Emil Alpigers textile Schatzkiste aus Persien

Der Gamser Emil Alpiger baut im 19. Jahrhundert in Persien eine der weltweit grössten Teppichmanufakturen auf. 1894 kehrt er mit einer Holztruhe voller Textilien in die Schweiz zurück. Das Museum Rietberg zeigt sie erstmals in einer Ausstellung.

Christina Genova
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Emil Alpiger (sitzend vorne links) um 1890 im persischen Soltanabad mit Angestellten und Familie. Seine Frau sitzt ganz rechts. (Bild: Bilder: Museum Rietberg, Christina Genova)
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Solche kostbaren Jäckchen aus Seidensamt trugen reiche Perserinnen zum Tutu.
Detail einer bestickten Decke.
Farbenfrohes Hemdkleid aus Seide.

Emil Alpiger (sitzend vorne links) um 1890 im persischen Soltanabad mit Angestellten und Familie. Seine Frau sitzt ganz rechts. (Bild: Bilder: Museum Rietberg, Christina Genova)

Dies ist ein Artikel der «Ostschweiz am Sonntag». Die ganze Ausgabe lesen Sie hier.

Emil Alpigers Aufbruch in die grosse weite Welt beginnt mit einer trockenen Notiz in sein Reisetagebuch.

«Verreist von Zürich 11. Juni 1857, begleitet von Vater, Mutter zum Bahnhof.»

Die Reise führt den 16-Jährigen über Marseille und Piräus nach Konstantinopel. Doch lange bleibt er dort nicht. In jungen Jahren führt er ein rastloses Leben. Mit 26 Jahren hat er bereits den ganzen Globus umrundet, ist in den Fernen Osten, in die USA und nach Mittelamerika gereist. Vorbestimmt sind ihm seine abenteuerlichen Jugendjahre keineswegs: 1841 wird er als Jüngster von sechs Geschwistern geboren und wächst in Gams auf. Er ist einer von zahlreichen Rheintalern, welche die Armut damals in die Fremde treibt. Sesshaft wird er schliesslich in Persien, wo er über 20 Jahre lang lebt.

Die Sammlung an persischen Textilien, die Emil Alpiger dort anlegt, wird nun in der Ausstellung «Farbe bekennen» im Zürcher Museum Rietberg gezeigt. Es sind Kleider, bestickte Decken, Kopfbedeckungen. Vor acht Jahren wurde dem Museum eine Holztruhe übergeben. Darin hatten die textilen Schätze über 110 Jahre lang fast unberührt geschlummert. Weil sie nie benutzt wurden, hat sich ihre ursprüngliche Farbenfrische erhalten.

Schmuggler und Haudegen

Der Kurator der Ausstellung, Axel Langer, hat nicht nur die ganze Sammlung aufgearbeitet, sondern sich auch mit Emil Alpigers Reisenotizen auseinandergesetzt. Sie gehören ebenfalls zum Nachlass.

«Sie lesen sich wie Wildwestromane von Karl May.»

Alpiger beschreibt Gewaltsritte von 14 Stunden und wie er zu Pferd reissende Flüsse durchschwimmt. Mehrmals ist er dem Tod nahe: Auf der Überfahrt von New York nach Le Havre wird er durch ein Segel beinahe über Bord geworfen. Ein andermal stellen sich ihm und seinen Mitreisenden zwanzig Kerle mit Messern entgegen.

Alpiger ist ein rechter Haudegen und scheut keine Prügelei. In Japan versetzt er einem Händler mit einem Spazierstock einen Schlag über den Kopf, weil er eine Lieferung von Seidenraupeneiern nicht bezahlen will. Damit löst er 1865 zwei Jahre nach der Öffnung Japans die erste internationale Handelsaffäre aus.

Axel Langer fand heraus, dass Emil Alpiger in jungen Jahren wohl als Schmuggler von Seidenraupen tätig ist. In Europa sind die Raupen von einer verheerenden Krankheit befallen, deshalb importiert man sie aus nicht kontaminierten Gebieten wie Persien. Weil die Ausfuhr verboten ist, schmuggelt Alpiger die Raupen ausser Landes. Als auch die iranische Seidenzucht befallen wird, reist der Kaufmann bis nach Japan, um an Raupen zu kommen.

1869, mit 28 Jahren, heiratet Alpiger ein erstes Mal und wird Vater eines Buben. Kurz darauf sterben die Ehefrau und das Baby. Nach einjähriger Trauerzeit heiratet er erneut. Die Zürcherin Karo­lina Aline Forster bringt bald schon eine Tochter zur Welt, zwei Jahre später einen Sohn. Die junge Familie beschliesst, nach Persien überzusiedeln, wo Alpiger eine Stelle beim gebürtigen Winterthurer Philipp Ziegler antritt. Dies sei für Alpiger eine wegweisende Entscheidung gewesen, schreibt Axel Langer in der Publikation zur Ausstellung: «Sie brachte Ruhe in sein bisher rastloses Dasein und bestimmte den weiteren Lebensweg (. . .).» Philipp Ziegler, ein alter Bekannter Alpigers, wandert 1855 nach Manchester aus, wo er eine Import-Export-Firma gründet. Er exportiert maschinell gefertigte und bedruckte Baumwollstoffe nach Persien, sogenannte «Cottonaden». Dort verdrängten sie nach und nach die noch von Hand bedruckten persischen Stoffe.

