dorothea Wunder wenden. Sie beraten und leiten sie ins Ausland weiter, da die Eizellspende in der Schweiz nicht erlaubt ist. Die Altersgrenze bei Frauen liegt laut den beiden Fachpersonen in den meisten ausländischen Zentren bei 50. Wunder fragt sich sogar, ob je nach Gesundheitszustand der Frau und wegen der zunehmenden Risiken der Schwangerschaft für Mutter und Kind, ganz besonders bei Zwillingsschwangerschaften, die Grenze nicht schon bei 45–47 Jahren liegen sollte. Auf Zypern wirbt eine Reproduktionsklinik explizit damit, keine Altersbeschränkung nach oben zu haben. «Bereits mehrfach haben wir Frauen Anfang 60 behandelt», ist auf der Website nachzulesen. «Das ist Quatsch», sagt Fehr.

Seine älteste Patientin war bei der Behandlung 48, bei der Geburt 49. Aber auch bei ihm rufen Frauen jenseits von 60 an. Dann lehnt er gleich ab. «Ich habe schon böse Reaktionen erhalten, wenn ich abgelehnt habe. Aber ich bin ja nicht gezwungen, alles zu machen», sagt Fehr. Auch Dorothea Wunder erhält solche Anfragen. Es werde ein falsches Bild vermittelt. Dass Leute wie Halle Berry (Mutter mit 47) oder Hildebrand/Louis-Dreyfus nicht offen sagen, wie das Kind zustande kam, hat laut der Expertin einen negativen Effekt. Frauen denken, man könne unendlich lange mit den eigenen Eizellen schwanger werden und eine späte Schwangerschaft sei kein Problem. Dann klingeln sie bei Fehr und Wunder durch.

Und die klären sie dann auf, was die Risiken betrifft. Schliesslich sind es für Ärzte vor allem medizinische Gründe, die eine Altersgrenze bedingen. Je älter die Frau, desto mehr Risiken bei der Geburt. Das Risiko für Trisomie 21 steigt schon ab dem Alter von 35. Ein weiteres Problem sind Schwangerschaftsvergiftungen (sogenannte Präeklampsien): «Man hat herausgefunden, dass Frauen, die mit einer fremden Eizelle schwanger geworden sind, öfter Präeklampsien während der Schwangerschaft haben», weiss Wunder. Doch nicht nur das Alter der Mütter bringt Risiken; Männer über 45 geben ihren Kindern erheblich mehr genetisch bedingte Gesundheitsrisiken mit als junge Väter. Dazu gibt es zahlreiche Studien. Für die Forscher der Studie «Späte Väter» waren die Ergebnisse selbst schockierend. Zum Beispiel erhöht sie das Risiko psychischer Erkrankungen. Kinder alter Väter haben etwa ein höheres Risiko, an Autismus oder Schizophrenie zu erkranken. Laut Fehr liegt die medizinische Grenze bei Männern etwa bei 50 bis 55.

Ist späte Elternschaft nicht einfach eine logische Entwicklung unserer Gesellschaft? Letzte Woche ging es in dieser Zeitung um die steigende Lebenserwartung. Eine grosse Gruppe der Menschen werde 90 und älter. Der renommierteste Altersforscher Europas sprach gar von 130. Wenn wir immer älter werden und viele Jahre fit sind, wenn das Pensionsalter nach hinten verschoben wird und das heutige 60 längst nicht dasselbe 60 ist wie vor 30 Jahren, dann verschiebt sich vielleicht auch das Eltern-Sein nach hinten. Zeit haben wir ja. Und die medizinischen Möglichkeiten werden besser.

Auch wenn 50-Jährige heute wie 30-Jährige aussehen und durch die Gegend turnen, verschwindet die Natur nicht ganz: Die medizinischen Probleme und Risiken bei der Geburt bleiben bestehen.