Grüne Mode
Gleich mehrere Schweizer Unternehmen wollen das Meer mit Mode aus Plastik retten – doch wie sinnvoll sind die Ideen?

Was in der Natur stört, kann in Kleidern und Taschen zu neuem Glanz finden. Schweizer Labels mischen im boomenden Recyclingmarkt mit.

Niklaus Salzmann
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Im Meer sind verlorene Fischernetze gefährlich für Tiere, an Land werden sie zu hochwertigem Nylon.

Im Meer sind verlorene Fischernetze gefährlich für Tiere, an Land werden sie zu hochwertigem Nylon.

Bild: Imago

Endlich wieder halbwegs normale Sommerferien, in denen wir ans Meer fahren und uns in hübscher Bademode in den Sand legen können. Unter den Sonnenschirm und zwischen verbeulte, verblichene PET­-Flaschen. Denn um Meeresmüll kommen wir nicht herum, er gehört seit einigen Jahren zum Strand wie der Geruch nach Sonnencreme. Die meisten nehmen ihn als notwendiges Übel in Kauf. Andere sammeln ihn und bringen ihn zum nächsten Abfalleimer, bevor sie sich hinfläzen. Und einige wenige machen sich Gedanken darüber, wie sich all der achtlos weggeworfene Kunststoff nochmals verwerten liesse.

Zum Beispiel Andreas Fehr. Das Label Neumühle, das er mit seiner Mutter 2015 gegründet hat, verkaufte ursprünglich die von ihr gehäkelten Wollmützen. Doch als er auf Reisen in China und Südostasien täglich mit der Plastikmüllproblematik konfrontiert war, wollte er etwas dagegen tun – und ergänzte das Sortiment durch einen Schal, der teilweise aus recycelten PET-Flaschen gefertigt wird. Vor zwei Jahren kamen Bademode und Rucksäcke dazu. In diesen steckt Econyl, eine Recycling-Nylonfaser. Das Material dieser Faser stammt unter anderem von sogenannten Geisternetzen, die von freiwilligen Taucherinnen und Tauchern aus dem Meer geholt werden. Solche verlassene Fischereinetze sind in der Natur eine tödliche Falle für Fische, Tauchvögel, Meeressäuger und Schildkröten.

Bei Neumühle werden die Netze zu eleganten Badehosen, Bikinis, Schwimmanzügen. Der Showroom im Zürcher Viadukt macht klar, dass das nichts mit Ökomief zu tun hat.

In der Badehose von Neumühle stecken ausgediente Fischernetze

In der Badehose von Neumühle stecken ausgediente Fischernetze

Bild: zvg

Preislich liegen die Produkte im gehobenen Segment. Andreas Fehr will damit auch ein Zeichen gegen Fast Fashion setzen und verspricht dafür Langlebigkeit.

«Die Textilbranche ist einer der grössten Klimasünder», sagt er. Um das zu ändern, arbeitet er daran, den ganzen Lebenszyklus seiner Produkte zu optimieren. Zur Bademode gehört zum Beispiel ein Gratis-Reparaturservice während fünf Jahren. Das neuste Produkt im Sortiment ist eine Daunenjacke, die ebenfalls zum Teil aus Econyl gefertigt ist. Die einzelnen Bestandteile lassen sich einfach trennen und erneut dem Recycling zuführen – nur so wird der Kreislauf geschlossen.

Der Profisnowboarder verkauft Socken aus Meeresmüll

Neumühle ist nicht das einzige Schweizer Label, das auf Meeresmüll setzt. So wurde im vergangenen Jahr von vier leidenschaftlichen Surfern das Sportsockenlabel Teal lanciert.

Die Socken von Teal sind für schwere Belastungen beim Sport ausgelegt.

Die Socken von Teal sind für schwere Belastungen beim Sport ausgelegt.

Bild: zvg

Die Socken bestehen zu rund drei Vierteln aus recyceltem Plastik, ein Teil davon Meeresmüll aus dem Mittelmeer und dem Atlantik. Das prominente Gesicht dieses Labels ist der Zürcher Snowboardprofi David Hablützel. Er hat mitgeholfen, im Sortiment die Wintersportsocke für Funktionalität beim Sport zu optimieren. Mit Polstern, Kompressionszonen und hohem Feuchtigkeitstransport sitzt sie auch bei Sprüngen in der Halfpipe bequem am Fuss.

