Sie sind die perfekte Projektionsfläche: Die Schlümpfe feiern den 60. Geburtstag

Schlümpfe klärten auf, was Inflation ist, und bewiesen, dass auch der schlimmste Arbeitstag vorbeigeht. Diese und weitere Bekenntnisse eines Schlumpffans zum 60. Geburtstag.

Valeria Heintges
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Schlümpfe für fast alle privaten Lebenslagen: Für Musik und Spott, für stundenlanges Telefonieren, als Handwerker, Ironiker oder als Öko-Schlumpf. (Bild: Valeria Heintges)

Schlümpfe für fast alle privaten Lebenslagen: Für Musik und Spott, für stundenlanges Telefonieren, als Handwerker, Ironiker oder als Öko-Schlumpf. (Bild: Valeria Heintges)

Ich gestehe es offen: Ich bin Schlumpffan. Ich kann zwar mit den Comics wenig anfangen, habe keinen der Filme gesehen. Ich besass die «Vader Abraham und die Schlümpfe»-Kassette, fand die Lieder aber ziemlich blöd. Doch die kleinen Gummifiguren, mit ihren weissen Mützen und Hosen, ihrer blauen Haut und ihren kugelrunden Bäuchlein, die liebe ich sehr. Ich muss meinen Kopf nur ein wenig drehen, dann sehe ich sie aufgereiht auf dem Regal: Den mit dem altmodischen, knallroten Telefon, der den goldenen Hörer ans Ohr presst und gar nicht daran denkt, ihn auf die Gabel zurückzulegen. Er stand jahrelang neben meinem ähnlich altmodischen Telefon und leistete mir beim stundenlangen Tratschen Gesellschaft. Oder der Ökoschlumpf mit dem quietschgelben Strohhut auf dem Kopf, der braunen Trägerhose und der Hand auf dem Kopf einer grünen, achtbeinigen Raupe, die ihm bis zum Bäuchlein reicht. Er erinnerte mich auf diversen Bürotischen daran, dass die nächsten Ferien bestimmt kommen, egal, wie quälend der Arbeitstag gerade sei.

Der Globetrotterschlumpf ist schon um die halbe Welt gewandert. Es tat mir immer ein wenig leid, dass er kopfüber am Rucksack hängen musste. Aber er hat einen Ast als Wanderstab in der Hand, der zusammen mit seinem Körper eine perfekte Öse für den Faden bildet, an dem er baumelt. Den Rest erledigt die Schwerkraft. Die Prozedur hat ihn gezeichnet: Längst ist seine Nase weissgescheuert; ebenso seine Finger. Und auch die rote Blume am Hut hat arg gelitten.

Die ersten Schlümpfe hatten noch fünf Finger

Als Kind habe ich stundenlang mit Schlümpfen gespielt. Sie sind einfach die perfekte Projektionsfläche für alles, was ich in ihnen sehen wollte. Sie lebten nicht wie in den Comics in einem Pilzhaus im Wald, sondern in einer Nähkiste oder im Puppenhaus. Meine Freundin Anja und ich wussten damals nichts über die Historie der Kerlchen. Nicht, dass ihr Erfinder Pierre «Peyo» Culliford hiess, der sie am 23. Oktober 1958 in einem Abenteuer von «Johann und Pfiffikus» im Spirou-Magazin erstmalig auftreten liess – noch sehr viel dünner und mit fünf Fingern. Der fünfte Finger verschwand später, weil Peyo die Wesen mehr von Menschen unterscheiden wollte. Wir wussten auch nicht, dass ihr Name auf einen Aussetzer zurückgeht: Beim Abendessen mit dem Spirou-Zeichner André Franquin fällt Peyo der Name für Salz nicht ein. Und so sagte er: «Passe-moi le ... le Schtroumpf!» Danach unterhielten sich die Herren einen Abend lang in Schtroumpf-Sprache. Und wir wussten auch nicht, dass die Schlümpfe auf Deutsch anders heissen mussten, weil eben Schtroumpf (Strumpf) schon besetzt war.

Unsere Schlümpfe sprachen ganz normal; sie waren das Volk, das wir lenkten und organisierten. Sie hatten ordentliche Jobs, waren Handwerker, wie der, den ich Karl nannte, mit Hammer in der Hand und Schweisstropfen an der Stirn. Oder Musiker: mit Trompete oder Leier, Schlagzeug oder Flöte. Der Schlagzeuger und der Flötist sind weiss-der-Schlumpfgott wohin verschwunden. Von manchen weiss ich auch nicht mehr, ob sie mir gehörten oder Anja, so sehr wurden unsere Habseligkeiten beim Spielen gemischt, auch in meiner Erinnerung vermischt sich alles. Anja gehörte, glaube ich, der mit dem Bierhumpen in der Hand. Papa Schlumpf war bestimmt ihrer, mit herrschaftlich roter Hose und ebensolcher Mütze. Der war bei uns aber nie Chef und beliebt war er auch nicht.

