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Verschwunden und nun doch wieder aufgetaucht: Der Weizenschädling bedroht die Weizenfelder im Mittleren Osten. Dieser aggressive Pilz könnte einen Preisanstieg und eine Hungersnot verursachen – falls er nicht bald gestoppt wird.
Ein halbes Jahrhundert lang schien er von der Erdoberfläche verschwunden zu sein, und geriet in Vergessenheit: Der Pilz Puccinia graminis, besser bekannt als Getreideschwarzrost. Der gefürchtete Weizenschädling setzt sich an den Halm des Weizens und würgt die Ähre regelrecht ab: Die Wasser- und Nährstoffversorgung versiegt, das wertvolle Korn verkümmert.
Bereits in der Antike war Schwarzrost für Missernten und Hungersnöte verantwortlich, 1954 vernichtete er 40 Prozent der Weizenernte in den USA. Ende des 20. Jahrhunderts glaubte man den Schwarzrost, durch die Verwendung widerstandsfähiger Weizensorten, besiegt zu haben.
1999 entdeckten Farmer in Uganda jedoch eine neue, aggressivere Variante des Schwarzrosts. Der Pilz, Ug99 genannt, breitet sich momentan mit rund 800 Kilometern pro Jahr aus: Von Ostafrika aus erreichte er 2006 die Arabische Halbinsel, 2008 Iran, 2009 Südafrika.
In Kenia und Äthiopien sorgte er bereits für massive Ernteausfälle. Nun sind auch die Länder östlich Irans gefährdet: Pakistan und Indien, die Kornkammern des Mittleren Ostens. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Pilzsporen vom Wind transportiert werden», sagt Miriam Kinyua, Agrarforscherin in Kenia.
Ein gefährlicher Schädling
Weizen ernährt Milliarden Menschen. Das Getreide liefert 20 Prozent der täglich benötigten Kalorien und wird weltweit auf über 220 Millionen Hektaren angepflanzt. 2011 betrugen die Ernteerträge 670 Millionen Tonnen. Nach den Berechnungen der Vereinten Nationen muss die Weizenproduktion bis 2050 um 60 Prozent steigen, um die Nachfrage der bis dahin auf über neun Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung zu decken. Dabei nimmt die Fläche an fruchtbarem Land durch den Klimawandel ständig ab, die fortschreitende Verstädterung vernichtet wertvollen Ackerboden. Ein Schädling mit dem Potenzial von Ug99 gefährdet die Ernährungssicherheit vieler Millionen Menschen.
«Auch wir wären betroffen: Verminderte Ernten schlagen sich sofort auf den Weizenpreis nieder. Den können wir uns in den Industrieländern zwar leisten, aber vor den sozialen Folgen wie Migration werden wir nicht verschont bleiben», sagt Bruno Moerschbacher vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der Universität Münster.
Sorten austauschen statt spritzen
Agrarforscher weltweit sind sich der Gefahr bewusst. Im Rahmen des Projektes Durable Rust Resistance in Wheat (DRRW), das 2005 gegründet wurde und 22 Forschungsinstitutionen rund um den Globus vereint, arbeiten sie unter Hochdruck an neuen, schwarzrostresistenten Weizensorten – bei weitem die umweltfreundlichste Massnahme zur Bekämpfung des Pilzes. «In Europa und den USA könnten wir im Notfall Fungizide spritzen, aber für die meisten Farmer in der Dritten Welt ist das zu teuer», sagt Beat Keller vom Institut für Pflanzenbiologie an der Universität Zürich.
Oberste Priorität im Kampf gegen Ug99 ist der Austausch der empfindlichen Weizensorten in den gefährdeten Ländern – ein Wettlauf mit der Zeit. Denn über 90 Prozent der weltweit angebauten Weizensorten sind Ug99 wehrlos ausgeliefert und das Züchten neuer Weizensorten kann bis zu 10 Jahren dauern.
Weizengenom noch wenig bekannt
Im Weizengenom existieren zwar mehrere hundert Resistenzgene gegen potenzielle Schädlinge wie Pilze, Bakterien und Insekten – allein gegen Schwarzrost etwa 50. Aber das Weizengenom, das sechsmal grösser ist als das menschliche Erbgut, ist bis heute noch nicht vollständig entschlüsselt. «Das macht die Suche nach neuen Resistenzgenen enorm schwierig», sagt Keller. Bis heute verlassen sich Züchter stark auf den Zufall, etwa indem Weizensamen radioaktiv bestrahlt werden, in der Hoffnung, dass neue Eigenschaften wie etwa die Resistenz gegen Ug99 entstehen.
Geeignete Weizensorten werden aus der ganzen Welt nach Kenia geflogen und dort ausgepflanzt, um zu prüfen, ob sie dem aggressiven Erreger standhalten. Über 200 000 Weizensorten wurden auf diese Weise zwischen 2005 und 2010 auf ihre Ug99-Resistenz hin getestet. Behaupten sich die Pflanzen, müssen sie mit den lokalen Sorten aus den potenziell betroffenen Ländern gekreuzt werden. Denn auch der Ertrag muss stimmen und die Pflanze an das entsprechende Klima angepasst sein.
Erste Erfolge
Die vor rund zehn Jahren wieder angelaufenen Zuchtprogramme haben Erfolg: Im September 2013 erhielten kenianische Farmer 600 Tonnen Ug99-resistentes Saatgut. Und auch Äthiopien bestellt mittlerweile die Hälfte seiner landwirtschaftlichen Flächen mit drei neuen Ug99-resistenten Weizensorten. Doch das sind nur Etappensiege. «Der Pilz kennt alle Tricks und passt sich sehr schnell an. In der Regel gelingt es ihm innerhalb weniger Jahre, ein neues Resistenzgen zu überwinden», erklärt Moerschbacher. Das Einkreuzen des Sr31-Gens aus Roggen bescherte den Farmern allerdings gleich mehrere Jahrzehnte Ruhe – nur weiss bis heute niemand warum.
Das Wettrüsten zwischen Pilz und Weizenzüchtern könnte in Zukunft vielleicht gestoppt werden: indem mehrere ausgewählte Resistenzgene in einer Weizensorte kombiniert werden. «Der Einsatz solcher Tandemgene reduziert die Wahrscheinlichkeit, dass der Pilz sie überwindet», sagt Ronnie Coffmann, Forschungsdirektor des DRRW, «aber in der Praxis ist das eine Herausforderung.»
Ist der Pilz schon in Europa?
Im August 2013 wurden in Deutschland mit Schwarzrost befallene Weizenpflanzen entdeckt. Ob es sich um Ug99 handelt, wird momentan im Julius-Kühn-Institut in Kleinmachnow erforscht. «Ug99 stellt in unseren Breiten vorerst keine unmittelbare Gefahr dar, da die Sporen den Winter wahrscheinlich nicht überleben werden», sagt Kerstin Flath vom Institut, «allerdings könnten jedes Jahr neue Sporen mit Luftmassen aus wärmeren Regionen zu uns gelangen.» Die Züchter müssen dem Pilz auch hier einen Schritt voraus sein.