Heimtückische und unerwünschte Eindringlinge im Reisegepäck

Immer mehr Touristen bringen Insekten ins Land, die in der Landwirtschaft grosse Schäden anrichten können. Der Japankäfer hat beinahe die ganze Erde erobert.

Andreas Lorenz-Meyer
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Der Japankäfer ist ein schillerndes Insekt, aber leider sehr gefrässig. (Bild: Ivan Kuzmin/Keystone)

Der Japankäfer ist ein schillerndes Insekt, aber leider sehr gefrässig. (Bild: Ivan Kuzmin/Keystone)

Der Japankäfer, Popillia japonica, hat braune Flügeldecken, ein ­metallisch schimmerndes grünes Halsschild, fünf weisse Haarbüschel an jeder Hinterleibsseite und hinten, auf dem letzten Abdominalsegment, nochmals zwei weisse Büschel. Wie der Name verrät, kommt das Insekt ursprünglich in Japan vor. Anfang des 20. Jahrhunderts verschleppte man es dann an die Westküste Nordamerikas. Vermutlich mangels natürlicher Gegenspieler konnte der Japankäfer dort in kurzer Zeit eine grosse Population aufbauen.

In Europa ist er auch längst angekommen. In den 1970er ­Jahren wurde er auf den Azoren nachgewiesen, 2014 in der Lombardei – und 2017 im Tessin. Für Schweizer Bauern keine gute Nachricht, denn der Neuankömmling ist polyphag. Das heisst, er isst so gut wie alles, was ihm vors Kauwerkzeug kommt. «Ein landwirtschaftlicher Schädling mit vielen potenziellen Wirtspflanzen, der bei uns grossen Schaden anrichten könnte», stellt der Agroscope-Doktorand Marc Grünig fest. Glücklicherweise habe es in der Schweiz bisher aber keinen Populationsausbruch gegeben.

Grünig arbeitet an einem Forschungsprojekt von Agroscope und der ETHZ-Gruppe für Landschaftsökologie, bei dem es um die mögliche künftige Verbreitung von rund 90 verschiedenen Schadinsekten in Europa geht. Sie stehen auf der Liste der European Plant Protection Organisation (EPPO) und werden als Quarantäneorganismen eingestuft, deren Einschleppung unbedingt zu verhindern ist.

Die Ankunft der Käfer mit Modellen berechnen

Die meisten Arten wurden in Europa noch nicht nachgewiesen, aber das könnte sich ändern. Grünig berechnet, wo ihre Ankunft wann zu erwarten ist. Seine Vorhersagen basieren auf Species Distribution Models, kurz SDM. Das sind statistische Modelle, die die aktuelle Verbreitung einer Art mit den klimatischen Bedingungen in einem Gebiet koppeln. Für ein SDM benötigt man die Koordinaten von Punkten, an denen eine Art nachgewiesen wurde, sowie Umweltvariablen wie Temperatur und Niederschlag. Das Modell lässt sich auf Gebiete übertragen, wo eine Art nicht ­vorkommt. Anhand der dortigen klimatischen Bedingungen wird berechnet, ob sie ein geeignetes Habitat vorfindet oder nicht.

Um nun die Lage in 20 oder 30 Jahren herauszubekommen, braucht es Klimaszenarien. Grünigs Klimadaten basieren auf Berechnungen der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL. Man verwendet vier verschiedene Modelle sowie für alle vier Modelle jeweils zwei verschiedene Emissionsszenarien. So entsteht ein recht genaues Bild davon, wie sich die potenzielle Ausbreitung der Schadinsekten mit dem Klimawandel verändert.

Erste Ergebnisse sind schon da. Zum Beispiel, wo die aus Nordamerika stammende Apfelfruchtfliege, Rhagoletis pomonella, anzutreffen sein wird. Bis jetzt ist sie in Europa noch nicht aufgetaucht, obwohl sie sich von den klimatischen Bedingungen her in Süd- und Mitteleuropa wohl fühlen könnte. Mit der Zeit, so die Berechnungen, wandert ihr geeignetes Habitat jedoch in Richtung Norden. Grünigs Erklärung: «Die Apfelfruchtfliege mag es nicht zu trocken und zu heiss. Die Klimaszenarien zeigen aber, dass gerade der Süden Europas trockener und heisser wird. Das Klima dort wird für die Apfelfruchtfliege irgendwann nicht mehr geeignet sein.» Daher das Ausweichen in Richtung Skandinavien. In Nordeuropa wird die Wärmesumme mit dem Klimawandel zunehmen – und irgendwann in bestimmten Regionen ausreichend sein für die Apfelfruchtfliege.

Wenn Schadinsekten gleichzeitig auftreten

Schadinsekten sind jetzt schon ein Riesenproblem. Global zerstören sie geschätzt 10 bis 16 Prozent der jährlichen Ernte, so Grünig. Hinzu komme ein ähnlich hoher Anteil, der durch Einflüsse von Schadinsekten nach der Ernte ungeniessbar wird. Kommen invasive Schadinsekten dazu, könnte der Ernteausfall noch schlimmer werden. «Deshalb müssen wir die Gefahr, die von ihnen ausgeht, sehr ernst nehmen», meint Grünig. Zumal theoretisch auch mehrere neue Schadinsekten gleichzeitig auftauchen könnten, die dann alle zusammen bekämpft werden müssten. Dieses Risiko hält Grünig zwar für eher gering, da die Pflanzenschutzkontrolle an den Grenzen sehr gut funktioniere und die Ausbreitung von vielen Schadinsekten unterbinde. «Durch das steigende globale Handelsvolumen ist es aber unmöglich, alles zu kontrollieren.» Zudem gebe es immer mehr Privatreisende, die Pflanzen aus den Ferien als Souvenir mitbringen. Und damit riskieren, Schadinsekten einzuschleppen.

Europa sollte gut auf den ­erhöhten Schädlingsdruck vorbereitet sein, so Grünigs Fazit. Beispiele in junger Vergangenheit zeigten, welche Konsequenzen auf die Landwirtschaft zukommen, wenn sie sich von einem neuen invasiven Schädling überraschen lässt. Die Kirschessigfliege brachte 2014 viele Schweizer Produzenten in Bedrängnis und richtete auch in den darauffolgenden Jahren enorme Schäden im Obst- und Weinbau an. Die optimalen Bekämpfungsstrategien mussten Agroscope, Forschungsinstitut für biologischen Landbau und die kantonalen Fachstellen erst erarbeiten. Dafür waren Praxis- und Laborversuche nötig. Grünig: «Diese Versuche kosten viel Zeit – die man in einem solchen Fall aber nicht hat.» Daher gilt es, bereits im ­Voraus möglichst viele Informationen zu Schadinsekten zu ­sammeln. Die Studie soll dafür Wissen bereitstellen, damit Entscheidungsträger die Gefahr besser abschätzen können. Bei den Massnahmen denkt Grünig in erster Linie an Überwachung mit Pheromonfallen, wie es sie beim Japankäfer gibt. Populationen neuer Schädlinge müssen so früh wie möglich entdeckt werden. Dann lässt sich ihre weitere Ausbreitung bremsen.