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Wer auf dem Roten Planten überleben will, muss extrem ökologisch leben. Wie das geht, untersuchen Forscher mit Ratten und Exkrementen
Was haben Anarchisten und Weltraumforscher gemeinsam? Sie glauben an die Kraft von Kot. Wer unabhängig von seiner Umgebung leben will, muss Exkremente als Rohstoffe nutzen. Das setzte der damals 26-jährige Architekturstudent Graham Caine 1972 in seinem Ökohaus bei London konsequent um. Er sammelte seine Fäkalien und produzierte daraus in einer Biogasanlage Methan, das er zum Kochen verwendete. Die Überreste dienten ihm als Dünger in seinem Treibhaus. Strom produzierte er mit Solarpanels. Zwei Jahre lang verliess er sein Haus kaum mehr, wie die Architektin Lydia Kallipoliti in ihrem Buch «The Architecture of Closed Worlds» schreibt.
Zur gleichen Zeit lebten in Sibirien drei Männer während achtzig Tagen von der Umwelt abgeschieden in der unterirdischen Versuchsstation Bios-3. Auch hier war das Ziel, möglichst viel Nahrung selber zu produzieren. Sie bauten aber nicht nur Pflanzen zum Essen an, sondern auch Algen, die ihnen Sauerstoff lieferten. Denn die Station war luftdicht abgeschlossen. Es war ein Forschungsprojekt des sowjetischen Raumfahrtprogramms, um die Besiedlung des Monds oder des Mars vorzubereiten.
Diesem futuristischen Plan verleiht aktuell der Tesla-Gründer Elon Musk mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX neuen Schub. Er betrachtet den Mars quasi als Rettungsarche für den Fall, dass die Erde unbewohnbar wird. Aber auch die grossen Raumfahrtagenturen, die NASA in den USA und die ESA in Europa, befassen sich mit derartigen Szenarien. Die ESA betreibt dazu ein Forschungsprojekt, an dem sich auch die ETH Zürich beteiligt.
Die Doktorandin Grace Crain vom Institut für Pflanzenwissenschaften erforscht dabei Systeme, bei denen Pflanzen ohne Boden, mit den Wurzeln im Wasser, aufgezogen werden. Im Science-Fiction-Film «Der Marsianer» aus dem Jahr 2015 vermischt ein auf dem Mars zurückgebliebener Astronaut dagegen Marsstaub mit Menschenkot, um darauf Kartoffeln anzubauen. Keine schlechte Idee, findet Crain: «Das ist eine sehr plausible Methode», sagte sie am Mittwoch an einer Podiumsdiskussion an der ETH. «Um Pflanzen auf dem Mars anzubauen, ist es wichtig, die Fäkalien als Dünger zu nutzen.»
Pflanzen sind im All gar doppelt nützlich. Neben den Nährstoffen aus Kot und Urin nehmen sie auch den Kohlenstoff auf, den Menschen ausatmen. Sie wandeln also die Ausscheidungen der Kosmonauten in Nahrung und Sauerstoff um – und lösen so gleichzeitig Ent- und Versorgungsprobleme. In einer Pilotanlage in Barcelona kultiviert die ESA deshalb (wie zuvor die Sowjets in der Station Bios-3) auch Algen, die in einer Mond- oder Marsstation den Sauerstoff liefern könnten. Statt Kosmonauten sind es bei der ESA sechzig Ratten, die den Sauerstoff einatmen – deren Verbrauch entspricht ungefähr dem eines Menschen. Allerdings produzieren die Nager weit weniger Exkremente als ein Mensch. Um die Mars-Bedingungen zu simulieren, greifen die Forscher für die Experimente deshalb auf gefrorenen Spenderkot zurück.
Keinen Mangel an Fäkalien gab es dagegen im bislang grössten Experiment dieser Art: In der «Biosphere 2», einem Gewächshaus von der Grösse von zwei Fussballfeldern in der Wüste von Arizona, finanziert von einem Öl-Milliardär. Darin lebten ab 1991 während zweier Jahre nicht nur acht Menschen, sondern auch Kolibris, Fledermäuse, Bienen, Schildkröten und weitere Tiere. Ihnen standen unter anderem ein Mini-Ozean, ein Regenwald und ein Sumpfgebiet zur Verfügung. Doch Schaben und Ameisen vermehrten sich massiv und zerstörten die Ernte, die menschlichen Bewohner litten dauerhaft an Hunger. Die wichtigste Erkenntnis: Die Natur ist unberechenbar.
Lydia Kallipoliti: «The Architecture of Closed Worlds – What Is The Power Of Shit?»; Lars Müller Publishers 2018
Das Projekt scheiterte, doch zwei der Bewohner gründeten danach eine Firma für Raumfahrttechnologie, die es bis heute gibt. Laut ihrer Website fliegt eines ihrer Geräte zur Rückgewinnung von Wasser aus Urin nächstes Jahr zur internationalen Raumstation ISS. Damit werde der Wasserkreislauf zu 98 Prozent geschlossen.
Doch trotz Jahrzehnten Forschung ist die Menschheit noch längst nicht bereit, den Mars dauerhaft zu besiedeln. Das zeigte sich zum Beispiel im vergangenen Frühjahr, als Wissenschafter der italienischen Raumfahrtagentur in der Wüste von Oman versuchten, in einem aufblasbaren Gewächshaus Pflanzen anzubauen. Die Nächte waren ein paar Grad kälter als erwartet, und das verhinderte bei manchem Samen bereits das Keimen. Auf dem Mars fällt die Temperatur nachts allerdings auf minus 140 Grad, also ein gutes Stück tiefer als in Oman. Das wird dem von Matt Damon gespielten Astronauten im Film «Der Marsianer» beinahe zum Verhängnis: Wegen eines Lecks im Gewächshaus erfrieren ihm die Pflanzen. Ein Vorfall, der wohl realistischer ist als die wundersame Filmrettung danach.
Soll Gemüse in einer fliegenden Raumstation angebaut werden, tauchen nochmals andere Probleme auf. Woher weiss die Pflanze, in welche Richtung sie wachsen soll, wenn sie keine Schwerkraft spürt? Diese Frage versuchen Forscher zu klären, indem sie Pflanzen auf Parabelflüge mitnehmen. Die dort simulierte Schwerelosigkeit dauert allerdings nur einige Sekunden – daraus Erkenntnisse für die reale Raumfahrt zu ziehen, ist schwierig.
Doch möglicherweise sind die grössten Herausforderungen ganz anderer Art. Sobald Menschen dabei sind, taucht in derartigen Experimenten immer wieder dasselbe Problem auf: Depressionen. Schon der Flug zum Mars, ein halbes Jahr auf denselben paar Quadratmetern mit denselben paar Menschen, dürfte nervtötend langweilig sein. Und auch auf dem Planeten selber fehlt die Abwechslung, das Leben dort wäre grausam eintönig. Vielleicht ist es also gar nicht so cool, eines Tages den Mars zu besuchen.
Ob es trotzdem gemacht wird, steht in den Sternen. Nützlich kann die Forschung dazu ohnehin sein. «Viele unserer Ergebnisse lassen sich auf der Erde umsetzen», sagt Pflanzenwissenschafterin Grace Cain. «Zum Beispiel erforschen wir die Aufbereitung von Abwasser.» Falls dadurch der Umgang der Menschheit mit den irdischen Ressourcen effizienter wird, erhöhen sich die Chancen, dass die Erde selber bewohnbar bleibt – und wir nicht auf den Mars umsiedeln müssen.