Seit Jahren sorgt der Hollywoodstar, der Unmengen für Wein und Drogen ausgibt, mit Exzessen und Geldproblemen für Schlagzeilen. Kommende Woche stattet er dem Zurich Film Festival einen Blitzbesuch ab.
«Das ist ein Coup», freute sich eine Schweizer Pendlerzeitung, als kürzlich der Stargast des diesjährigen Zurich Film Festival (ZFF) bekannt gegeben wurde: Hollywood-Superstar Johnny Depp kommt in die Schweiz, Wahnsinn!
Dabei war er doch erst gerade hier: Im Juli trat der 55-Jährige noch mit seiner Rockband Hollywood Vampires am Jazzfestival Montreux und in der Samsung Hall auf. Egal, schliesslich war es nicht die Musik, die Depp zu einem der bekanntesten Gesichter der Unterhaltungsbranche gemacht hat, sondern natürlich das Kino. Und dieses Gesicht – dunkle Augen, hohe Wangenknochen, spitze Lippen – wird am Abend des 5. Oktober auf dem Grünen Teppich des Festivals, sogar für Selfies zur Verfügung stehen. Wahnsinn.
Bloss: Es wird wohl ein ultrakurzer Auftritt sein. Depp wird am ZFF nicht mit einem Preis abgefeiert, er wird auch nicht in einer Masterclass für ein paar Stunden über seine Karriere reden. Nein, er kommt, um seinen neuen Film «Richard Says Goodbye» zu promoten, der am ZFF als Weltpremiere läuft. Doch diese Promotionsarbeit wird nicht mehr umfassen als eine kurze Begrüssung des anwesenden Kinopublikums. Wie das Festival verlauten lässt, wird Mister Depp weder Interviews geben, noch – wie bei Weltpremieren sonst üblich – an einer Pressekonferenz teilnehmen. Er kommt an, hello, goodbye, und verschwindet wieder.
Wurde dem Hollywoodstar etwa ein Maulkorb verpasst? Oder fürchtet er sich vor unbequemen Fragen? Beides würde nicht überraschen. In «Richard Says Goodbye» spielt Depp einen Mann, der sich nach einem Schicksalsschlag in eine exzessive Lebensweise voller Drogen, Alkohol und Sex-Eskapaden stürzt. Dass diese Filmrolle frappante Ähnlichkeiten zu Depps eigenem Leben aufweist, legt eine mehrseitige Reportage nahe, die im Juni im Magazin «Rolling Stone» erschienen ist.
Sie ist das Resultat des letzten Aufeinandertreffens zwischen dem Schauspieler und der Presse – und wohl der Grund, weshalb Depp inzwischen sämtliche Interviewanfragen ablehnt. Eigentlich wollte Depp mit der Geschichte sein besudeltes Image reinigen, war er doch in die Schlagzeilen geraten, weil er Amber Heard, seine heutige Ex-Frau, während ihrer Ehe physisch und psychisch missbraucht haben soll. Doch der Schuss ging nach hinten los: Der Journalist vom «Rolling Stone», der drei Tage (und Nächte) in Depps 3000-Quadratmeter-Villa in London verbrachte, um, laut Depp, «die Wahrheit zu erfahren», zeichnet in seiner Geschichte das Bild eines Filmstars am Rande der Selbstzerstörung.
Laut ihr ist Depp, 2012 mit einem Jahreseinkommen von 75 Millionen Dollar noch der höchstbezahlte Schauspieler der Welt, inzwischen praktisch pleite. Die langwierigen Rechtsstreitereien mit Heard und mit der Firma, die seine Finanzen verwaltete, sowie die gigantischen Ausgaben, mit denen er über Jahre seine Weinsucht zu stillen suchte, hätten ihn in den Ruin getrieben. «Der Vorwurf, dass ich jeden Monat 30'000 Dollar für Wein ausgab, ist eine Beleidigung», wird Depp zitiert, «es war bedeutend mehr.»
Depp konsumiert auch während der Gespräche mit dem Journalisten Unmengen an Wein (und Marihuana) und spricht offen über seine Dämonen. Seine Gedanken kreisen dabei immer wieder um den Tod. Um jenen seiner krebskranken Mutter Betty Sue («die niederträchtigste Frau, die ich kannte») beispielsweise, oder seines guten Freundes Tom Petty («ich habe ihn geliebt»), aber auch von Schauspielkollege River Phoenix, der 1993 an einer Drogenüberdosis gestorben war – und zwar direkt vor Depps Nachtclub («stell dir vor, damit leben zu müssen»).
Nach seiner Scheidung von Heard, so Depp, sei er dann «am tiefsten Tiefpunkt» angelangt. «Ich fragte mich dauernd, was ich angestellt hatte, um das zu verdienen. Ich konnte den Schmerz nicht mehr ertragen.» Wer die Reportage liest, möchte den Schauspieler, der sich von seinen nächsten Mitmenschen entfremdet zu haben scheint und sich nur noch mit zwielichtig wirkenden Anwälten umgibt, in den Arm nehmen – und kräftig durchrütteln.
Depp hat die Differenzen mit Amber Heard und mit seinen Finanzverwaltern inzwischen aussergerichtlich beigelegt. Doch der Schaden ist angerichtet. Die Produzenten in Hollywood sind nervös. Zumal Depps letzte grossen Filme – «Black Mass» (2015), «Alice Through the Looking Glass» (2016) und der fünfte «Pirates of the Caribbean» (2017) – an den Kinokassen hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Sein nächster Film, «The Invisible Man», wurde vom Studio Universal gar auf Eis gelegt. Depp hätte darin einen Mann spielen sollen, der unsichtbar wird. Ein Trick, den er nun immerhin am Zurich Film Festival vollführen darf.