Es muss nicht immer Filet, Entrecôte oder Hohrücken sein. Auch ein Steak vom Bauchlappen oder ein Ochsenschwanzragout machen Gaumenfreuden. Sie sind intensiv im Geschmack und seit Corona sehr gefragt. Mit diesen geduldig geschmorten Gerichten kommt man leichter durch Herbst und Winter.
Siedfleisch, Kutteln, Kopfwürste, Schweinefuss und -schwänzchen in Erbsensuppe und auch mal ein Lungenragout: Wer schon länger graue Haare hat, erinnert sich, dass in Kindertagen allerlei Fleischgerichte auf den Tisch kamen, über die man heute nur noch die Nase rümpfen würde. Aber zugegeben, das Lungenragout mit Polenta gehörte auch damals nicht gerade zu meinen Favoriten. Dagegen war nur schon ein Braten vom Schweinshals ein Festessen.
Dass von einem Tier möglichst alles verzehrt wird, galt in jenen Jahren noch als selbstverständlich. Der wachsende Wohlstand liess dies allmählich in Vergessenheit geraten, ehe daraus ein Kult gemacht wurde.
Das war gegen Ende der 1990er-Jahre, als der Brite Fergus Henderson die Nose-to-Tail-Bewegung begründete: Verspiesen wird vom Tier wieder alles, von der Nase bis zum Schwanz. In seinem Buch «Nose to Tail Eating» heisst es, «dass es dem Tier gegenüber unanständig wäre, es nicht von Kopf bis Fuss zu verwerten», wenn es schon getötet werde. «Es hält auch jenseits des Filets etliche nahrhafte Leckerbissen und Gaumenfreuden für uns bereit.»
Aus dieser Haltung wurde unter Fleischliebhabern ein Trend – allerdings nur unter einer begeisterten Minderheit. Aktuell ist er aber trotzdem, gerade auch mit Blick auf die anhaltende Diskussion, ob Fleischverzehr überhaupt moralisch und ökologisch vertretbar sei.
Unter Einfluss der amerikanischen Barbecue-Szene heissen die Fleischstücke, die oft als zweite Wahl betrachtet wurden, nun auch bei uns «Second Cuts». Ihre Liebhaber nennen sie aber eher «Special Cuts», weil sie durchaus auch etwas Besonderes sind. Wer sich in der Küche an sie ranmachen will, wendet sich am besten an den Metzger seines Vertrauens und lässt sich von ihm beraten.
Florian Willener, Metzger mit Leib und Seele und eigenem Geschäft in Amriswil, bestätigt den anhaltenden Trend der «Second Cuts». «Bei mir gingen in diesem Sommer deutlich mehr solche Fleischstücke über die Theke als letztes Jahr.» Er erklärt sich das mit den besonderen Verhältnissen in Folge der Coronapandemie. «Viele meiner Kunden haben ihre Grillausrüstung ausgebaut und haben Neues ausprobiert.»
Favorit sei dabei das Flanksteak (Bavette), ein flaches, grobfaseriges und marmoriertes Stück aus dem Bauchlappen des Rindes. «Das ist ein gutmütiges Stück, man kann nicht viel falsch machen.»
Aber es ist saftig und kernig und hat einen intensiv-aromatischen Fleischgeschmack (Rezept weiter unten). Willener empfiehlt für den Grill aber auch das Hanging Tender (bei uns auch Onglet), ein Stück aus dem inneren Bauchbereich, sowie das Flat Iron aus dem Schulterspitz des Rindes.
Diese sehr schmackhaften Stücke werden alle aus stärker beanspruchten und durchbluteten Muskelpartien geschnitten, ihr Fleisch ist langfaseriger und meist mit Fett gleichmässig marmoriert. «Das macht ihren intensiven Geschmack aus», sagt Willener. Wichtig sei, sie beidseitig scharf anzubraten und sie dann sanft auf die gewünschte Temperatur (56–58 Grad) zu bringen. «Dann quer zur Faser dünn aufschneiden und nur mit ein wenig Meersalz bestreuen – fertig ist die Delikatesse.»
Die Schulterteile lassen sich alle auch schmoren – womit wir uns auch allmählich von der Grillsaison verabschieden können. Werden die Tage kürzer und kühler, rücken Fleischstücke der Schmorküche in den Vordergrund. Dazu gehören neben den traditionellen Bratenstücken eben auch weniger gefragte Teile wie Haxen, Backen, Rinderrippen oder auch der Ochsenschwanz (siehe Rezept unten).
«Davon am meisten gefragt sind Kalbshaxen, das ganze Jahr über», erklärt Florian Willener. Sie liessen sich eben auch gut mit einer leichten, sommerlichen Sauce zubereiten. Schmorfavoriten in unserem Haushalt sind neben dem Schulterspitz vom Rind auch die Lammschulter und die Lammhaxen. Will man solche Teile zubereiten, ist es ratsam, sich frühzeitig an seinen Metzger zu wenden, da er sie meist nicht frisch vorrätig hat.
Mit diesen geduldig geschmorten Gerichten kommt man leichter durch den Herbst und Winter. Wenn sich in Küche und Haus allmählich dieser würzig-schwere Duft des Bratens ausbreitet, stellt sich automatisch eine wohlige Gelassenheit ein – und Vorfreude auf das mürb-zarte Fleisch und die auch von Gemüse- und Kräuteraromen gesättigte Sauce, deren letzte Tropfen man mit Brot gierig auftunkt. Wie in Kindertagen die Sauce vom Schweinsbraten.
Wer sich in der Küche noch nicht mit Second Cuts befasst hat, der oder dem sei ein hilfreiches Kochbuch empfohlen: Manuela Rüther: «Backe, Brust und Bauch. Second Cuts – fast vergessene Fleischstücke mit Biss und Charakter», AT Verlag, Aarau/München 2018. Die Fleischstücke von Rind, Kalb und Schwein werden darin einzeln beschrieben und mit Zeichnungen am Tier verortet. Auch ihre länderspezifischen Bezeichnungen werden genannt. Und dann rufen verlockende Rezepte zur Tat, darunter der hier zubereitete Ochsenschwanz.