Per App kann man bald den Blutzucker, die Fruchtbarkeit und den Urin testen. Spart das Arztbesuche?
Die Smartwatch misst den Puls und die verbrannten Kalorien. Das Smartphone überprüft am Abend den Blutdruck und das tägliche Aktivitätsziel und am nächsten Morgen dokumentiert man die Schlafdauer: Der ständigen Vermessung des Körpers durch die mobilen Geräte scheinen keine Grenzen gesetzt. Die Anzahl Gesundheits-Apps ist in den letzten Jahren rasant gestiegen.
Mit dem Fortschritt der Technologie eröffnen sich nun Möglichkeiten für neue und genauere Arten von Tests. Und das alles mit dem Smartphone. Medizinische Tests, die vorher zwingend eine ärztliche Untersuchung benötigten, werden zum einfachen Kurz-Check per App.
Doch wie ist das technisch möglich? Erst kürzlich wurde bekannt, dass Apple laut dem Wirtschafts- und Finanznachrichtensender «CNBC» an der Entwicklung von Sensoren zur Behandlung von Diabetes arbeitet. Entwickelt werden diese von einem geheimen Team von Wissenschaftlern, das noch vom Apple-Mitgründer Steve Jobs ins Leben gerufen worden ist. Apple will laut «CNBC» damit in die Medizintechnik einsteigen und einen Durchbruch in der Blutzucker-Diagnose erreichen. Bis heute ist es noch keinem Biomediziner gelungen, den Blutzucker ohne Stich in die Haut zuverlässig zu messen. Nun sollen Sensoren durch die Haut leuchten und dabei den Glukosegehalt im Bindegewebe messen. So sei es möglich, den Blutzuckerspiegel konstant zu überwachen. Die neue Technik wäre für Millionen von Diabetespatienten auf der Welt ein Vorteil, da sie ihre Gesundheit besser kontrollieren könnten.
Neben Apple gibt es noch viele andere Technologie-Konzerne aus dem Silicon Valley, die im Bereich der Bioelektronik aktiv sind. Letztes Jahr gaben das britische Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline und der Google-Mutterkonzern Alphabet die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens bekannt. Das Ziel des neuen Bioelektronik-Unternehmens sei es, mithilfe kleiner Implantate Asthmatiker und Diabetiker zu unterstützen. Die Technologie sendet elektrische Signale durch den Körper. Genaue Details sind derzeit nicht bekannt.
Dem ist nicht genug. Vor einigen Wochen haben Medizinforscher der Harvarduniversität im Fachblatt «Science Translation Medicine» vorgestellt, wie man per Smartphone und Zubehör die männliche Fruchtbarkeit testen kann. «Wir wollten eine Lösung finden, Infertilitätstests für Männer genauso einfach und kostengünstig zu machen wie Schwangerschaftstests», so Studienleiter Hadi Shafiee von der Harvard Medical School in Boston. Die Standard-Methode für einen Sperma-Check beim Arzt kann teuer und aufwendig sein. Ausserdem schreckt Männer ein klinischer Test oft ab.
Das System besteht aus einem optischen Zubehörteil, welches mit einem Smartphone verbunden werden kann. Die Spermaprobe gelangt zunächst mittels Pipette und Röhrchen in einen Mikrochip. Danach leitet eine Smartphone-App durch den Analyse-Prozess, die Spermien werden nach Beweglichkeit und Konzentration ausgewertet. Laut den Forschern liege die Genauigkeit bei 98 Prozent. Neben der Samenanalyse könne das Gerät auch Blut und Speichel testen. Laut Shafiee wird in der Zukunft an diesen Möglichkeiten gearbeitet.
