Wikidata: «Das spannendste Projekt, das ich je gesehen habe»

Ein Interview mit Cristina Sarasua, Wissenschafterin an der Universität Zürich, über die Macht des Crowdsourcing und die Verlässlichkeit von Wikipedia. Sie referiert an der Wikicon 2018.

Interview: Bruno Knellwolf
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Cristina Sarasua

Cristina Sarasua

Cristina Sarasua, für wie verlässlich halten Sie die Daten auf Wikipedia und Wikidata?

Ich verwende Wikipedia und Wikidata oft, um Informationen nachzuschlagen. Mir ist bewusst, dass man nicht immer sehr detaillierte Informationen finden kann, aber in einer Vielzahl von Fällen bieten die Artikel sehr nützliche Informationen. Natürlich gibt es, wie in jedem sozio-technologischen System, Benutzer, welche Fehlinformationen eintragen. Aber die Macht des Crowdsourcing erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Dinge korrigiert werden. Je mehr Menschen daran arbeiten, umso mehr Fehler kann man registrieren.

Was zeigt die Verlässlichkeit?

In Wikidata importieren und verknüpfen Organisationen wie Museen und Behörden ihre Daten. Das ist ein Prozess der Zusammenarbeit, bei dem viele ernstmeinende und verlässliche Menschen beteiligt sind. An der Bearbeitungshistorie, der «edit history», kann jeder die Verlässlichkeit von Wikimedia-Projekten einsehen. In Wikidata gibt es ausserdem ein Werkzeug namens Recoin, welches die relative Vollständigkeit eines Datensatzes berechnet.

Hat Wikipedia Manipulationen also im Griff?

Es gibt eine Vielzahl an Wegen, mit denen die Community die Bearbeitungsaktivität überwacht. Erstens haben Autoren, insbesondere jene mit mehr Erfahrung und erweiterten Rechten, Werkzeuge, um Änderungen und neu angelegte Seiten zu überwachen. Wenn es ungenaue Fakten gibt, können Benutzer die Änderung rückgängig machen oder verbessern. Zweitens gibt es Algorithmen, welche dabei helfen, automatisch zu entscheiden, ob eine Änderung zuverlässig ist.

Wird die Datenmenge irgendwann nicht zu gross?

Wikimedia-Projekte haben den Auftrag, das menschliche Wissen zu teilen. Deshalb ist es ein gutes Zeichen, dass die Datenmenge so gross ist. Die Technologie bietet Lösungen, welche uns erlauben, die Daten verteilt zu speichern, aber ganzheitlich darauf zuzugreifen. Solange also das System in der Lage ist, die Informationen auf effiziente Weise zu verwalten und effektive Anfragemöglichkeiten gewährleistet sind, sollte alles in Ordnung sein.

Die Webseite Wikipedia sieht immer noch beinahe aus wie bei deren Gründung.

Es gab auch wesentliche Änderungen. Zum Beispiel im Bereich zusätzlicher Features, es gibt einen visuellen Editor und die Möglichkeit, ohne Internet-Zugang auf Wikipedia zuzugreifen. Ausserdem ist das Wikimedia-Ökosystem stark gewachsen. Für Wikidata gibt es viele Werkzeuge, die von der Community entwickelt wurden. Scholia und Histropedia sind zwei sehr interessante Anwendungen, die mit den Daten von Wikidata erstellt wurden. Wenn jemand Ideen für eine App hat, um die Informationen von Wikipedia oder Wikidata besser zu visualisieren, wird er ermutigt, diese selbst zu entwickeln. Das ist der Open-Source-Geist.

Wie steht es um das freie Wissen angesichts der Zensurmassnahmen in undemokratischen Ländern?

Trotz des besorgniserregenden Trends zur Zensur ist der Umfang an Wissen grösser denn je. Aber natürlich gibt es noch viel zu tun. Ich bin seit ein paar Jahren bei Wikidata involviert und kann sagen, dass es das spannendste Projekt ist, welches ich sowohl technisch als auch soziologisch gesehen habe.

Wikicon 2018

Die deutschsprachige Wikipedia-Gemeinschaft von Belgien bis ins Südtirol trifft sich vom 5. bis 7. Oktober in St. Gallen an der Wikicon 2018. Erstmals findet diese jährliche Konferenz der Wikipedianer in der Schweiz statt, und zwar an der Kantonsschule am Burgraben. Die Wikicon wird von den Trägervereinen Wikimedia Deutschland und Wikimedia CH veranstaltet. Erwartet werden etwa 300 Editoren, mehrheitlich aus Deutschland. Das «Forum des Freien Wissens» können Nicht-Wikipedianer am Samstag, 6. Oktober, ohne Anmeldung besuchen. www.wikicon.org