In den rumänischen Karpaten kämpfen Naturschützer für den grössten Nationalpark Europas. Unterstützung erhalten sie von einem Multimilliardär.
Die Wildnis beginnt direkt vor seiner Haustür. Von seinem Reiterhof in Șinca Nouă blickt Christoph Promberger auf die nahen Făgăraș-Berge, blühende Wiesen vor dunklen Waldhängen – ein vertrautes Panorama im rumänischen Siebenbürgen. Doch die Gegend hält weit mehr als idyllische Aussichten bereit.
«Ein so riesiges Gebiet ohne Strassen und Siedlungen, in dem noch immer Wolf, Bär und Luchs leben», sagt Promberger, «das ist in Europa ziemlich einzigartig.» Der deutsche Forstwissenschafter und Wildbiologe leitet zusammen mit seiner Frau Barbara Promberger-Fürpass die Fundația Conservation Carpathia (FCC). Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, im Zentrum Rumäniens den grössten Waldnationalpark Europas zu schaffen. Ein Schutzgebiet von mehr als 250 000 Hektar soll dabei entstehen.
Wer durch die Waldeinsamkeit der Făgăraș-Berge wandert, mag tagelang keinem Menschen begegnen. Dagegen stehen die Chancen gut, auf Bären- oder sogar Wolfsspuren zu stossen. Was für Touristen wie ein vom Menschen unangetastetes Naturparadies wirkt, ein seit Jahrhunderten vergessener Wald, ist jedoch in Wahrheit eine Wildnis in Gefahr.
In den 2000er-Jahren wurden in Rumänien mehrere tausend Quadratkilometer Land aus Staatsbesitz an die Bevölkerung zurückgegeben. Viele der neuen Waldbesitzer hatten jedoch nur wenig Bezug zu ihrem Eigentum. So kauften Holzhändler ihnen für wenig Geld riesige Flächen ab und liessen sie roden.
Eine regelrechte Mafia entwickelte sich und vermachte – gedeckt durch korrupte Politiker – das Holz an inländische Holzeinschlagunternehmen und ausländische Konzerne. Abertausende Hektar Wald wurden – vor allem zwischen 2005 und 2010 – in den Karpaten illegal gerodet. Niemand kennt genaue Zahlen. Nach Angaben der Stiftung EuroNatur sollen von den mehr als 200 000 Hektar unberührter Wälder, die im Jahr 2004 kartiert wurden, gerade noch die Hälfte intakt sein.
«Wir waren schockiert, dass kein Mensch etwas unternommen hat», sagt Promberger über die Situation in den Făgăraș-Bergen. Die FCC konnte den Holzeinschlag in den von ihnen kontrollierten Gebieten inzwischen weitgehend aufhalten. Andernorts geht der Kahlschlag weiter. Die Kontrollen der staatlichen Behörden funktionieren oft nicht, die Verantwortlichen sehen weg oder sind selbst an dem Geschäft beteiligt.
Barbara und Christoph Promberger gründeten 2009 die FCC. Er kam bereits 1993 aus München nach Rumänien, um über die Grossraubtiere der Karpaten zu forschen. Sie schrieb ihre Diplomarbeit über Wölfe. Gemeinsam entschieden sie, in Siebenbürgen zu bleiben, und gründeten nach Abschluss ihrer Forschungsarbeit als begeisterte Pferdeliebhaber den Öko-Reiterhof Equus Silvania.
Einer glücklichen Fügung verdanken die Prombergers, dass sie unverhofft zu Eltern eines riesigen Schutzgebiets wurden. Sie erzählten einem Gast, der Schweizer Journalistin Hedi Wyss, von dem dramatischen Kahlschlag in den Karpaten. Die einzige Möglichkeit, die Wälder zu retten, sahen sie darin, Wald statt für den Holzeinschlag für den Naturschutz aufzukaufen. Wyss schlug den beiden vor, sich an ihren Bruder zu wenden. Die Stiftung des Berner Mäzens Hansjörg Wyss, der mit Medizintechnik reich wurde, fördert weltweit Naturschutzprojekte.
Die Prombergers luden ihn kurzerhand nach Rumänien ein. Der Multimilliardär war begeistert – und hatte gleich grössere Pläne: Am besten das gesamte Făgăraș-Gebirge mit den höchsten Gipfeln Rumäniens sollte zum Schutzgebiet werden. Inzwischen haben sich um die Prombergers bekannte Umweltschützer geschart.
Unterstützt werden sie von Unternehmern wie dem langjährigen Vorsitzenden von Jack Wolfskin, Manfred Hell, und dem dänischen Modemilliardär Anders Povlsen. Auf insgesamt 60 000 von der Stiftung kontrollierten Hektar ist die Jagd inzwischen nur noch in Ausnahmefällen möglich. Sieben Quadratkilometer, die bereits abgeholzt worden waren, wurden wieder aufgeforstet, mehr als zwei Millionen Bäume gepflanzt. In Rumänien soll, so hoffen es die Umweltschützer um die Prombergers, irgendwann einmal ein europäisches Yellowstone entstehen.
«Yellowstone ist ein Symbol, eine Ikone», sagt Promberger. «Amerika und Afrika haben Nationalparks, die wirklich jeder kennt. In Europa sticht jedoch keiner heraus.» In den Karpaten sieht der Biologe das Potenzial für ein riesiges Wildnisgebiet, in dem die Natur das Sagen hat. «In zwei oder drei Jahren ist das nicht zu schaffen», sagt Promberger, «aber vielleicht in 20.»