Auch in Deutschland gibt es Fortschritte bezüglich Gesundheits-Apps. Das WC-Unternehmen Duravit hat letzten Monat an einer Sanitärmesse in Frankfurt eine Toilette vorgestellt, die per App vollautomatisch den Urin analysiert. Der sogenannte Biotracer fängt einige Tropfen des Urins auf einem Teststreifen auf und der optische Sensor scannt diese. Die biologischen Parameter wie Glukosegehalt, Proteinwert oder pH-Wert werden gemessen, per Bluetooth an das Smartphone gesendet. Die App informiert dann bei gesundheitlichen Normabweichungen. Damit könne die persönliche Fitness und Ernährung überwacht werden.
Blutzucker, Asthma, Fruchtbarkeit und den Urin mit einem Handy messen. Die Apps der Zukunft scheinen alles zu können. Auf der einen Seite sollte man mit gesunder Vorsicht die Funktionalität dieser technischen Wunder hinterfragen. Unter den funktionierenden Applikationen finden sich im App Store nämlich auch unseriöse und fehlerhafte. Auf der anderen Seite erleichtert es gewissen Patienten die Lebensqualität und baut Hemmungen ab: Nicht selten kommt es vor, dass man sich für einen Fruchtbarkeitstest schämt. Diabetiker sparen sich mit einer optischen Messfunktion ausserdem den Stich in den Finger.
Laut Ernst Hafen, Professor an der ETH und Mitgründer des Schweizer Vereins «Daten und Gesundheit», wird in naher Zukunft eine grosse Veränderung in der Medizin stattfinden: «In schätzungsweise fünf Jahren ist das Handy ein medizinisches Gerät, bei dem das Kommunizieren fast nur noch eine Nebenfunktion darstellt.» Der Arzt selber werde dadurch nicht ersetzt. Er nehme vielmehr eine neue Rolle ein. Messungen, die man früher einmal im Jahr vornahm, werden durch Apps kontinuierlich möglich. Dadurch sei bei potenziellen Abweichungen der Arztbesuch gar häufiger. Diese Entwicklung werde Möglichkeiten für die Forschung sowie neue Firmen und medizinische Berufe schaffen, die diese Daten analysieren und interpretieren können.
Doch auch der Patient werde eine neue Rolle einnehmen. Statt bloss zum Arzt zu gehen, könne er die Tests selber machen und die Daten schliesslich zur Kontrolle der Praxis schicken. Doch aufgepasst: «Daten sind persönlich und wertvoll und der Patient sollte die volle Kontrolle darüber haben», sagt Hafen. Sein Verein beabsichtigt für alle Patienten eine Gesundheits-Datenbank zu erstellen. Der Bürger soll damit Einblick zum Umgang seiner gesamten medizinischen Daten haben. So könne man einsehen, was damit geschehe und selber entscheiden, wofür sie genutzt werden. Jedoch sind die Daten in manchen Apps nicht geschützt. Bevor man diese nutzt, sollte man sich informieren.
Laut Hafen ist das noch nicht das Ende der künftigen Entwicklungen: «In nur wenigen Jahren wird es einen grossen Fortschritt bei Gesundheits-Apps geben. Wir stehen am Anfang einer Revolution.»
Krankenversicherungen wie die CSS sind nicht gänzlich von Smartphone-Tests überzeugt. «Es existiert derzeit eine Vielfalt an Applikationen, die allerdings wissenschaftlich nicht validiert sind. Deren Nutzen ist unklar, im schlimmsten Fall sogar kontraproduktiv», so Mediensprecherin Christina Wettstein. Durch den Gebrauch solcher Apps könne man
ungenaue oder fehlerhafte Gesundheitsdaten erhalten. Die CSS begrüsse jedoch die Tendenz, dass Versicherte mittels Apps ihre Gesundheit überprüfen und so Verantwortung übernehmen. Daher entwickelten sie gemeinsam mit der ETH Zürich und der Universität St. Gallen das «CSS Health Lab». Im Fokus steht dort die Entwicklung von digitalen Therapieformen für chronisch Kranke, primär Diabetiker und Asthmatiker.