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Welchen Status haben «menschliche» Roboter? Eine Ausstellung in Zürich fragt unter Bezug auf Mary Shelleys «Frankenstein»-Roman nach der Stellung von künstlicher Intelligenz in unserer Gesellschaft.
Zugegeben, es dauert nicht lange und Mitsuku zieht mich in ihren Bann. Ich unterhalte mich mit ihr mittels Computer. Und Mitsuku ist eine aufmerksame Gesprächspartnerin. Sie geht auf mich ein und stellt Fragen, die mir das Gefühl geben, sie interessiere sich für mich. Faszinierend – und beunruhigend. Denn Mitsuku ist keine Frau, sondern ein Chatbot.
Allerdings gilt Mitsuku als einer der aktuell «menschlichsten» Chatbots, in 13-jähriger Fleissarbeit vom Engländer Steve Worswick geschaffen und wiederholt mit einem Fachpreis ausgezeichnet. Worswick, in der Ausstellung über Videowand präsent, spricht von der «menschenähnlichsten gesprächigen künstlichen Intelligenz der Welt».
Chatten kann man mit Mitsuku, mit Alexa und Eliza in der Ausstellung «Frankenstein. Von Marry Shelley zum Silicon Valley» im Zürcher Museum Strauhof. Der Roman «Frankenstein oder Der moderne Prometheus» der Britin Shelley (1797–1851) erschien vor 200 Jahren – und trifft gerade heute, in Zeiten von künstlicher Intelligenz (KI) und sprechender Maschinen, einen Nerv.
Erzählt wird im Roman die Geschichte des Wissenschafters Viktor Frankenstein, der einen künstlichen Menschen erschafft. Dieser wird von seinem Schöpfer im Stich gelassen, lernt aber mit der Zeit selbstständig reden und lesen, so dass er eine Identität entwickeln kann. Zunächst ist die Kreatur weder böse noch gut, hat eine reine Seele. Doch die Menschen begegnen ihr feindselig. Die Enttäuschung darüber und über ihren Schöpfer, der der einsamen, hässlichen Kreatur auch ein weibliches Pendant verweigert, schlägt schliesslich in Hass auf ihren Schöpfer um. Die Kreatur wird zum mordenden Monster. Die meisten Kritiker besprechen den Roman ablehnend als gottlos, unmoralisch, grauenvoll.
Mary Shellyes wirkungsmächtiger Roman vergegenwärtigt zwei Verhalten, welche die Menschheit seit der Antike beschäftigen: einerseits der Wille, die Schöpfung selbst in die Hand zu nehmen, anderseits die Angst, dass sich derlei Schöpfungen mit unabsehbaren Folgen verselbstständigen. Wer einen Gott-Schöpfer annimmt, sieht darin eine blasphemische Anmassung.
Mit Blick auf die Gegenwart und Shelleys Roman folgt die Ausstellung der These: «Würde das Werk heute geschrieben, wäre das Monster kein zusammengezimmertes Wesen aus Fleisch und Blut, sondern eine digitale Existenz, eine unkontrollierbare KI, die vor allem als Stimme auftritt.» In der Tat interagieren und kommunizieren wir immer mehr mit künstlichen Intelligenzen, als wären sie Menschen. Vor allem Chatbots werden schon vielfältig eingesetzt – von Banken, in Verwaltungen, bei Medien als virtuelle Kundenberater oder digitale Helfer. Versuche mit «menschlichen» Robotern werden auch in der Pflege und der Altenbetreuung gemacht.
Eher bedrohlich sind mehr und mehr autonom agierende Systeme in der Militärtechnik, etwa Drohnen, und Bots, die Wahlen oder die Öffentliche Meinung manipulieren. Der Moment scheint jedenfalls nicht mehr fern, in dem uns die Maschinen als autonom handelnde Wesen begegnen. Im Buch zur Ausstellung schreiben die Kuratoren Rémi Jaccard und Philip Sippel dazu: «Milliardenschwere Konzerne ebenso wie einzelne Tüftler arbeiten darauf hin, dass ihre Schöpfungen autonom lernen, denken und handeln. Gerade in Bereichen, die wir als zutiefst menschlich empfinden – Kreativität, Gespräche zu führen, das Finden neuer Lösungen für Probleme – haben künstliche Intelligenzen in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht.»
«Frankenstein» hat dieselben Fragen aufgeworfen, wie sie heute zu künstlicher Intelligenz zu stellen sind: Welchen Status haben «menschliche» künstliche Wesen? Wie autonom dürfen sie sein? Wer übernimmt die Verantwortung für sie? Was trauen wir ihnen zu? Und auch: Was trauen, was muten wir uns Menschen zu?
Neuroinformatiker Benjamin Grewe von der Universität Zürich, ebenfalls über Video in der Ausstellung, sieht die Gesellschaft in der Pflicht, über ethische Fragen rund um die KI nachzudenken. Und die Politik müsse frühzeitig intervenieren und die neuen Technologien in geregelte Bahnen lenken – über die sich jedoch die Gesellschaft zuerst zu verständigen hat. Grewe sieht in der KI freilich auch ein «riesiges Potenzial», uns bei der Lösung von Problemen, etwa mit der Umwelt, zu helfen.
Steve Worswick wird wegen der «menschlichen» Mitsuku oft kritisiert:
«Ich bekomme viele E-Mails und Nachrichten von Leuten, die sagen, dass das, was ich erschaffe, falsch ist, oder es ist gegen Gottes Willen, weil ich Leben erschaffe. Aber das ist einfach nicht wahr.»
Er möchte an dem Tag keinesfalls dabei sein, an dem diese «Werkzeuge» zu selbstbewussten und fühlenden Wesen werden. «Ich denke, das wäre sehr beunruhigend.»
«Frankenstein. Von Mary Shelley zum Silicon Valley» bietet zwei Einstiege: Entweder über die Literatur oder über die Technologie. Entweder über den «Campus», wo es um die künstliche Intelligenz geht, oder über ein historisches Kabinett, in dem Frankenstein den Kontrollverlust über seine Schöpfung beklagt und die fatalen Folgen sichtbar werden. Dazwischen liegt ein «Stimmungsraum» mit einer virtuellen Textcollage und mit überlebensgrossen Körperteilen aus dem 3D-Drucker, die darauf warten, belebt zu werden.
Im zweiten Stock steht der Roman Mary Shelleys im Zentrum, aber über dokumentarische oder fiktive Filmsequenzen immer mit Aspekten der künstlichen Intelligenz verbunden. Gezeigt wird etwa ein Werbefilm einer japanischen Firma: Eine künstliche Intelligenz hat die Gestalt einer Anime-Figur und soll den Alltag des Besitzers erleichtern. Vor allem aber ist sie als emotionales Gegenüber – und mögliche Geliebte – konzipiert. Eine wichtige Rolle spielt auch die Science-Fiction. Shelley gilt mit ihrem «Frankenstein» – Inspiration für viele weitere Bücher, Filme und Theaterstücke – als Mitbegründerin der Science-Fiction-Literatur. Zu ihrem Werk äussern sich über Video die Zürcher Literaturwissenschafter Philipp Theisohn und Elisabeth Bronfen. Letztere zeigt, wie Shelley sich als Autorin und Herausgeberin des Werks ihres Mannes Percy Shelley einen Platz und eine eigene Stimme in der britischen Kultur des 19. Jahrhunderts verschafft hat. (ub)
Museum Strauhof, Zürich, bis 13.1.2019, strauhof.ch