Die Verteufelung des Diesels – Sommaruga kritisiert schwere Autos

Einst standen die Dieselfahrzeuge in der vordersten Reihe am Genfer Auto-Salon. Jetzt ist das Image dieser Autos am Boden, die Verkäufe gehen zurück. Obwohl die modernsten Dieselmotoren sauber sind, wie ein Empa-Forscher erklärt. Bundesrätin Sommaruga übt derweil Kritik an den Offroadern.

Bruno Knellwolf / Sven Altermatt
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Offroader sind beliebt, aber auch höchst umstritten. (Bild: Alamy)

Offroader sind beliebt, aber auch höchst umstritten. (Bild: Alamy)

Grell werfen die Scheinwerfer ab diesem Donnerstag wieder ihr Licht auf die glänzenden Neuheiten am Genfer Auto-Salon. Die Autobauer haben ihre trendigen Elektroautos im Gegensatz zu früher prominent in die vorderen Reihen ihrer pompösen Stände gestellt. Etwas verschämt wirkt da der Auftritt der Dieselautos. Ihr Image ist am Boden, 2018 wurden in der Schweiz 20 Prozent weniger dieser Fahrzeuge verkauft als im Jahr zuvor. Jahrelang waren die Verkaufszahlen in der Schweiz nach oben geschnellt. Der Antrieb mit Selbstzünder verbraucht weniger Treibstoff und galt deshalb als Lösung der Kohlendioxid-Problematik.

«Bei den CO2-Emissionen sieht man seit 1990 eine Reduktion um 20 Prozent, obwohl die Fahrzeuge schwerer und leistungsfähiger geworden sind. Zum Teil geht diese Reduktion auf den gestiegenen Anteil Dieselfahrzeuge zurück, zu einem anderen Teil auf allgemeine Effizienzsteigerungen», sagt Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme an der Empa in Dübendorf.

Und noch immer gilt: Um die immer strenger werdenden CO2-Grenzwerte einzuhalten, sind die Autohersteller auf Dieselfahrzeuge in ihrer Palette angewiesen. «Diesel-Personenwagen stossen rund zehn bis zwanzig Prozent weniger CO2 aus als Benzinautos. Wenn die Leute nun anstelle von Dieselautos solche mit Benzinmotor kaufen, steigen die Kohlendioxid-Emissionen der Neuwagenflotte deutlich an», sagt Bach.

Doch der VW-Diesel-Manipulationsskandal in den USA im Jahr 2015 hat das Image des Selbstzünders nachhaltig beschädigt. Mit Trickserei wurden die Stickoxid-Emissionen NOx im Labor unter die Grenzwerte gedrückt.

«Dieselpersonenwagen bis und mit der Abgasnorm Euro 6b haben ein NOx-Problem, das den Ursprung zum einen in veralteten Vorschriften hatte – ein Versäumnis des Gesetzgebers. Zum anderen auch im unverantwortlichen Ausnutzen der Schlupflöcher durch die Automobilindustrie».

Weniger Verkäufe, Zufahrtssperren und Rauswurf

Der Manipulationsskandal, der den Volkswagen-Konzern Milliarden kostete, in dessen Folge aber auch andere Autohersteller überführt wurden, ist nicht ausgestanden. Nicht nur die Verkäufe gingen zurück – in Deutschland gibt es Strassensperren für ältere Dieselautos. Und in der Schweiz hat das Car-Sharing-Unternehmen Mobility die Dieselfahrzeuge ganz aus dem Angebot genommen.

Eine Überreaktion? Der Empa-Forscher Bach hält zwar für richtig, dass man das NOx-Problem der Dieselfahrzeuge nicht einfach nur so zur Kenntnis genommen hat und einfach zur Tagesordnung übergegangen ist. «Allerdings wird die Diesel-Diskussion tatsächlich nicht nur faktenbasiert geführt». Inzwischen fahren die neusten Dieselautos mit Euro 6d-temp-Abgasnachbehandlungs-Systemen herum. «Diese sind deutlich sauberer geworden», sagt der Experte.

«Sie schliessen bei den NOx-Emissionen zu den Benzinern auf, die bereits niedrige Stickoxid-Emissionen aufweisen».

