350 Tage im Jahr ist es auf Heard wolkig. Das hielt die Reisenden aber nicht von einem Zwischenstopp ab.
«Nach unserem nass-windigen Landausflug auf der Insel Possession geht die Fahrt unseres Forschungsschiffes weiter zur Inselgruppe der Kerguelen. Es sind nur eineinhalb Tage bis dorthin. Wir nutzen diese Zeit, um unsere Kleidung zu waschen, die Schuhe zu bürsten und die Rucksäcke mit dem Staubsauger zu reinigen. Nicht, weil wir einen übertriebenen Putzfimmel entwickelt hätten, sondern um zu verhindern, dass wir Insekten, Pflanzen oder andere Organismen von einer Insel auf die nächste einschleppen und damit das natürliche Ökosystem durcheinanderbringen. Vor jedem Inselbesuch durchlaufen wir also eine «Bio-Sicherheitsprozedur», bei der alles penibel kontrolliert wird. Wer dann doch noch ein Stück Gras im Klettverschluss hängen hat, muss es mit der Pinzette herauszupfen.
Doch kaum sind wir bei den Kerguelen angelangt, setzt wieder schlechtes Wetter ein. Starker Wind und heftiger Regen machen sowohl den Einsatz unseres Helikopters als auch der Schlauchboote zu riskant, wir können nicht an Land gehen. Unter diesen Bedingungen ergibt es auch keinen Sinn, länger vor den Inseln zu Ankern und so brechen wir wieder auf. Die nächste Station in drei Tagen Entfernung: die Insel Heard.
Julia Schmale ist Atmosphärenwissenschafterin am Paul-Scherrer-Institut in Villigen, Aargau – wenn sie nicht gerade auf Forschungsreise ist. An dieser Stelle berichtet sie wöchentlich von der antarktischen Umrundungsexpedition, bei der sie als eine von mehr als fünfzig Forschenden mitreist.
Heard ist von einem Meeresschutzgebiet umgeben. Die Insel selbst ist ein hoher Vulkan, der von Gletschern überzogen ist, die bis ins Meer hinabreichen. Ausserdem ist die Insel für ihr miserables Wetter bekannt: 350Tage im Jahr ist es hier wolkig. Nach unserem bisherigen Pech mit dem Wetter machen wir uns also keine Hoffnungen, dass ausgerechnet wir einen der seltenen sonnigen Tage ergattern.
Aber dann geschieht das Unwahrscheinliche doch: Vor Heard ist das Meer glatt und die Sonne scheint. An Bord ist Frühstückszeit, aber das Essen bleibt fast unangetastet, denn wir stehen alle an Deck, um den Blick zu geniessen. Zwar liegt der obere Teil der Insel in den Wolken, doch was wir von Heard sehen, ist wunderschön: spektakuläre Steilwände, schwarze Steine und weisse Gletscher. Wir staunen und machen Fotos. Vor Heard liegt noch eine ganz kleine neue Insel, sie ist erst letztes Jahr durch die vulkanische Aktivität entstanden. Wir fahren langsam, weil durch diese Veränderungen die Seefahrtskarten nicht mehr aktuell sind und wir Acht geben müssen, nicht auf Grund zu laufen. Und während wir so dahintuckern, lösen sich die Wolken weiter auf und geben den Blick frei auf den knapp 3000 Meter hohen Vulkangipfel.
Wir bleiben nicht lange vor der Insel Heard und sobald wir das sie umgebende Schutzgebiet verlassen haben, dürfen die Meeresforschungsprojekte wieder arbeiten. Heute steht «Trawling» an. Dafür wird eine Art Fischernetz über den Meeresboden gezogen, mit dem die Meeresforschenden die dortigen Lebewesen sammeln, um sie an Bord zu untersuchen. Sie holen damit eine Welt an Bord, die für mich, die Atmosphärenwissenschaftlerin, völlig exotisch ist. Die Fangnetze sind voll mit Schwämmen, Seegurken, Seesternen und vielen kleinen Lebewesen, die ich noch nie gesehen habe. Am meisten fasziniert mich ein kleiner orangener Oktopus: Er ist so gross wie ein Fünffrankenstück, hat winzige Saugnäpfe und grosse Augen. Die Profis arbeiten zusammen mit uns Freiwilligen bis spät in die Nacht, um alles aus den Netzen zu holen, zu sortieren, biologisch zu bestimmen und teilweise in Alkohol zu konservieren. Anschliessend sitzen wir noch gemütlich unter Deck beisammen, zufrieden mit unserem Tageswerk und gespannt auf die nächste Etappe.