Maximilian Janisch darf als 9-jähriger Gymnasiast nicht an der ETH Mathematik studieren und freut sich jetzt auf die Ferien. Im Interview spricht er über seine Begabung, die Absage der ETH und das Leben im Rampenlicht.
Hallo Max, wie ist es an der Prüfung gelaufen?
Maximilian Janisch: Das weiss ich doch nicht, sie ist ja noch nicht korrigiert.
Was wurde abgefragt?
Gelenke und Geschlechtskrankheiten.
Geschlechtskrankheiten! Interessiert Dich das als 9-Jähriger?
(Räuspert sich) Sie sind mir ziemlich egal.
Bist Du aufgeklärt?
In Biologie oder in Geschichte?
Interessiert Dich denn die menschliche Fortpflanzung?
Nein, aber meine 12- bis 13-jährigen Mitschüler schon. Die sind ja jetzt in der Pubertät.
Hast Du Dich schon mal verliebt?
Nein.
Lassen wir das. Hast Du heute schon gerechnet?
Nein, heute noch nicht. Was ich mache, nenne ich aber eher Mathematik. Rechnen – das sind die Grundrechenarten wie Potenzieren und so.
Dann ist Rechnen Kinderzeug?
Ich würde es mal so sagen: Rechnen ist auswendig lernen. Zum Beispiel das Einmaleins.
Aber Rechnen ist im Alltag wichtig, etwa wenn Du einkaufen gehst oder den Notenschnitt berechnest. Wo bleibt da die Mathematik?
Ohne Mathematik könnte man keine Elektronik beschreiben. So wäre es schwierig geworden, ein Gerät wie Ihr mitgebrachtes Aufnahmegerät zu entwickeln.
Kannst Du das erklären?
Klar, man braucht dazu beispielsweise die imaginären Zahlen. Kennen Sie die?
Ich erinnere mich nicht.
Ich erkläre sie Ihnen: zum Beispiel die Wurzel von –1. Die imaginäre Zahl nennt man i, wobei i im Quadrat –1 ist.
Verwirrend. Welche Disziplin interessiert Dich am meisten?
Ich mag die Stochastik sehr. In der Kombinatorik gefällt mir die hypergeometrische Verteilung. Ich erkläre sie am Beispiel des Zahlenlottos: Will ich die Wahrscheinlichkeit berechnen, vier richtige zu haben, dann muss ich rechnen: 6, für die Anzahl möglicher Erfolge, über 4, für den erwünschten Wert mal die Falschen, also 42 minus die 6, also 36 über 2. Das teile ich durch 42 über 6. (Anm. Der Redaktion: Maximilian liefert am Abend noch die Wahrscheinlichkeit. Sie beträgt 0.005 Prozent.)
Belassen wir es dabei. Was ausser Mathematik ist Dein Lieblingsfach?
Ich mag die Fremdsprachen sehr, allen voran Französisch. Wir haben in Südfrankreich ein Haus. Dort spreche ich Französisch mit Nachbarskindern.
Sind das Deine Freunde?
Ja, ich würde schon sagen. Sie sind auch etwa gleich alt wie ich.
Im August wird Maximilian zehn Jahre alt. Mit seinen Eltern wohnt er in Meierskappel LU und besucht seit letztem Sommer das Gymnasium in Immensee SZ. Maximilian gilt als höchstbegabt. In Mathematik hat er diesen Frühling als 9-Jähriger bereits die Maturaprüfungen mit Bestnoten abgelegt. Daraufhin wollten Maximilians Eltern ihren Sohn an der ETH in Zürich für das Bachelor-Mathematikstudium anmelden. Vor knapp zwei Wochen kam es in Zürich zu einem Gespräch zwischen Maximilian und seinen Eltern sowie der ETH-Leitung. Aus formaljuristischen Gründen - wegen der fehlenden Matura - verwehrt die ETH Maximilian die reguläre Teilnahme am Studium, bietet ihm aber an, als Gast an den Vorlesungen teilzunehmen. Das aber wollen weder Maximilian noch seine Eltern. Er will jetzt an die Universität. (Dfu)
Wer ist Dein bester Freund?
Meine Nachbarin, eine alte Primarschulkollegin, die ich aber nur noch selten sehe. Sie steht gerade vor dem Übertritt ans Gymnasium.
Ist nicht Dein Vater Dein bester Freund?
Irgendwie schon, ich bin zufrieden mit ihm. Aber er ist ja, wie auch meine Mutter, mehr als ein Freund.
Zurück zur Mathematik: Hast Du ein Lieblingstheorem?
Mir gefällt irgendwie das Problem: an+bn ungleich cn für n grösser als 2 – Fermat’s Last Theorem also. Es dauerte mehr als drei Jahrhunderte, bis der Beweis geliefert wurde. Das war 1994.