Die Autobauer haben bessere Katalysatoren, optimierte Motorsteuerungsfunktionen und grössere Tanks für das Abgasreinigungsmittel Ad Blue eingebaut. Messungen des deutschen ADAC zeigen, dass Euro-6d-temp-Diesler 76 Prozent weniger NOx ausstossen als die Vorgängervariante Euro-6b und 85 Prozent weniger als Euro-5-Diesel. «Richtig ‹zufrieden› mit dem Emissionsverhalten der Fahrzeuge sind wir allerdings erst, wenn hinten im Abgas nicht mehr Schadstoffe rauskommen, also vorne in der Ansaugluft reingehen», sagt der Empa-Forscher.

Christian Bach und sein Team arbeiten deshalb an Abgasreinigungssystemen, die noch weitergehende Schadstoffreduktionen möglich machen. «Gerade kürzlich hat die kalifornische Luftreinhaltebehörde angekündigt, den NOx-Grenzwert für Diesel-Lastwagen nochmals um den Faktor 10 abzusenken. Fahrzeuge, die solche Grenzwerte einhalten, tragen dann praktisch nichts mehr zur Luftbelastung bei. Das ist unser Ziel.» Generell sind alle Schadstoff- und Feinstaubemissionen in den vergangenen Jahren stark gesunken und sie werden künftig noch weiter zurückgehen (siehe Grafik).

Auch das CO2, doch der Mehrverkehr auf den Strassen hat die Effizienzsteigerung bei den Motoren wieder zunichte gemacht.

«Das ist mit ein Grund, warum die Autohersteller sich für den Verkauf von Elektroautos rüsten, die heute noch mit Null in die CO2-Rechnung eingehen», sagt Bach. Das muss differenziert betrachtet werden, denn wenn der Strom aus einem Kohlekraftwerk kommt, ist ein Elektroauto bis zu doppelt so schmutzig wie ein Benzin- oder Dieselfahrzeug. Das sei aber keine realistische Betrachtung, weil Kohlekraftwerke in künftigen Energiesystemen keinen Platz mehr hätten, sagt Bach. Wie sauber Elektrofahrzeuge sind, hängt zu einem wesentlichen Teil von der Stromqualität im Ausland ab, denn die Schweiz ist insbesondere im Winterhalbjahr mit dem Atomausstieg in zunehmendem Masse von Stromimporten aus dem Ausland abhängig.

«Im Winterhalbjahr wird der Strom in Europa aber noch über Jahrzehnte zu einem hohen Anteil fossilen Ursprungs sein. Die aktuelle gesetzliche CO2-Regelung, Elektroautos mit Null zu rechnen, ist deshalb als Starthilfe oder Förderung der Elektromobilität zu verstehen.»

Verbrennungsmotoren werden noch lange in der Mehrzahl sein

Da aber 2040 selbst bei optimistischen Annahmen Verbrenner immer noch in der Mehrzahl sein werden, müssen diese mithelfen, die CO2-Emissionen zu senken. Deshalb mache der Kauf von Dieselfahrzeugen durchaus Sinn. Allerdings sind heute immer noch viele alte Diesler unterwegs, deren Stickoxidaus­stoss deutlich zu hoch ist. Fahrzeuge sind im Mittel rund 15 Jahre im Betrieb, bevor sie dann entweder exportiert oder verschrottet werden. «Aufgrund der Erneuerungsrate wird sich das Problem laufend entschärfen. Wir empfehlen zudem, Fahrzeuge mit Motoren vor Euro 6b-temp möglichst nicht mehr im städtischen Umfeld einzusetzen. Dort haben wir erhöhte NOx-Werte in der Atemluft. In diesem Umfeld sind Elektro- oder Gasfahrzeuge besser». Biogas-betriebene Fahrzeuge sind eine kostengünstige und sofort umsetzbare Lösung für eine CO2-arme Mobilität. Doch der Verkauf von Gasfahrzeugen läuft schlecht.

Eine weitere Reduktion wird die Hybridisierung von Verbrennungsmotoren bringen. Dadurch könnte der CO2-Ausstoss nochmals deutlich gesenkt werden. Mittelfristig benötigten Hybridautos aber immer noch doppelt so viel Energie wie Elektroautos. Obwohl die Herstellung der E-Autos deutlich mehr CO2 verbraucht. Um die Ziele des Pariser Klima-Abkommens zu erreichen, sei langfristig der breite Umstieg auf erneuerbare Energie als Treibstoff notwendig, sagt Bach. Und zwar bei Elektro- wie auch bei Verbrennungsmotoren.

Schweizer Elektrosportwagen am Genfer Autosalon

Sommaruga trifft wunden Punkt

Die Empörung liess nicht lange auf sich warten. Von «unnötigem Aktionismus» spricht SVP-Nationalrat Christian Imark, der einen «Rückfall ins autofeindliche Zeitalter unter Bundesrat Moritz Leuenberger» befürchtet. Derweil kritisiert Andreas Burgener, der Direktor von Auto-Schweiz, dass «Simonetta Sommaruga alte Feindbilder aus der Mottenkiste holt».