Wir mochten lieber die Bürger, die bei uns auch sporadisch zur Wahl gehen durften. Wen oder was sie wählen sollten, weiss ich nicht mehr. Und ja, es waren ausschliesslich Bürger. Wir hatten zwar eine Schlumpfine, aber die war doof, mit ihren langen, blonden Haaren und den bewimperten Kulleraugen, und durfte nicht mitspielen. Mit solchen Frauen konnten wir uns schon damals nicht identifizieren. Es störte uns nicht besonders, wir hatten ohnehin alle Schlumpfmänner in der Hand und unter Kontrolle. Wahrscheinlich waren sie für uns ohnehin allesamt geschlechtslos. Schlumpfine übrigens hat ihr Image bis heute: Im aktuellen Sortiment gibt es zwei Schlümpfe in Tropenkleidern. Er hat ein Messer in der Hand, um den Weg frei zu schneiden. Sie einen Spiegel in der einen und eine Puderquaste in der anderen Hand und schminkt sich. Was Frauen halt so machen im Dschungel.

Das erste eigene Auto wurde «Der Schlumpf» getauft

Die Schlümpfe brachten uns auch bei, was Inflation und Teuerung ist. Mein Taschengeld stieg lange nicht so schnell wie ihr Preis. Ich meine, mich an 1.50 DM zu erinnern, auch zwei Mark fünfzig kommen mir bekannt vor. Meine Sammlung wuchs trotzdem. Zuverlässig warf die Schleich GmbH, die seit 1965 die Figuren in Lizenz herstellt, neue Typen auf den Markt. Das tut sie immer noch: Sie kosten 4.49 Euro – das wären neun Mark ... in Zürich Fr. 7.95. Das wären sieben Euro oder 14 Mark. Dabei sind sie längst nicht mehr so liebevoll entworfen, nicht mehr so detailreich gestaltet, sie sind nachlässiger angemalt. Die mit «Made in China» haben sogar die Schleich-GmbH-Adresse sichtbar auf den Hinterkopf gedruckt. Wer mag denn mit so was spielen?

Mein erstes Auto war «Der Schlumpf». Es war weiss, nicht blau. Auf dem Armaturenbrett klebte der Bäh-Schlumpf, der die Zunge herausstreckt und die Daumen in die Ohren gesteckt hat. Und ein Kleiner, der auf dem Hosenboden sitzt und ironisch in die Welt schaut. Immer wenn ich lauthals über die anderen Fahrer schimpfte, zeigte mir der eine spöttisch mein Spiegelbild und der andere, gelassen lächelnd, dass es Wichtigeres gibt im Leben. Sie sind ziemlich schlau, die kleinen Kerlchen.

Ziemlich viel Schlumpf-Geschlumpfe

Im Comic, in Hartgummi, im Kino und als Musikalben: Die Schlümpfe sind überall:

- 23. Oktober 1958: Vor 60 Jahren tauchen die kleinen Männchen erstmals in einem Comic von «Johann und Pfiffikus» im 1938 gegründeten belgischen Spirou-Magazin auf. Pierre «Peyo» Culliford lässt sie darin eine Zauberflöte erfinden.

 - Das erste eigene Abenteuer «Die schwarzen Schlümpfe» wird im 48-seitigen Miniformat herausgegeben, das die Leser selbst zusammenfalten und dann aufschneiden müssen. Sechs Abenteuer erscheinen insgesamt so, sie werden zum Jubiläum erstmals auf Deutsch im Originalformat herausgegeben. Insgesamt gibt es 32 Alben, heute im Splitter-/Toonfish-Verlag.

- Seit 1965 stellt die Schleich GmbH in Lizenz Spielfiguren aus Hartgummi her. - 1975 kommt der Zeichentrickfilm «Die Schlümpfe und die Zauberflöte» ins Kino; 2011 «Die Schlümpfe» als 3D-Film; 2013 die Fortsetzung «Die Schlümpfe 2», 2017 «Die Schlümpfe und das verlorene Dorf».

- 1978 erscheint das Album als «Vader Abraham im Land der Schlümpfe», es erreicht Platz 3 der deutschen und österreichischen Hitparade. Der Wikipedia-Schlumpf-Artikel verzeichnet 46 weitere Alben, darunter Titel wie «Tekkno ist Cool» (1995) und «Party House Hits» (1996). (vh)