Billige Baumwolldrucke für Persien

Die Sammlung Alpigers dokumentiert, wie die importierten und einheimischen Stoffe bei traditionellen Kleidungs­stücken kombiniert wurden. Deshalb ist Axel Langer der Meinung, dass Alpigers Interesse am Sammeln von Textilien in erster Linie von beruflichen Motiven ­geleitet war. In der Ausstellung ist ein kurzes Frauenjäckchen aus kostbarem Seidensamt und feinem Wollgewebe zu sehen. Das Innenfutter aus geblümter Baumwolle hingegen besteht aus billiger Importware. Die Männer trugen in Persien einen kaftanähnlichen Leibrock. Drei prächtige Exemplare sind Teil der Ausstellung. Einer davon scheint aus Termeh gefertigt. Dieser feine Wollstoff war damals der Oberschicht vorbehalten. Schaut man genauer hin, bemerkt man, dass der Leibrock aus maschinell bedruckter englischer Baumwolle genäht wurde.

Dieser imitiert das Paisley-Muster von Termeh täuschend echt.

Die Firma Ziegler beschränkt sich nicht auf den Import von Baumwolle, sondern steigt etwa 1874 auch in den Export von Teppichen ein – als erstes europäisches Unternehmen überhaupt. Eine weise Entscheidung, denn kurz darauf setzte in Europa ein Teppichboom ein, ausgelöst unter anderem durch die Weltausstellung 1873 in Paris, die auch der Schah von Persien besucht. Emil Alpigers Aufgabe als Geschäftsführer der Firma Ziegler besteht zu Beginn darin, gebrauchte und neue Teppiche aufzukaufen und deren Export nach Europa zu organisieren. Später überwacht er den Ausbau der ­firmeneigenen Gebäude in Soltanabad, das sich in der Nähe des heutigen Arak befindet, und organisiert die Produktion der Teppiche. Als Alpiger seine Arbeit aufnimmt, sind 40 Webstühle in Betrieb, um 1894 sind es alleine in Soltanabad 1200. «Es war eine der grössten Teppichmanufakturen weltweit», sagt Axel ­Langer.

Eine weise Entscheidung, denn kurz darauf setzte in Europa ein Teppichboom ein, ausgelöst unter anderem durch die Weltausstellung 1873 in Paris, die auch der Schah von Persien besucht. Emil Alpigers Aufgabe als Geschäftsführer der Firma Ziegler besteht zu Beginn darin, gebrauchte und neue Teppiche aufzukaufen und deren Export nach Europa zu organisieren. Später überwacht er den Ausbau der ­firmeneigenen Gebäude in Soltanabad, das sich in der Nähe des heutigen Arak befindet, und organisiert die Produktion der Teppiche. Als Alpiger seine Arbeit aufnimmt, sind 40 Webstühle in Betrieb, um 1894 sind es alleine in Soltanabad 1200. «Es war eine der grössten Teppichmanufakturen weltweit», sagt Axel ­Langer.

Die elegante Perserin trägt Tutu

Wie sich die Motive des klassischen ­Perserteppichs dem europäischen Geschmack nach und nach anpassten, ist in der Ausstellung gut ersichtlich. Axel ­Langer ist es gelungen, echte Ziegler-Teppiche aufzutreiben. Beim klassischen ­Perserteppich werden mindestens zwei Muster miteinander kombiniert – zu unruhig, zu verworren aus Sicht eines Europäers. Die Musterung des Exportteppichs hingegen ist übersichtlicher, aufgeräumter. Langers Urteil darüber ist vernichtend: Der Teppich sei ein Hybrid aus verschnittenem Orient und ner­vösem Klassizismus: «Ein Perser hätte einen solchen Teppich nie gekauft.»

Emil Alpigers Sammlung belegt, dass die Einflussnahme keineswegs einseitig war, sondern auch die Perser europäische Moden aufnahmen.

Der Schah sieht das Tutu während seiner Europareise 1873 im Pariser Ballett.

Begeistert kaufte er mehrere der bauschigen Röckchen. In der Folge werden sie dem persischen Geschmack angepasst zur vorherrschenden Hofmode. Alpiger besass mehrere dieser Shaliteh genannten Röckchen. Er war offensichtlich davon fasziniert, vielleicht ­gerade weil er als Europäer niemals eine derart freizügig gekleidete Perserin zu Gesicht bekam. Denn das Haus verliessen die Frauen nur mit einem dunklen Tschador bekleidet.

1896 tritt Emil Alpiger in den vorzeitigen Ruhestand und kehrt für immer in die Schweiz, nach Zürich, zurück, wo er 1905 stirbt. Alte Telefonbücher der Stadt belegten, dass er dort weiter als Teppichhändler tätig war.

Bis 14.4.19, Museum Rietberg, Zürich