Wir stolpern verblendet ins Verderben, sagen die einen. Die anderen: Wir haben mit unseren Mitteln eine Chance. Eine Auslegeordnung.
Bald treffen sich die Staatsvertreter wieder zur Klimakonferenz. COP 26 findet vom 31. Oktober bis zum 12. November im schottischen Glasgow statt. Wie sollen wir dem Klimawandel entgegentreten? Es braucht ausserordentliche Massnahmen.
Wie radikal sie sein müssen, ist allerdings umstritten. Den totalen Abschied von unserem gewohnten Lebensstil samt den dazugehörenden wissenschaftlichen und kulturellen Denkgebäuden? Oder trotz allem der Versuch, mit den Instrumenten der (demokratischen) Politik die nötigen Veränderungen auf den Weg zu bringen?
Kein Zweifel: Die Aufgabe ist gross. Und es spricht ziemlich viel für den Ausgang, dass wir in die Wand fahren. Der Untergang des Planeten steht trotz aller Drohrhetorik nicht auf dem Spiel. Der Ökonom Heiner Flassbeck weiss das und ist trotzdem zuversichtlich. Die Aufgabe sei «im Prinzip lösbar». Nämlich die menschliche Zivilisation offen und dynamisch zu erhalten, bei einer gleichzeitig intakten Umwelt.
Und zwar im Rahmen unserer marktwirtschaftlichen Ordnung, ohne Klimadiktator und Zwang zum Verzicht. Ökologie und Wirtschaft seien keine unversöhnlichen Gegensätze. Die grösste Bremse sieht Flassbeck darin, dass wir keine wirtschaftspolitische Konzeption hätten. Wir würden nicht begreifen, wie eine «gemischte Wirtschaft aus staatlichen und privaten Akteuren funktioniert».
Dass es Flassbeck beim ökologischen Pol bei «der Wissenschaft» belässt, ist zu verschmerzen. Auch wenn wir wahrscheinlich den Durchblick, um die Natur zu durchschauen, nicht haben, sieht er die wichtigsten Defizite bei der Wirtschaft. Die Entwicklung der menschlichen Zivilisation in den letzten 300 Jahren war frappant.
Jetzt sehen wir das Preisschild. Verantwortlich war die marktwirtschaftliche Organisation. Flassbeck vermeidet den Terminus «kapitalistisch». Unabdingbar für den Erfolg war die fossile Energie. Sie hat uns den Lebensstil beschert, den wir im sogenannten entwickelten Westen pflegen.
Die CO2-Konzentration der Atmosphäre hängt eng zusammen mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Die Marktwirtschaft gibt darauf ihre Antwort: Der Preis für fossile Energieträger muss steigen – im Verhältnis zum Einkommen. Das ist die notwendige Bedingung, sagt Flassbeck. Und zwar dauernd, also stetig und berechenbar und global.
Schon Ersteres ist schwierig genug. Denn einfach den Verkaufspreis anzuheben oder das indirekt, mit Abgaben, zu tun, würde nicht akzeptiert. Die demokratisch legitimierten Regierungen müssen das in einer demokratisch verträglichen Weise vorschlagen. Wenn man das nicht tut, sind Proteste wie die der «gilets jaunes» in Frankreich oder die Abwanderung der Wähler zu klimaleugnenden Protestparteien die Folge.
Marktwirtschaft funktioniert so, dass niemand vorschreibt, was produziert und konsumiert wird. Man überlässt das den Präferenzen der Leute. Das Problem sind «negative externe Effekte»: Schäden, die verursacht werden, weil kein Interesse daran besteht, sie zu vermeiden.
Flassbeck bringt das einleuchtende Beispiel der Abgasnormen: Wenn der Staat vorschreiben würde, dass die Autos so gebaut werden müssten, dass die Abgase zuerst durchs Wageninnere geführt werden müssten, würden wir wahrscheinlich nicht weniger Auto fahren, aber wir hätten sauberere Luft.
Umwelt- oder Klimaschutz kann eine persönliche Präferenz sein. Das mag natürlich ein gutes Gewissen verschaffen, hilft aber nicht zur Lösung des Problems. Die einen essen mehr Fleisch, während andere verzichten; begrenzt man seinen Benzinverbrauch, profitieren andere vom Überangebot und von sinkenden Preisen.
Der Markt kann und wird den Planeten nicht retten. Aber der Staat kann die Marktwirtschaft so steuern, dass die Wirtschaft verträglicher für die Umwelt produziert.
Bis jetzt habe sich die Wirtschaftspolitik darauf beschränkt, viele kleine– unzureichende – Massnahmen zu verhängen. Um danach, wenn es wirklich «teuer» werden könnte, mit einzelnen Konzernen oder Wirtschaftsbranchen zu kungeln. Stichwort: Abgasaffäre.
Bürger wollen sauberere Luft. Und wenn der Staat die Autoproduzenten zum Einbau von Katalysatoren zwingt, macht das das Auto vielleicht teurer, aber für alle. Auf der anderen Seite schaff das Arbeitsplätze und Wertschöpfung in der Zubehörindustrie. Also kann der liberale Ökonom nicht sagen, dass der Staat unzulässigerweise in die Wirtschaft eingreife. Er hilft, eine Präferenz der Bürger zu verwirklichen.
Umweltpolitik ist möglich, aber schwierig. Und sie muss anders werden als bisher. Ein global verbindlicher Preisanstieg für fossile Brennstoffe? Wer soll ihn durchsetzen? Flassbeck ist nicht blauäugig. Aber Realist.
Anders sieht es Fabian Scheidler. Für ihn sind wir komplett auf dem Holzweg. Wir leben «in der Trennung»: Zivilisation und Umwelt, Mensch und Natur – das sind zwei Pole, unvereinbar. Wir müssen uns wehren gegen die Natur, sie unterwerfen. Wir glauben einem mechanistischen Weltbild, das zwar am Anfang der modernen Wissenschaft steht, aber längst von ihr widerlegt wurde.
«Denn wenn wir in einem durch und durch mechanischen und berechenbaren Universum leben, dann ist die adäquate Organisationsform menschlicher Gesellschaften logischerweise eine technokratische ‹Megamaschine›.» Alles ist miteinander verbunden. Das lehren uns Quantenphysik und die moderne Biologie. Wir sind keine atomistischen Individuen, dauernd beschäftigt, unseren Nutzen zu maximieren.
«Wir sind Teil eines über Jahrmillionen und Jahrmilliarden entstandenen hochkomplexen Netzwerks von Kreislaufprozessen.» Das müssen wir einsehen und verstehen. Und so müssen wir leben.
Mit diesem Text verabschiedet sich unser langjähriger Redaktor Christoph Bopp in den Ruhestand. Wir danken unserem Kollegen für seinen Einsatz und seine geistreichen Texte. Wir freuen uns darauf, dass Bopp auch nach seiner Pensionierung ab und zu in unserer Zeitung und auf unserem Onlineportal zu lesen sein wird.