Ein Ausflug in das Stramba-Tal, nicht weit vom Hof der Prombergers gelegen, gibt einen farbenfrohen Eindruck von der einzigartigen biologischen Vielfalt, die der zukünftige Park bewahren soll. Durch das von Mischwald gerahmte Wiesental plätschert ein Flüsschen. Perlmuttfalter und Blauflügel-Prachtlibellen taumeln entlang der Ufer. Lichtnelken und Knabenkraut streuen ein zartes Violett ins Sattgrün der Wiesen. Auf das dumpfe Quaken der Gelbbauchunken und das knarrende Rufen der Wachtelkönige antworten der Kuckuck vom nahen Waldrand und der flötende Gesang des Pirols aus den Baumkronen.
Herrmann Kurmes sucht mit seinem Fernglas den Waldrand nach seltenen Vögeln ab. Der Siebenbürger Sachse aus dem nahen Vulcan – auf Deutsch: Wolkendorf – hat im Stramba-Tal unzählige Male nach besonderen Arten Ausschau gehalten. «Wenn wir Glück haben, erwischen wir auch einen Schreiadler oder Neuntöter», sagt er. Kurmes war einer der Initiatoren der rumänischen Vereinigung für Ökotourismus und ein Pionier für Naturreisen in den Karpaten.
Die meisten Touristen kommen wegen der Braunbären. Am Ende des Tals, wo der Wald immer näher an das Flüsschen rückt und es schliesslich fast ganz verschluckt, werden sie regelmässig gesichtet.
«Am Anfang sagten die Leute: Ihr seid verrückt!»
, erzählt Kurmes und lacht.
«Der Wolf gilt für viele hier noch immer als Hauptfeind des Menschen. Bären waren in der Ceaușescu-Zeit die grössten Devisenbringer durch die Trophäenjagd»
, sagt Kurmes. Das mache es schwer, einem Schäfer oder Jäger den Nutzen von Ökotourismus zu erklären. Aus der Idee wurde trotzdem ein Erfolgskonzept. Inzwischen locken die Grossraubtiere eine schnell wachsende Zahl an Touristen in die Karpaten.
Im Stramba-Tal breitet sich die Dämmerung aus. Kurmes folgt einem Ranger durch das Halbdunkel des Waldes. Vor einer Lichtung steigt er auf einen speziell für die Tierbeobachtung gebauten Hochstand. An diesem Abend ist ein französisches Paar gekommen. Mit dem Fernglas verfolgen sie einen Fuchs, der sich von den ausgelegten Schlachtabfällen die ersten Happen holt. Auch Raben und Bussarde haben wohl bereits auf die Fütterung gewartet. Bald taucht tatsächlich ein Bär auf und macht sich über eine Schweinehälfte her. Ihm folgen nach und nach acht weitere, darunter eine Mutter mit ihrem Jungen. Zeitweise sind sechs Bären gleichzeitig auf der Lichtung. Die Franzosen sind begeistert.
«Ich bin ein wenig reserviert gegenüber diesen Fütterungen», sagt Christoph Promberger am Tag danach auf seinem Hof. «Natürlich wollen die Touristen die Bären sehen – viele kommen ja gerade ihretwegen. Aber müssen sie unbedingt mit Süssigkeiten und Keksen gelockt werden?» Er nennt den Bärenhochstand im Stramba-Tal ein «Opfergebiet» – ein Ort, nach dem die Touristen verlangen, ohne deren Geld kaum noch ein Nationalpark auskommt. Naturschutz und Tourismus bilden oft eine Zweckgemeinschaft, die auch in den Karpaten voneinander abhängen. «So wie der Old-Faithful-Geysir in Yellowstone, wo sich die meisten Besucher drängen. Wenn 95 oder 99 Prozent des übrigen Parks Wildnis sind, kann ich mit solchen Orten leben.»
Spätestens im November soll das Carpathia-Schutzgebiet dem Yellowstone-Park noch ähnlicher werden. Während dort Bisons die Touristen locken, sollen in den Făgăraș-Bergen bald ihre eurasischen Verwandten wieder durch die Wälder streifen: Wisente. Die zotteligen Urrinder waren in Rumänien spätestens im 19. Jahrhundert ausgestorben. «In den nächsten fünf Jahren sollen 75 Tiere in die Wildnis zurückkehren», sagt Promberger.
Anreise
Ab Zürich fliegt die Swiss direkt nach Bukarest. Eine Anreise ist auch mit dem Fernbus oder Zug möglich. Für die Karpaten empfiehlt sich in jedem Fall ein Mietwagen.
Unterkünfte
Die Villa Hermani ist eine der schönsten Pensionen im Bergdorf Măgura und perfekte Ausgangslage für Wanderungen. Die Küche setzt auf lokale Produkte. Doppelzimmer inkl. Frühstück ab 35 Franken pro Person. www.cntours.eu
Pferdeliebhaber finden auf dem ökologisch geführten Reiterhof Equus Silvania das ideale Quartier für Ausritte in die Südkarpaten. Doppelzimmer inkl. Verpflegung ab 67 Franken pro Person.
www.equus-silvania.com
Die Cobor-Biodiversity-Farm ist ein erst kürzlich restaurierter und von der der Fundația Conservation Carpathia geführter Bauernhof. Doppelzimmer inklusive Verpflegung ab 63 Franken pro Person. www.cobor-farm.ro
Weitere Informationen www.carpathia.org