Geburten
Die Kinderlein kommen: Ein Babyboom, der keiner ist

In verschiedenen Spitälern kamen 2021 auffallend viele Babys zur Welt. Ein Corona-Effekt? Eher nicht. Eine andere Erklärung liegt näher.

Niklaus Salzmann
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Krisenresistenz: Die Schweizerinnen und Schweizer lassen sich von der Pandemie nicht in der Familienplanung stören.

Krisenresistenz: Die Schweizerinnen und Schweizer lassen sich von der Pandemie nicht in der Familienplanung stören.

Photohota / iStockphoto

Kurz vor dem grössten Geburtstagsfest der Welt, demjenigen des Jesuskindchens, melden diverse Spitäler einen Babyboom. Grabs im Kantons St. Gallen verzeichnete schon per 1. Dezember Tausend Geburten, mehr als im gesamten Vorjahr. Auch im Kantonsspital St.Gallen sind in den ersten elf Monaten des laufenden Jahres so viele Babys wie im ganzen Jahr 2020 zur Welt gekommen. Von einem Anstieg berichtet zudem das Kantonsspital Graubünden. Im Aargau rechnen die Spitäler in Aarau, Baden und Muri mit Rekorden, in Bern das Inselspital und das Spital Thun, und auch das Universitätsspital Basel wird mehr Geburten als im Vorjahr zählen.

Der Grund? Corona, heisst es vielerorts. Eine schöne Vorstellung: Weil die jungen Paare wegen Homeoffice und reduziertem Freizeitangebot vermehrt zu Hause sind, haben sie auch mehr Zeit für Partnerschaft und Liebe. Und nachdem im Frühling 2020 die erste Welle überstanden war, wurden sie auch wieder optimistisch genug, um diese Liebe fruchten zu lassen, um Kinder in die Welt zu setzen. Aber ist das wirklich die Erklärung?

Es ist heikel, solche Zusammenhänge zu Corona zu ziehen. Ein Babyboom war schon neun Monate nach dem Teil-Lockdown im März und April 2020 erwartet worden. Doch im Dezember 2020 gab es gerade mal ein Prozent mehr Geburten als im Vorjahr. Die Vorstellung von mehr Sex im Lockdown gehört wohl ebenso ins Reich der Legenden wie die angebliche Geburtenwelle nach einem Stromausfall in New York, die seit 1965 herumgeistert.

Weniger Babys in Spanien

Auch ein Zusammenhang zwischen Covid und den aktuellen Babybooms in Schweizer Spitälern ist fraglich. Andernorts ist sogar der umgekehrte Effekt zu beobachten: In Ländern wie Italien, Spanien, Ungarn und Portugal, aber auch in den USA, ist die Geburtenrate gesunken, wie eine Studie zeigte. In nordischen Ländern und in Deutschland blieb sie hingegen stabil. Das legt die Vermutung nahe, dass wirtschaftliche Unsicherheit eine Rolle spielt. Wer in Krisenzeiten befürchtet, arbeitslos zu werden, wartet wohl tendenziell eher zu mit dem Zeugen von Kindern. Auch die Angst vor Komplikationen in der Schwangerschaft dürfte auf einige potenzielle Eltern abschreckend gewirkt haben.

Wieso dann der Anstieg in Schweizer Spitälern? In einigen Fällen gibt es eine ganz einfache Erklärung: Benachbarte Geburstabteilungen wurden geschlossen. Die Geburtsabteilung in Münsingen BE stellte zum Beispiel per 31. August ihren Dienst ein; dass es in den benachbarten Städten Bern und Thun zu einem Anstieg kommt, ist wenig erstaunlich. Einen Monat zuvor war die stationäre Abteilung in Heiden AR geschlossen worden, zwanzig Autominuten von St. Gallen entfernt. Die Schliessung der Geburtenabteilung in Walenstadt im Februar 2020 dürfte in Grabs und Chur zu Buche schlagen, und dies im 2021 stärker als im Vorjahr, da es damals nur 11 Monate waren.

Während des Lockdowns gingen die Geburtenzahlen zurück

Interessant sind die Zahlen vom Universitätsspital Basel. Dort gibt es zwar heuer mehr Geburten als im Vorjahr - aber in früheren Jahren waren es ebenfalls mehr. Das Ausreisserjahr ist nicht 2021, sondern es war 2020. Auffallend tief waren damals der März und April. Möglicherweise waren einige werdende Mütter im Lockdown auf Hausgeburten ausgewichen, der Redaktion liegen aber noch keine Daten dazu vor.

Fehlt einzig eine Erklärung für die Anstiege in Aargauer Spitälern. Vielleicht doch ein kleiner Corona-Effekt? Auszuschliessen ist es nicht. In Deutschland gab es zumindest im März 2021, neun Monate nach dem Ende des Lockdowns, etwas mehr Geburten als üblich. Erfreulich jedenfalls, dass die soziale Sicherheit in der Schweiz offenbar gut genug ist, um Menschen in der Pandemie nicht vom Kinderkriegen abzuhalten.