Gibt es ein ungelöstes Problem, das Du gerne lösen würdest.
Ich studiere erst einmal die lösbaren Probleme. Denn ich weiss ja nicht, ob sich ein bisher ungelöstes Problem überhaupt lösen lässt.
Wie wäre es mit einem eigenen Satz – Maximilians Theorem zum Beispiel?
Nein, das ist nicht mein Ziel.
In der Mathematik gibt es falsch und richtig. Möchtest Du am liebsten auch in Deinem Alltag in falsch oder richtig einteilen können?
Wenn ich etwas mache und kein brauchbares Feedback erhalte, ob etwas falsch oder richtig ist, dann fühle ich mich schon unsicher. Das Schöne an der Mathematik sind die klaren Antworten. Beim Skifahren zum Beispiel kann man einen Schwung zwar richtig, ihn aber vielleicht noch richtiger machen.
Fährst Du gerne Ski?
Ja, schon. Aber eben: Mathematik liefert die exakteren Antworten.
Interessiert Dich Politik?
Hm, ich werde wahrscheinlich nie Politiker. Und wenn, dann wäre ich wohl eine Art Dagobert-Duck-Politiker, der Donald sagt: Wenn Du mir hilfst, dann kriegst Du einen Anteil von 0,001 Prozent.
Eine Alles-oder-nichts-Strategie also. Manchmal muss man aber auch Teilen. Kannst Du das?
Ich versuche schon, andere zu überreden, das zu machen, was ich will. Ich gestalte den Deal aber dann so, dass er für beide vorteilhaft ist. Es ist wie eine Symbiose: Eine Alles-oder-nichts-Strategie würde wohl schlecht ankommen, fürchte ich.
Ende Woche beginnen Deine Schulferien. Was magst Du lieber: Schule oder Ferien?
Nach langer Unterrichtszeit habe ich das Gefühl, der Schulstoff wachse mir aus den Ohren. Wir hatten im vergangenen Semester 50 Tests. Das war mir zu viel und es hat mich gestresst.
Und wenn Du wählen müsstest zwischen Mathematik und Ferien?
Sagen wir es so: Ich mache auch in den Ferien täglich eine halbe oder eine Dreiviertelstunde Mathematik.
Was treibst Du sonst in den Ferien?
Ich gehe Schwimmen, spiele mit den Nachbarskindern oder springe Trampolin. Das lockert mich auf.
Nach den Ferien wolltest Du an der ETH Mathematik studieren. Die ETH lehnte nun ab. Bist Du sehr enttäuscht?
Das Leben geht weiter. Dieser Entscheid war ja zu erwarten.
Fühlst Du Dich diskriminiert, dass Du noch nicht studieren darfst?
Ich sage es so: Die ETH diskriminiert mich nicht direkt wegen meines Alters. Sie verhindert es aber auch nicht, dass ich diskriminiert werde.
Weisst Du, was Diskriminierung ist?
Ja, die Frauenrolle zum Beispiel unter einem Patriarchat.
Weisst Du, wer Nelson Mandela ist?
Nein.
Er hat die Rassendiskriminierung in Südafrika bekämpft.
Dafür ist mir Martin Luther King geläufig. Er hat gesagt: «I have a dream.»
Welches ist denn Dein Traum?
Ich bin eigentlich kein Tagträumer. Ich nehme es, wie es kommt.
Macht es Dich nicht wütend, dass Du nicht an die ETH Prüfungen ablegen darfst?
Nein, nicht wütend. Ich finde es schade, dass die ETH nicht flexibel genug ist und mir die Möglichkeit gibt, Prüfung zu schreiben.
Was machst Du, wenn Du wütend bist?
Dann warte ich einfach mal ab. Denn die Zeit heilt alle Wunden.
Hast Du Deine Eltern schon einmal richtig wütend gemacht?
Wie definiert sich richtig wütend?
Hast Du sie zum Beispiel schon mal richtig enttäuscht?
Nein, ich denke nicht.
Waren Deine Schulkameraden nicht neidisch, dass Du jetzt so im Rampenlicht stehst?
Würde sie das neidisch machen, dann wären sie bereits zuvor neidisch gewesen. Aber ich glaube nicht, dass sie das sind.
Hast Du die Kommentare auf die Medienberichte gelesen, in denen es hiess «armes Kind», «lasst dem Kind seine Kindheit», «lasst ihn besser im Wald rumtoben»?
Ja.
Haben sie Dich verletzt?
Nein. Denn mir genügt es zu wissen, dass ich im Wald rumtoben darf.
Und, tust Du das?
Nicht so oft. Aber ich könnte, wenn ich wollte. Ich mache lieber Mathematik.