Geld lässt sich machen mit Graf Dracula, aber in Transsylvanien tun sich die Leute schwer, den Vampir-Kult touristisch zu nutzen. Dabei hat der Mythos des Blutsaugers längst die reale Geschichte überholt und lockt Touristen aus aller Welt auf die Burg Bran und ins Schlosshotel.
Die Strasse beginnt in der Kleinstadt Bistrita, Nordrumänien, führt nach Osten, steigt eine sattgrüne Hügellandschaft mit Tannenwaldflecken hoch, und nach dem Tihuta-Pass senkt sie sich wieder und endet irgendwo in Moldawien. Kein Tourist würde oben auf der Passhöhe aussteigen und kein Hotel mit 136 Betten wäre gebaut worden, wenn nicht ein Reisender vor 112 Jahren dieselbe Strecke gefahren wäre. Damals hiess er Borgo-Pass, der Reisende Jonathan Harker, und seine Geschichte ist in einem Buch aufgeschrieben, das Transsylvanien weltberühmt machte: Dracula.
Die Geschichte ist Fiktion, das Buch schrieb Bram Stoker, ein Ire, der diese Region nie besucht hatte, aber wen kümmert das noch hier, seit der Mythos die reale Geschichte längst überholt hat. Seither gibt es zwei Transsylvanien. Eines ist das von hügeligen Wanderstrecken und pittoresken Sachsenstädtchen durchzogene Kernland Rumäniens, das andere ein mythisches, gottverlassenes Land des Schreckens, wo Wölfe heulen und nachts die Untoten aus ihren Särgen steigen.
Man kann Geld machen mit dem Vampir, in Hollywood und in der Popkultur sowieso, in die Transsylvanien längst eingegangen ist, und hier in Rumänien, in das der blutrünstige Graf und seine Burg einfach hineinerfunden wurden, gibt es nun zwei Dracula-Schlösser, ein falsches und ein noch falscheres. Eines wurde 1983 auf den Borgo-Pass gebaut, als Hotel, weil da nichts war. Das andere liegt am anderen Ende von Transsylvanien, in der Nähe der Stadt Brasov. Die Burg Bran.
Nicolae Paduraru erinnert sich noch an sein Kopfschütteln, als er in den späten Sechzigerjahren am Bukarester Flughafen einen amerikanischen Journalisten begrüsste, der mit dem Roman in der Hand auf ihn zu eilte und sagte: «Bring mich zum Grafenschloss.» Paduraru, damals angestellt beim Staatstourismus, hatte noch nie von Graf Dracula und Bram Stoker gehört, und so zeigte er dem Journalisten die Sachsenstädte in Siebenbürgen. Aber der Journalist fand nicht, was er suchte. Bis Paduraru ihn nach Bran führte.
Bran, 1377 errichtet, thront mächtig auf einem hohen Felsen, eingekeilt von zwei Bergrücken an der Grenze von Transsylvanien. Dreimal versuchten die osmanischen Armeen, die Burg und das umliegende Land einzunehmen, jedes Mal wurden sie zurückgeschlagen. All das hätte Nicolae Paduraru dem Journalisten gerne erzählt, der aber fiel seinem Führer um den Hals, ihm dankend, dass er ihn hierhergeführt hatte. Dann flog er zurück nach Amerika zu seiner Redaktion und schrieb die Geschichte, die Padurarus Leben verändern und Transsylvanien ins Dunkel stürzen sollte: Dracula-Schloss entdeckt! Heute bietet Paduraru Touristenreisen an, «Das lange Wochenende mit Graf Dracula» heissen sie oder «Halloween in Transsylvania».
Seit 1985 sanken die ausländischen Besucherzahlen und erreichten 2002 das tiefste Niveau seit der Revolutionszeit. Der weltberühmte Vampir-Graf bot eine Chance, ein Plan von einem Themenpark wurde erarbeitet, eine Mischung aus Disneyland und Geisterbahn. Der favorisierte Standort: die Burg Bran, Hauptschlagader der Dracula-Mythologie. 2004 begrub die neue Führung das Projekt. Im Büro des Kulturministeriums in Bukarest erfährt man: «Rumänien hat seinen Touristen mehr zu bieten als einen Vampirpark.» Es gibt noch einen Grund: Seit vier Jahren gehört Bran nicht mehr dem Staat.