Der Blick in die Modewelt zeigt, dass Recycling nicht mehr nur eine Nische besetzt, sondern ein breites Publikum anspricht – darunter junge Menschen, Hablützel ist selber erst 25 Jahre alt. Arrivierte Marken springen auf den Zug auf. So hat das bekannte Basler Label Tarzan neu Schwimmsäcke aus recycelten PET-Flaschen im Sortiment. Der Vorteil von direkt gesammelten Flaschen gegenüber Meeresmüll ist, dass der Kunststoff sortenrein und von vergleichsweise hoher Qualität ist. Sogar im Tiefpreissegment hat der Trend Einzug gehalten: C&A führt Kleider mit Polyester, das zum grössten Teil aus recycelten PET-Flaschen stammt.

Mit der Nachfrage seitens der Kundinnen und Kunden wächst das Angebot an derartigen Materialien. Die Pioniere von Got Bag aus Deutschland, die den nach eigenen Angaben weltweit ersten Rucksack aus recyceltem Meeresplastik auf den Markt brachten, arbeiten noch direkt mit einem eigenen Sammelprojekt in Indonesien.

Got Bag lancierte vor fünf Jahren die ersten Rucksäcke aus Meeresplastik.

Got Bag lancierte vor fünf Jahren die ersten Rucksäcke aus Meeresplastik.

Bild: zvg

Die Econyl-Faser hingegen, die unter anderem Neumühle verwendet, stammt von Aquafil, einem weltweit tätigen Anbieter von Kunstfasern.

Auch recycelte Mode erzeugt Mikroplastik

Bei so vielen Akteuren stellt sich die Frage, welche es ernst meinen mit ihrem Beitrag zur Ökologie und welche sich aus rein geschäftlichen Gründen ein hübsches grünes Mäntelchen anziehen. Hohe Glaubwürdigkeit haben diejenigen, deren gesamtes Sortiment von der Produktion über die Lebensdauer bis zur Entsorgung ökologisch ausgerichtet ist.

Denn auch Produkte aus Recyclingplastik sind nicht per se umweltfreundlich. Zum Beispiel gelangen bei jedem Waschgang über das Abwasser Fasern als Mikroplastik in die Umwelt. Sinnvoll sind solche Materialien für Produkte, die wenig oder nie gewaschen werden – zum Beispiel Taschen – oder bei denen sich aus praktischen Gründen Kunststoff kaum vermeiden lässt, wie bei Bademode. Bei der Bluse dürfte hingegen Baumwolle die umweltfreundlichere Alternative sein.

Ein weiterer Faktor ist der Energiebedarf sowohl des Transports als auch der Herstellung. Faustregel: Je weniger verarbeitet, desto weniger Energie steckt im Material. Am effizientesten ist der Prozess, wenn der Kunststoff nicht mal eingeschmolzen wird – wie bei den Freitag-Taschen aus Lastwagenplane, die schon lange vor dem Nachhaltigkeitsboom die Schweiz eroberten. Dieses Prinzip sagt auch dem Team der Konzernverantwortungsinitiative zu: Sie verkaufen aktuell Taschen, Gym Bags und Portemonnaies, die aus den Bannern und Fahnen des Abstimmungskampfs genäht wurden.

Die Ergebnisse der Wahlen und Abstimmungen der letzten Jahre, aber auch das Konsumverhalten zeigen, dass ein grosser Teil der Bevölkerung Verantwortung gegenüber der Umwelt übernehmen will. An­dreas Fehr von Neumühle betrachtet denn auch Nachhaltigkeit nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal. «Sie soll der neue Standard werden», sagt er.

«Auf diesem Fundament wollen wir uns mit unserem Design diversifizieren.»
Andreas FehrGründer des Modeunternehmens Neumühle

Andreas Fehr
Gründer des Modeunternehmens Neumühle

Bild: Grace Z. Abonillo

Das gelingt ganz gut. Er beliefert nebst dem eigenen Showroom und dem Webshop bereits zwanzig Läden.