Baubiologen betrachten Gebäude ganzheitlich und stellen zusätzlich zur Sorge um Nachhaltigkeit das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer in den Mittelpunkt.
Seit mehr als vierzig Jahren ist Baubioswiss Anlaufstelle und Plattform für baubiologische Fragen in der Schweiz. Die ganzheitliche Betrachtungsweise – grob eingeteilt in die Bereiche Bauphysik, Bodeneinflüsse, Gesundheit, Elektrosmog, Materialien und Ökologie – trifft den Nerv der Zeit und passt zum grünen Lifestyle, dem auch die Baubranche immer mehr Rechnung tragen muss. Jörg Watter, Architekt und Inhaber von Oikos & Partner und seit 2007 Präsident des Vereins Baubioswiss, freut sich über das gestiegene Interesse.
Herr Watter, mit welchen Anliegen kommen Interessierte zu Ihnen?
Jörg Watter: Erst heute hat sich ein Mann gemeldet, der ein undefinierbares Pfeifen in der Wohnung hat, vor kurzem eine Familie, welche wegen Wohngiften die frisch renovierte Wohnung wieder verlassen musste. Dem gehen wir nach. Notfalls ziehen wir Spezialisten hinzu. Andere Anfragen betreffen ganz konkrete bauliche Massnahmen wie beispielsweise die ideale Materialwahl für die Dämmung einer Aussenwand. Oder: Wie soll ich mit Schimmel im Badezimmer umgehen? Wie saniere ich baubiologisch am besten?
Wie grenzen Sie die Begriffe Nachhaltigkeit und Baubiologie gegeneinander ab?
Es besteht eine grosse Schnittmenge, die Baubiologie ergänzt aber mit ein paar Themenschwerpunkten. Nachhaltigkeit wird im seit 1992 bekannten 3-Dimensionen-Modell für nachhaltige Entwicklung mit den drei Handlungsbereichen soziale Gerechtigkeit, ökologische Verantwortung und ökonomische Entwicklung abgebildet. Baubiologen habe dieses Modell mit den Themenbereichen individuelles Wohlbefinden und Gesundheit erweitert.
Klingt sehr theoretisch.
Erst einmal schon. In Wirklichkeit berühren sich die Bereiche eigentlich ununterbrochen. Und auch wenn man «nur» von Nachhaltigkeit spricht, spielt das eigene Wohlbefinden ja auch eine Rolle. Die Baubiologie setzt hier vielleicht einfach einen Schwerpunkt und betrachtet den Innenraum wie eine «dritte Haut» mittels Aspekten wie Ergonomie, Psyche, Ernährung und Wasser.
So wie im Feng Shui?
Feng Shui hat das gleiche Ziel, beurteilt jedoch hauptsächlich den Energiefluss, deckt z. B. Störzonen auf und optimiert so das Wohlbefinden, eine wertvolle Ergänzung zu den Themen der Baubiologie.
Störzonen entstehen oft durch technische Geräte.
Nicht nur. Es gibt auch natürliche Bodeneinflüsse wie Magnetfelder oder Erdverwerfungen. Bei technischen Geräten ist es aber ratsam, kritischer hinzuschauen. Einerseits bringt die Technisierung ja viel Gutes und der Fortschritt ist Teil unserer Realität. Andererseits gilt es, Auswirkungen von Strahlenbelastungen Rechnung zu tragen und fachgerechte Bauweisen und Massnahmen zu ergreifen. Sehr wichtig ist dabei die Qualität des Schlafplatzes.
Also lieber Kabeltelefon statt Handy.
Das wäre auf jeden Fall strahlungsärmer. Allgemein sollten möglichst fest installierte Elektrogeräte vorgezogen werden, bestenfalls mit der Möglichkeit zum Ausschalten. Mittlerweile gibt es ja schon Mixer, die ans WLAN angeschlossen sind. In einigen Haushalten wird ständig irgendwas gefunkt. Aber muss ich wirklich vom Bett aus schon die Kaffeemaschine anmachen können?
Landesweit wird beim Bau immer mehr auf Nachhaltigkeit geachtet. Auch wenn dabei die Energie oft zentrales Thema ist und Begriffe wie energieautark und Nullenergiehaus als Verkaufsgaranten gelten, steckt oftmals viel mehr dahinter. In der Schweiz gibt es auch immer mehr ganze Siedlungen, die nach nachhaltigen und baubiologischen Aspekten gebaut werden und als Vorzeigemodell gelten. So beispielsweise das Hunziker-Areal in Zürich, die Ökosiedlung in Tägerwilen, das Mehrgenerationenhaus Giesserei in Winterthur oder demnächst die Ökosiedlung Eco-Solar in Uttwil.
Als Mieter habe ich allerdings weniger Einfluss. Wie kann ich trotzdem baubiologisch optimieren?
Betreffend verwendete Baustoffe kann ich bei Beschwerden die Schadstoffe überprüfen lassen. Gleiches gilt für Schimmel, Elektrosmog oder Wasseradern. Firmen wie BUC, CSD oder Carbotech bieten solche Leistungen an. Gewisse Baustoffe können sogar Schadstoffe abbauen, wie zum Beispiel Schafwolle, welches Formaldehyd abbauen kann. Bei der Auswahl meiner Möbel sollte ich auf natürliche Materialien aus verantwortungsvollen Quellen achten. Gleiches gilt beispielsweise auch für Wandfarben.
Wobei Neues – auch wenn nachhaltig produziert – nicht unbedingt auch nachhaltiger ist.
Das stimmt. Ich sollte immer erst überlegen: Brauche ich das neu? Ein alter Schrank aus der Brockenstube ist ökologisch vielleicht vertretbarer als ein neuer Schrank. Allerdings weiss ich dann weniger über die verwendeten Materialien wie Lacke usw. Produkte von guter Qualität lassen sich oft auch einfacher reparieren, ihre Lebensdauer ist länger.
Wo kaufe ich mit guter Absicht am besten ein?
Da sind einmal die Fachgeschäfte wie grüne Erde, Team 7, oft auch der Schreiner von nebenan. Und auch die grossen Möbelhäuser wie Ikea, Pfister oder Maison du monde setzen vermehrt auf Nachhaltigkeit in ihrem Sortiment. Nach einem Gespräch mit dem Nachhaltigkeitsbeauftragten von Ikea vor kurzem war ich positiv überrascht. Wenn sich so ein Möbelgigant der Nachhaltigkeit verpflichtet, hat das eine grosse Signalwirkung. Bei Baustoffen helfen zudem Labels wie natureplus und Profis wie Haga, Stroba oder beispielsweise das Naturhuus in Herisau als langjährige Spezialisten für biologische Bau- und Dämmstoffe.
Allgemein ist jedoch wenig deklariert.
Da besteht wirklich noch grosser Handlungsbedarf. Doch der Gesetzgeber verlangt auch hier immer mehr. Gerade auch bezüglich der Verwendung von Nanopartikeln wie Nanosilber – z. B. in Duschfliesen – würde ich mir mehr Deklarationen wünschen. Die Herausforderung vor allem für Laien besteht darin, diese Deklarationen auch wirklich zu verstehen.