Die neue Umweltministerin setzt erste Akzente – ein Interview mit der «NZZ am Sonntag» nutzte sie für eine Breitseite gegen Offroader. «In der Schweiz werden viele schwere und grosse Autos gekauft», kritisiert die Bundesrätin. Die Neuwagenflotte habe europaweit den höchsten CO2-Ausstoss. Sommaruga sagt, dass die meisten Offroader nicht etwa im Berggebiet, sondern im Flachland verkauft würden. «Da müssen wir nochmals über die Bücher.» Die Vorschriften beim Import verbrauchsstarker Autos dürften nicht unterlaufen werden.

Die unschöne 
Realität

Die Äusserungen von Sommaruga sorgen bei der Autolobby für Erstaunen. Branchenverband-Chef Burgener hält sie für undifferenziert: «Die Umweltministerin macht den Offroader pauschal zum Sündenbock und ignoriert, welche Bestrebungen auf politischer Ebene bereits laufen», sagt er. Unklar sei etwa, warum Sommaruga erklärt, wie wichtig bei den Emissionszielen für Neuwagen ein «Gleichklang mit der EU» sei, wo doch dieser längst bestehe. Tatsächlich betont eine Sprecherin der Bundesrätin gegenüber dieser Zeitung, Sommaruga habe bloss «die bereits heute geltenden Vorschriften für Neuwagen und den Stand bei den CO2-Emissionen angesprochen». Das freilich tat sie offenbar in einer für die Vertreter der Autobranche ungewohnten Deutlichkeit. Burgener verweist auf das gute Einvernehmen, das seine Branche zuletzt mit Sommarugas Vorgängerin Doris Leuthard gehabt habe. Noch im Dezember unterzeichneten Vertreter von Auto-Schweiz und anderen Organisationen mit der damaligen Umweltministerin eine Roadmap, wonach bis 2022 der Anteil neu zugelassener Elektrofahrzeuge auf 15 Prozent erhöht werden soll.

Sommaruga lenkt den Fokus nun wieder auf die unschöne Realität: Hochmotorisierte Offroader sind bei Schweizern so beliebt wie nie. 2018 hatte fast jeder zweite Neuwagen einen Allradantrieb. Dass auf hiesigen Strassen mehr Geländelimousinen verkehren, ist einer der Gründe dafür, dass es klimapolitische Ziele im Verkehrssektor schwer haben. 2017 sind die CO2-Emissionen von Neuwagen erstmals seit 1996 gewachsen; ein Fahrzeug stiess durchschnittlich 134 Gramm CO2 pro Kilometer aus. Das Bundesamt für Energie führt die Zunahme auf den höheren Anteil an Allradfahrzeugen zurück und auf die schwerer gewordenen Neuwagen. Branchenvertreter verweisen zudem auf die rückläufigen Verkaufszahlen bei den Dieselfahrzeugen, die weniger CO2 verursachen.

Streit um verschärftes 
Klimaziel

Ab Ende 2020 gelten analog zur EU verschärfte Ziele: Neuwagen sollen im Schnitt noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstossen dürfen. Die Vorgabe ist eine Folge der Energiestrategie 2050. Erreichen Autoimporteure diese nicht, müssen sie mit saftigen Bussen rechnen. Das Umweltdepartement betont, es seien «erhebliche Anstrengungen fast aller Importeure notwendig, um dieses Ziel zu erreichen». Wie die genaue Regelung aussehen wird, muss das CO2-Gesetz klären. Nachdem dieses im Nationalrat gescheitert ist, beginnen die Beratungen im Ständerat von vorne. FDP-Nationalrat und TCS-Vizepräsident Thierry Burkart sieht die Aussagen Sommarugas vor diesem Hintergrund: «Sie will Druck 
machen mit Blick auf die Revision des CO2-Gesetzes.» Die Autobranche pocht angesichts der Vorgaben auf Übergangslösungen, wie sie der Bundesrat bereits auf dem Verordnungsweg eingeführt hat. So dürfen emissionsarme Autos mehrfach der Fahrzeugflotte eines Importeurs angerechnet werden. Politiker von links bis in die Mitte sind gegen diesen «klimapolitischen Sündenfall», wie es GLP-Präsident Jürg Grossen nennt. (Sven Altermatt)