Wie ein kleiner Hundecoiffeur selber zum Hund wird

«Dogman», der neue Film von «Gomorrha»-Regisseur Matteo Garrone zelebriert Kino als Spektakel. Ein gewaltiger Film - nichts für schwache Nerven.

Geri Krebs
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Ein stattlicher Kunde in Marcellos Hundesalon. (Bild: Xenix Films)

Ein stattlicher Kunde in Marcellos Hundesalon. (Bild: Xenix Films)

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Eigentlich erzählt «Dogman» nichts anderes als die uralte Geschichte eines guten Menschen, der vom Teufel in Versuchung ­geführt wird. Der kleine gute Mensch heisst hier Marcello, ein schmaler, gebückter Mann um die 50 mit treuherzigem Hundeblick. Er betreibt in einem zer­fallenden Strandbad nahe Rom einen Hundewaschsalon.

Den Teufel kann man in den Verhältnissen sehen, die in diesem heruntergekommenen Italien herrschen: Kokainhandel und Gewalt einer Männerwelt, in die der sanfte Marcello nicht ­hineinzupassen scheint. Auf den ersten Blick als Verkörperung des Bösen schlechthin, steht dem gegenüber der vierschrötige ­Simoncino, ein Ex-Boxer, kokainsüchtig und gewohnt, jeden ­brutal niederzuschlagen, der sich ihm in den Weg stellt.

Seltsam anmutende Freundschaft

Den Dealern und kleinen Mafiosos, die in diesem Strandbad mit seinen schäbigen Spelunken und düsteren Spielsalons das Sagen haben, ist Simoncino mit seinen viehischen Gewaltausbrüchen längst lästig geworden. So beschliessen sie, sich seiner irgendwie zu entledigen. Doch es ist Marcello, der in seltsam anmutender Freundschaft zu Simoncino steht und ihn zunächst unwissend vor diesem Schicksal bewahrt. Und auch als Simoncino Marcello nötigt, ihm bei seinen Einbruchstouren behilflich zu sein und Marcello am Ende sogar für ihn in den Knast geht, ist für «Dogman» Marcello das Mass noch nicht voll. Und selbst als Simoncino Marcello nach dessen Entlassung aus dem Knast körperlich schwer attackiert und ihn fragt: «Bin ich dein Freund?», antwortet Marcello noch mit Ja.

Es ist bisweilen schwer erträglich, mit anzusehen, wie dieser freundliche kleine Mann – der von seiner Frau getrennt lebt aber sich an den Wochenenden liebevoll um sein Töchterchen (eine der ganz wenigen weiblichen ­Figuren im Film) kümmert – in hündischer Ergebenheit zum Schläger Simoncino lebt.

Darstellerpreis in Cannes für Hauptdarsteller

Aber, so viel sei verraten: Irgendwann wendet sich das Blatt. Dass das auf einem hohen Gewaltlevel geschehen wird, lässt bereits die Eingangsszene vermuten. Man erblickt einen Kampfhund, angekettet an einem metallenen Waschtrog, daneben Marcello, der mit Schlauch und langstieligem Schrubber den Hund wäscht. Und dieser, in dem Moment eine tobende Bestie, lässt keinen Moment lang zweifeln: Er würde Marcello umgehend zerfleischen, wäre da nicht die Kette. Das Mass an Gewalt, das in «Dogman» in den folgenden hundert Minuten an mehreren Stellen hervorbricht, ist in dieser grossartig kadrierten Szene schon vorgegeben und der Gegensatz zum sanften Marcello, dessen Darsteller, der Laie Marcello Fonte, für seine grossartige Performance im ­vergangenen Mai in Cannes den Darstellerpreis erhielt, könnte grösser nicht sein.

Zehn Jahre sind vergangen seit «Gomorrha», Matteo Garrones düsterem Drama über das organisierte Verbrechen in der Region Neapel. Basierend auf dem Tatsachenroman von Bestsellerautor Roberto Saviano, zeigt er ein Italien, vor dem man sich fürchten muss. Das gilt eins zu eins auch für «Dogman». Die Verhältnisse in Teilen des Bel Paese sind heute nicht anders als damals.