Kolumne
Die ganze Wahrheit über Autofahrten mit der Familie in die Ferien

Sommerzeit ist Ferienzeit. Doch vor der Erholung steht die Reise mit Kind und Kegel an. Und die hat es in sich.

Martin Oswald
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CH Media

Die Vorstellung ist herrlich. Erwartungsfroh werden die letzten Habseligkeiten in den Kofferraum verfrachtet und dann kann es losgehen. Die Fahrt zu viert ans Meer. Auf der freien Autobahn Richtung Süden, der Sonne entgegen, die glücklichen Kinder zählen vorbeifahrende Autos und erzählen sich Geschichten, die Eltern pfeifen vergnügt zu den Songs aus dem Radio. Nichts trübt die Ferienlaune. Hier endet der kitschige Werbespot und wir schalten um auf die Realität.

Das Vorhaben, dieses Mal etwas weniger Gepäck mit in die Ferien zu nehmen, ist einmal mehr gescheitert. Elf Taschen stehen im Eingang bereit und wollen im Kofferraum untergebracht werden. Und ja, ich kann meinen Unmut über diese Materialschlacht nicht verbergen. Spielsachen für einen halben Kindergarten müssen mit. Riesige Badetücher und Strandtaschen und aufblasbare Gummitiere und ein Zelt als Schattenspender am Strand. Schuhe für im Haus, Schuhe für an den Strand, Schuhe für Spiel und Sport, Schuhe zum Essen gehen, Schuhe zum Essen gehen falls es mal etwas bewölkt ist. Und Jacken für alle, man weiss ja nie. Nach 8 Taschen und diversen Einzelgegenständen wie Badmintonschläger oder Kopfkissen ist hinten voll. Also kommen weitere Taschen zwischen die Kinder und unter ihre Füsse. Schliesslich wollen wir ja auswandern. Mein Puls ist leicht erhöht, ich gebe es zu.

Wenn dann alles bereit ist und wir losfahren könn(t)en, dann muss unbedingt noch die ganze Wohnung geputzt werden. Schliesslich freut man sich ja, wenn man nach den Ferien in ein sauberes Zuhause zurückkehrt. Da hat Frau natürlich recht, aber das will Mann Jahr für Jahr nicht einsehen. Staubsaugen, Bäder reinigen, die Küche sanieren. Ferienstimmung halt.

Dann kann es endlich losgehen. Motor an. «Haben wir Euro dabei? Haben wir alle vier Pässe? Schlüssel?» - die Checkliste hat sich über Generationen nicht geändert. Was dann passiert wohl auch nicht. Noch vor der Autobahneinfahrt hat die junge Dame hinten links Hunger. Mama ist vorbereitet und reicht einen Riegel. Noch vor der ersten Autobahnraststätte verspürt die junge Dame hinten rechts einen starken Druck auf der Blase. Ja, wir halten gleich an. Im Rheintal herrscht lautstarke Uneinigkeit über die Wahl des Audioprogramms. «Fünf Freunde» gewinnen gegen «Conny». Tränen. Nach den ersten drei Kurven am San Bernadino zückt jemand in der hinteren Reihe einen Plastiksack: «Mir ist schlecht». Derweil ich mich am Steuer versuche unbeteiligt auf den Verkehr zu konzentrieren und so zu tun, als wäre ich hier nur der Chauffeur. In Tat und Wahrheit ist der innere Stresslevel auf den 700 Kilometern bis ans Meer höher als die Temponadel. Stau bei Milano, auch das noch. Ich fasse mich kurz: Die ersten drei Tage Urlaub haben den einzigen Zweck, sich nervlich von der Autofahrt zu erholen.