Ein Berner Forscher findet den «perfekten Hanf»: Ein Moos, das weniger berauschend wirkt, aber Entzündungen stärker hemmt.
Cannabis erlebt gerade ein Revival: Je mehr über die positive Wirkung des Inhaltsstoffs THC bekannt wird, desto lauter wird die Forderung, es zu legalisieren. In Kanada wurde Cannabis letzte Woche legalisiert. In den Niederlanden, Spanien, Kolumbien, Chile oder Teilen der USA ist es schon länger so. Und seit zwei Jahren ist in der Schweiz immerhin das CBD-Gras legal erhältlich. Also jener Stoff, der die gleiche chemische Formel wie THC hat, aber eine etwas andere molekulare Struktur und drum nicht psychoaktiv ist. Beide Stoffe wirken gegen Schmerzen, Krämpfe, Schwindel und Appetitverlust und sollen auch bei Epilepsie, Psychosen, Schlafstörungen und sogar Krebs helfen.
Das alles kann wahrscheinlich auch ein bestimmtes Moos, das nur in Japan, Neuseeland und Costa Rica wächst: das Lebermoos Radula. Für die medizinische Verwendung ist es sogar noch besser: «Wir konnten in Versuchen mit Mäusen zeigen, dass die Wirkstoffe des Mooses schnell ins Gehirn gelangen und dort sogar eine stärkere entzündungshemmende Wirkung haben als THC», sagt Jürg Gertsch vom Institut für Biochemie und Molekulare Medizin der Universität Bern.
Gertsch entdeckte vor einigen Jahren, dass Lebermoose im Internet als legale Rauschdrogen («Legal Highs») angepriesen wurden und beschloss, deren Wirkung genauer zu analysieren.
Es kursieren Gerüchte, das Urvolk Neuseelands, die Maori, hätten das Moos schon verwendet, doch Gertsch zweifelt daran: «Ich denke, das Moos wurde erst berühmt, als der japanische Pflanzenchemiker Yo- shinori Asakakawa es 1994 analysierte und eine dem THC verwandte Substanz entdeckte.» Asakakawa nannte den Stoff Perrottetinen. Die einzelnen Atome sind ähnlich wie bei THC verknüpft, aber anders angeordnet. Diese Anordnung ist offenbar idealer für den menschlichen Körper: Es kommt im Gehirn zu weniger Rausch als nach der Einnahme von Cannabis, das heisst, zu weniger Konzentrationsproblemen, die auf eine leichte Vergiftung des Gehirns hindeuten.
Die Mäuse im Versuch mit Perrottetinen wurden aber leicht träge, weniger schmerzempfindlich und ihre Körpertemperatur sank – was man auch als leicht «stoned» zusammenfassen kann.
Gertsch war selbst überrascht von diesen Erkenntnissen: «Cannabis und das Lebermoos liegen 300 Millionen Jahre in der Entwicklungsgeschichte auseinander und produzieren doch beide psychoaktive Cannabinoide. Das ist erstaunlich», sagt er. Sonst ist diese Wirkung von keiner anderen Pflanze bekannt – Gertsch und sein Team haben sehr viele Heilpflanzen darauf untersucht. Warum das Lebermoos Radula den Stoff produziert, ist nicht klar, also auch nicht, ob und wie der Stoff der Pflanze nützt. Die Gene dazu haben laut Gertsch auch andere Lebermoose, und doch produzieren diese den Stoff nicht.
«Der Fund zeigt, dass man in der Pharmakologie nicht rein synthetisch vorgehen soll – man kann sich von der Natur inspirieren lassen», sagt Gertsch.
Auf das Können der Synthesechemiker war die Uni Bern aber angewiesen, denn es wäre nicht möglich gewesen, für die Forschung genügend Stoff aus natürlichem Lebermoos zu isolieren. Dazu ist das Radula zu wenig verbreitet. An der ETH Zürich schaffte es eine Gruppe um Erick Carreira, mit einer neuen Synthese die Struktur in Molekülen zu kontrollieren und die Perrottetine künstlich aus einfachen chemischen Vorstufen herzustellen.
Selbst ausprobiert hat Gertsch die Wirkung des Lebermooses nicht. Es werde offenbar geraucht, aber erst, wenn der Wirkstoff in Öl gelöst werde, soll es positiv-beruhigend wirken. «Das sind aber nur Anekdoten», betont Gertsch. Wohl ist aber das Risiko klein, dass das Moos missbraucht wird, bei einer so geringen psychoaktiven Wirkung. «Aber für die Medizin wollen wir weitere Studien machen, um die Wirkung zu erforschen», sagt Gertsch. Er hofft, dass es Patienten mit Entzündungen im Nervensystem, wie Multipler Sklerose, helfen könnte, und dass er eine Firma findet, die an der klinischen Entwicklung des Stoffes interessiert ist.
Gertschs Entdeckung interessiert auf jeden Fall auch das Ausland: Sogar das britische Medienhaus BBC hat ihn um Auskunft zu seiner Studie gebeten.