Interview
Experte erklärt, warum Verschwörungstheorien populärer denn je sind

Geschichten über geheime Machenschaften nehmen gefühlt zu. Warum das so ist und weshalb das gefährlich sein kann, erklärt Experte Marko Kovic.

Rebecca Wyss
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Marko Kovic ist Sozialwissenschafter und Präsident von Skeptiker Schweiz. Der Verein will das Verständnis für kritisches Denken und die klassischen Wissenschaften fördern.

Marko Kovic ist Sozialwissenschafter und Präsident von Skeptiker Schweiz. Der Verein will das Verständnis für kritisches Denken und die klassischen Wissenschaften fördern.

Photographer: Eda Gregr

Herr Kovic, im Esoterikfilm wird behauptet, dass Wasser ein Gedächtnis hat. Und dass es Umwelteinflüsse speichern kann. Was an der ganzen Story ist typisch für eine Verschwörungstheorie?

Marko Kovic: Die Anhänger gehen davon aus, dass irgendjemand die Wahrheit unterschlagen will. Diese wollen sie zu den Menschen bringen. Mit dem Film zum Beispiel. Die Wahrheit ist in dem Fall, dass Wasser besondere Eigenschaften hat, die gut für die Menschen sind. Die genauen Zusammenhänge sind aber diffus. Unklar ist, wer die Wahrheit unterschlagen will. Aber auch, was genau die besonderen Eigenschaften uns allen nützen sollen.

Was ist untypisch?

Die meisten anderen Verschwörungstheorien handeln von weltlichen Themen wie Politik und Geld. Wie die Anschläge von 2001 in New York zum Beispiel. Da gibt es ja Leute, die glauben, dass die US-Regierung der wahre Drahtzieher gewesen sei. Bei der Wasser-Gedächtnis-Theorie geht es inhaltlich um Spiritualität, um Übernatürliches. Hier wird einerseits das spirituelle Bewusstsein der Menschen angesprochen, andererseits eine Verschwörungsgeschichte mitverkauft.

Warum sind Verschwörungstheorien attraktiv?

Wir alle suchen Erklärungen für schlimme Dinge, die in der Welt passieren. Sie verunsichern uns. Wenn dann eine Erzählung das Unerklärliche verstehbar macht, ist das eine Erleichterung. Nicht alle sind gleich anfällig dafür. Studien zeigen, dass der klassische Verschwörungstheoretiker ein Mann mit technischen Interessen ist. Auch einer, der in der sozialen Hierarchie eher unten steht. Das erklärt auch, dass viele Verschwörungstheorien auf dem Mythos von David gegen Goliath basieren. Nach dem Motto: «Wir sind die kleinen, redlichen Leute, das Volk und wir wissen nicht, was die Elite, die Reichen und Mächtigen da oben so treiben.» In dieser Erzählung fühlen sich sozial Schwächere aufgehoben.

Gefühlt haben solche Geschichten zugenommen. Weshalb?

Das ist sicher so – wegen des Internets. Die Schwelle, selbst aktiv zu werden und eine Theorie zu verbreiten, ist gesunken. Ein Video aufzunehmen und hochzuladen oder einen Artikel zu posten – das kann heute fast jeder. Hinzu kommt: Über Youtube und Co. erreicht man ein grosses Publikum, das man früher nie hätte ansprechen können. Auf der Plattform gibt es so viele Verschwörungsvideos wie nirgendwo sonst.

Die könnte man auch als Unfug abtun und weiterklicken.

Nicht immer ist ersichtlich, dass es sich um Unsinn handelt. Die Filme sind zwar oft dilettantisch gemacht, dafür dokumentarisch aufbereitet. Das wirkt glaubwürdig und ist geeignet, um unsere Neugier zu wecken. Dass daraus ein veritabler Glauben entsteht, hängt mit der Funktionsweise unseres Hirns zusammen. Dieses ist so konstruiert, dass die erste Information, die wir zu einem Thema erhalten, in Erinnerung bleibt. Alle folgenden Informationen werden damit abgeglichen. Dies wird durch die Mechanismen im Netz noch verstärkt: Wenn man auf Youtube ein Video zur 9/11-Verschwörungstheorie anklickt, werden auf der gleichen Seite weitere Beiträge zum Thema empfohlen. Ähnlich ist es auf Google und auf Facebook.

Ab wann werden Verschwörungstheorien gefährlich?

Dann wenn man sich isoliert in einer Parallelwelt, in der man immer nur Informationen zu der einen Theorie bekommt. Bei der #Pizzagate-Geschichte hat man das gesehen. Da wurde Hillary Clinton angedichtet, sie hätte im Keller einer bestimmten Pizzeria einen Kindersexring betrieben. Absurd, zumal die Pizzeria nicht einmal einen Keller hatte. Ein junger Mann aber glaubte das, ging dort vorbei und schoss herum. Der dachte sicher, er handle moralisch richtig. Weil er in einer solchen Parallelwelt gelebt hat.

Bei uns kommt es kaum vor, dass jemand bewaffnet einen Laden stürmt.

Es muss nicht immer gewalttätig sein. Bei uns gibt es Menschen, die daran glauben, dass Impfungen schädlich sind. Zum Beispiel hält sich hartnäckig der Irrtum, dass Masern-Mumps-Röteln-Impfung Autismus auslöse. Diesen Irrglauben hat vor Jahrzehnten ein Arzt mithilfe von gefälschten Studien in die Welt gesetzt. Und trotzdem gibt es heute noch Eltern, die ihre Kinder deshalb nicht impfen lassen. Diese glauben, dass die Pharmaindustrie ihre Kinder krank machen wolle, um daran zu verdienen. Sie handeln aus Liebe. Aber sie schaden ihrem Kind damit.