2005 verabschiedete das rumänische Parlament ein Gesetz, das die Rückgabe aller staatlichen Besitztümer forderte, die beschlagnahmt worden waren. So fiel Bran an Dominik von Habsburg, 69, Architekt in New York und Sohn der letzten rumänischen Prinzessin Ileana, die auf Bran wohnte. Von Habsburg und das Kulturministerium einigten sich darauf, dass die Burg noch bis 2009 als Museum erhalten bleiben würde. Danach, so hoffte die rumänische Regierung, würde Von Habsburg die Burg wieder dem Staat als Schenkung überlassen. Doch als dieser von den Plänen für einen Dracula-Park hörte, schrieb er Bran zum Verkauf aus. Kaufpreis: 135 Millionen Dollar.
Was ist mit dem Respekt vor dem Recht auf die eigene Geschichte, ärgert sich Nicolae Paduraru, der Reiseführer, und er bangt um seine Existenz. Auf jeder seiner Touren bildeten die beiden Schlösser den Höhepunkt: die mittelalterliche Burg und das Touristenschloss. Wird Bran verkauft und womöglich für den Tourismus gesperrt, bleibt den Touristen nur das nachgebaute Schlosshotel auf dem Borgo-Pass bei Bistrita.
Die weissen Mauern des «Hotel Castel Dracula», Gegenstück zur stolzen Burg Bran, werden nachts in grelles rotes Licht getaucht, und an Halloween erklingt ab Tonband Wolfsgeheul aus dem Wäldchen, auf dem alten Friedhof vor dem Hotel brennen Kerzen, und die Touristen werden zur Geisterstunde in den Keller geführt. Zu Draculas Sarg. Die Empfangsdame geht voran, die knarrende Treppe hinunter und stellt sich vor dem Sarg auf. «Hier drin liegen Draculas Knochen. Wollen Sie sie sehen?» Dann geht es schnell, die Kerze erlischt, der Sargdeckel öffnet sich, einer springt heraus, lacht tief und hämisch, greift den Besuchern ans Genick und rennt die Treppe hoch. Durchatmen.
Der Mann, der dafür sorgte, dass der Borgo-Pass sein Schloss erhielt, heisst Alexandru Misiuga, er ist 84, weisses Haar, gerader Rücken, auf dem er die Hände verschränkt, wenn er durch sein Bistrita schreitet. Baron Alexandru nennen ihn die Leute, sein dröhnendes Wort gilt etwas in der Stadt, in deren Verwaltung er in der Abteilung Kultur und Tourismus die Jahrzehnte vorbeiziehen sah. Touristen kamen lange keine. Dann kamen die Engländer und Amerikaner in sein Büro und hielten ihm Stokers Buch unter die Nase. «Ich sagte: <Es gibt hier kein Schloss.> Dann fuhren sie zum Borgo-Pass hoch, und als sie dort nichts fanden, kehrten sie wieder um. Ich dachte: Was für Idioten. Aber es kamen immer mehr.»
Schliesslich las Misiuga das Buch und dachte sich: Wenn die hier ihren Dracula suchen, dann sollen sie ihn haben. Ein paar Jahre später war das Schloss gebaut, und als daneben ein Souvenirladen entstand, wo Dracula-Schnaps und Vampir-Tassen zu kaufen waren, reagierte die orthodoxe Kirche und baute am selben Ort ein Kloster. Dort sitzen die Nonnen in ihrer Werkstatt und malen mit Airbrush Bibelszenen und Heiligenbilder auf Email.
So thronen nun ein Kloster und ein Vampir-Hotel auf diesem Pass, und dieser Bedeutungszuschuss für den Ort steht beispielhaft für die ganze Region, weil hier Geschichte nicht vermittelt, sondern einfach erfunden wird, weil Leute wie Alexandru Misiuga den Touristen alles hinstellen, was sie entdecken wollen. Dieses erfundene Land lebt nicht von den Reiseführern wie Nicolae Paduraru, die sich um die echte Geschichte sorgen, nicht von den Leuten im Kulturministerium, die von importierten Blutsaugern nichts mehr wissen wollen, und erst recht nicht von einem Dominik von Habsburg in New York. Was die Zukunft dem mythischen Transsylvanien bereithält, das kann man nun die Souvenirhändler fragen, die sich auf dem Platz zu Füssen von Bran drängeln und mit jeder verkauften Fledermausmaske die Legende von Dracula weiterschreiben.