Was wäre, wenn wir die künstliche Intelligenz nutzten, um unser Wahlrecht kontinuierlich in wichtigen politischen Fragen auszuüben, ohne überhaupt noch unsere Stimme abgeben zu müssen? Eine Kolumne zum aktuellen Forschungsstand.
In der menschlichen Intelligenz sind Fairness und Weitsicht nicht unbedingt eingebaut. Wir müssen beides erlernen. Trotzdem funktioniert das mit der Verteilgerechtigkeit in einer Demokratie nicht immer gut. Auch da könnte künstliche Intelligenz (KI) uns helfen, wie ein spannendes Experiment des zu Google gehörenden Forschungsunternehmens Deepmind zeigt.
Ein Team aus Forscherinnen und Forschern hat ein KI-System trainiert, um einen Verteilungsmechanismus für öffentliche Gelder zu entwickeln. Sie haben die künstliche Intelligenz in einer Serie von Experimenten so trainiert, dass sie sowohl von mehr als 4000 Menschen als auch von Computersimulationen in einem Online-Wirtschaftsspiel mit vier Spielern lernen konnte.
Die Spieler starten mit unterschiedlichen Geldbeträgen und müssen entscheiden, wie viel sie zur Aufstockung eines Pools öffentlicher Gelder beitragen wollen, um im Gegenzug dann wieder einen Anteil aus dem Topf zu erhalten.
Das von der KI errechnete Verteilmodell schafft es, das Wohlstandsgefälle zwischen den Spielerinnen und Spielern zu verringern und sanktioniert auch Trittbrettfahrer. Das fand bei den menschlichen Spielern so viel Zustimmung, dass KI auch eine Volksabstimmung gewonnen hätte – hätte sie denn zur Wahl gestanden.
Ja, was wäre denn, wenn wir die künstliche Intelligenz nutzten, um unser Wahlrecht kontinuierlich in wichtigen politischen Fragen auszuüben, ohne überhaupt noch unsere Stimme abgeben zu müssen?
In einem Forschungsprojekt an der Universität St. Gallen haben wir uns diese Frage etwas genauer angesehen. Wir wollten wissen, wie hoch die Akzeptanz der Menschen für ein automatisiertes KI-Wahlsystem wäre, und haben eine Online-Befragung in vier Ländern durchgeführt: in der Schweiz, in Singapur, den USA und in Griechenland.
Vier unterschiedliche politische Systeme mit unterschiedlich ausgeprägter Neigung Technologie einzusetzen. Den Teilnehmenden wurde das Szenario eines hypothetischen KI-Wahlsystems vorgelegt, bei dem auf der Grundlage der Informationen, die über die einzelnen Bürgerinnen und Bürger verfügbar sind, automatisiert politische Mehrheitsvorschläge entwickelt werden.
Die Akzeptanz für ein solches System ist bei den Menschen in Singapur am höchsten (39 % Akzeptanz gegenüber 34 % Nicht-Akzeptanz). Die Schweizer blieben auch bei der Umfrage auf dem Boden der Neutralität: 37% Zustimmung versus 37% Ablehnung.
Ein beträchtlicher Teil der amerikanischen Befragten lehnt das System ab (45 % Ablehnung versus 37 % Zustimmung). Die griechischen Befragten nehmen eine eher zögerliche Haltung ein: 25 % Akzeptanz versus 50% Ablehnung. Technologieakzeptanz und Vertrauen in die Politik sind zwei wichtige Variablen, die das Ergebnis beeinflussen.
Die Resultate zeigen die soziale Akzeptanz einer hypothetischen KI-Demokratie. Die muss man nicht wollen, und sie muss auch nicht kommen. Bei dem Spurt allerdings, den KI quer durch alle Lebenswelten hinlegt, sollten wir uns mit ein paar Fragen beschäftigen: Was machen wir damit, wenn KI die Voraussetzungen von Demokratie inzwischen besser und direkter garantieren kann als die menschliche?
Und wie verändert sich die demokratische Kultur, wenn sich die politischen Präferenzen der Stimmbürgerinnen und -bürger nicht nur mehr per gelegentlichem Volksentscheid, sondern zu jeder Sekunde über Datenanalytik ermitteln lassen? Bräuchten wir dann noch Politiker? Darf man noch die Abstimmung und Wahl verweigern, oder wird das Volk zum Resonanzraum des permanenten Präferenzabgleichs – ob es will oder nicht?
Das altgriechische Wort «demos» bezeichnet das Volk. In seinen Händen liegt die Willensbildung für die Gemeinschaft der Menschen. Wenn die über ein KI-System läuft, wird Demokratie zur Technokratie. Die Voraussetzungen dafür sind längst geschaffen.