Regula Simon
«Es geht immer um das Ideal der glücklichen Familie» – Sie hilft Frauen, die eben keine Kinder wollen

Regula Simon hilft kinderlosen Frauen, eine andere Lebensperspektive zu finden. Und wünscht sich, Familien würden nicht idealisiert.

Rebecca Wyss und Sabine Kuster
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«Das Problem ist, dass das Leben ohne Kinder von der Gesellschaft gar nicht als Alternative angeschaut wird», sagt Regula Simon.

«Das Problem ist, dass das Leben ohne Kinder von der Gesellschaft gar nicht als Alternative angeschaut wird», sagt Regula Simon.

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Frau Simon, mit welchen Problemen kämpfen die Frauen, die sich auf Ihrer Plattform melden?

Regula Simon: Es gibt viele Frauen, die Kinder möchten, aber keine bekommen. Von dieser Seite her bekomme ich viel Echo. Deshalb mache ich Ende Oktober ein Seminar für Frauen, die merken: In meinem Leben wird es keine Kinder geben, und sich fragen, wie jetzt ihr Leben aussehen wird.

Wie alt sind diese Frauen?

Sie sind meistens zwischen 30 und 40 Jahre alt. Dies ist das Alter, in dem die Frauen medizinische Kinderwunschbehandlungen machen. Oft dauern die Behandlungen Jahre. Diese Paare bekommen einen Tunnelblick.

Es dreht sich alles nur noch um den Kinderwunsch?

Ja. Aber die Behandlung fordert auch eine grosse Fokussierung. Die Frauen müssen sich Hormonbehandlungen unterziehen und immer wieder in diese Kliniken gehen. Manche künden dafür sogar ihren Job. Es geht nie darum, was für Alternativen es zu einem Leben mit Kindern noch gäbe.

Nämlich?

Das Problem ist, dass das Leben ohne Kinder von der Gesellschaft gar nicht als Alternative angeschaut wird. Das wird unterschwellig suggeriert. Werbeplakate, Filme ... es geht immer um das Ideal der glücklichen Familie. Frauen, die ohne durchs Leben gehen, werden nie als Ideal dargestellt.

Was sagen Sie Frauen, die den Kinderwunsch aufgeben müssen?

Ich sage nicht: Schaut mal, was für tolle Möglichkeiten Sie ohne Kinder haben. Sondern ich schaue, was für ein Bedürfnis dahintersteckt. Wir verfolgen es so lange, bis es nicht mehr von äussern Faktoren abhängig ist.

Können Sie ein Beispiel machen?

Ich frage die Frau, was ihr eine Familie geben würde. Sie sagt zum Beispiel: «Dann habe ich etwas, das ganz aus mir und meinem Partner heraus entstanden ist.» Dann frage ich, was das bei ihr befriedigen würde, und so geht es immer weiter in die Tiefe.

Es gibt auch Frauen, die gar keine Kinder möchten. Haben Sie auch mit solchen zu tun?

Da sind viel wenigere.

Für diese Frauen ist Kinderlosigkeit also meist kein Problem.

Ja – ausser, wenn sie sich in ihrem Umfeld immer mehr als Alien fühlen, weil sich alles nur noch um Kinder dreht. Zudem löst das Nichtvorhandensein des Kinderwunsches ein derartiges Unverständnis aus, dass viele nicht dazu stehen mögen. Eine Frau, die keine Kinder will, gilt als Egoistin, oder ihr wird das Urteilsvermögen abgesprochen («Warte nur, das kommt noch»).

Warum haben Sie ein Buch darüber geschrieben?

Eine Freundin sagte: Ich kenne keine älteren Frauen, die kinderlos sind und zufrieden wirken. Da fand ich: Das kann doch nicht sein und wollte ihr solche Frauen zeigen. Also begann ich zu suchen und beschloss, ein Buch über sie zu schreiben.

Warum haben Sie auch die Plattform kinderfreilos.ch gegründet?

Im Rahmen des Buchprojektes merkte ich: Man steht als Frau ohne Kinder allein auf weiter Flur. Zur Kinderlosigkeit gab es nur Plattformen mit Hilfsangeboten, wie man doch noch Kinder bekommen kann. Ich versuche mit kinderfreilos.ch dazu beizutragen, dass sich dieser Lebensentwurf als gleichwertig etabliert.

Haben Sie früher schon gewusst, dass Sie kinderlos bleiben wollen?

Nein, das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte das traditionelle Bild, dass ich mal eine Familie haben würde.

Wie ist es dann anders gekommen?

Eine Frau, die in meinem Buch vorkommt, sagt: «Vielleicht war ich zu lebenslustig». Ich finde, das stimmt auch für mich. Hinzu kommt, dass ich nicht zur richtigen Zeit den richtigen Partner hatte. Als ich Anfang 40 meinen Traummann traf, sagte der, er wolle keine Kinder. Da wollte ich zuerst wissen, ob er das nicht will, weil er sich nicht an mich binden will. Aber so war es nicht. Also musste ich mir selbst überlegen, was ich will, und merkte, dass der Wunsch gar nicht so stark und mehr der gesellschaftlichen Norm geschuldet war. Ich erinnerte mich auch, wie ich schon als Teenager dachte, dass der spannende Teil des Lebens vorbei sei, wenn man dann Kinder hat. Heute bin ich froh, dass mein Mann keine Kinder wollte. Ich glaube, dass ich als Mutter ziemlich überfordert gewesen wäre.

Was entgegnen Sie Leuten, die sagen, man verpasse etwas?

Man verpasst immer etwas, egal welchen Weg man wählt. Das letzte Wochenende in den Bergen haben mein Partner und ich sehr genossen. Manchmal fällt uns auf, wie gut wir es haben, wenn wir Eltern mit quengelnden Kindern sehen. Wir haben im Vergleich zu Familien viele Freiheiten. Dafür verpassen wir es, Nachwuchs zu haben.