Sie fallen locker und sind extra breit geschnitten. Aber sie passen eben gut zum aktuellen Zeitgeist in der ausgedehnten Kampfzone der Gesellschaft: die Cargohosen.
Niemand hätte ihnen ein Comeback zugetraut. Zu still war es jahrelang um das Beinkleid an der Schnittstelle von Outdoor-Überlebenstraining und Handwerkereinsatz: die Cargohose. Abgeleitet vom Begriff Cargo, zu Deutsch Frachtgut. Das wichtigste Modestatement der Neunzigerjahre verschwand von der Bildfläche. Bis jetzt.
Was die letzten zwei Jahre vornehmlich die Modeavantgarde trug, wird jetzt für den Mainstream aufbereitet und hängt bereits in den Abteilungen von Zara, H&M oder Mango. Auch an den Herbstschauen waren sie auf den Laufstegen bei Balenciaga (als Military-Deluxe-Variante), bei Miu Miu (in mondänen Crèmefarben) oder bei Balmain (mit Sahara-Ästhetik) präsent.
Tom Ford präsentiert für den Frühling ein Modell in der Trendfarbe schlechthin: in artifiziellem Knallgrün. In zart fallender Seide, an den Fesseln mit Bändern geschnürt und mit Seitentaschen versehen.
Verbreiteter als die butterweichen Seidenmodelle à la Tom Ford sind aber Cargohosen aus robuster Baumwolle in den Farben Schlammgrün, Beige, Schwarz oder Camouflage. Locker sitzend und mit wuchtigen Verstautaschen oder aufgenähten Elementen. Ähnlich wie die Hose des Schreiners oder Sanitärinstallateurs, wenn bei uns zu Hause etwas zu reparieren ist. Beim Handwerker erfüllen Cargos einen praktischen Nutzen, denn er braucht den Schraubenzieher oder den Kugelschreiber ja griffbereit. Mit Praktikabilität spielt die Mode aber hier ganz bewusst – und nicht nur damit.
Nebst der Funktionalität assoziiert man mit der Cargohose sofort auch den militärischen Kampfanzug des Soldaten. Damit in den Nahkampf zu ziehen, gedenkt man als Normalbürger trotzdem nicht. Ist auch dieses Narrativ nicht ganz Zufall? Denn vielleicht steht die Cargohose ja auch emblematisch für das aktuelle Klima in unserer Gesellschaft.
Vielleicht erlebt sie nicht umsonst jetzt ein Revival. Weil sie so gut mit dem Stimmungsbarometer der Bevölkerung harmoniert – in der ausgeweiteten Kampfzone der Pandemiediskussion, in der sich die Fronten zwischen Impfgegnern und Zertifikatsbefürwortern von Tag zu Tag verhärten.
Ohne hier einen allzu gewagten Thesenschlenker zu ziehen, doch die Stimmung ist angespannt da draussen, und der Cargohose wichtigstes Signalement lautet eben exakt: Ich bin kampfbereit und gerüstet.
Wie bei allen Modehypes macht es auch hier Sinn, einmal nach Frankreich zu schauen. Denn nur weil Influencerinnen und amerikanische Models wie Bella Hadid es vormachen, heisst es noch nicht, dass sich Trends auch in unseren Breitengraden durchsetzen.
Da ganz Europa immer auf best dressed Paris spienzelt, lohnt es sich, zu checken, ob auch Frauen wie Caroline de Maigret, Jeanne Damas oder Emmanuelle Alt Cargopants oder Workerhosen tragen. Und siehe da! Sie tun es. Besser gesagt, sie tun es tendenziell. Denn sie wären nicht die stilsicheren Französinnen, wären sie der Zeit nicht schon wieder eine Beinlänge voraus. In Paris trägt man bereits den nächsten grossen Trend dieses Winters, die Marlene-Dietrich-Hose mit hohem Schnitt und weiter, trompetenförmiger Beinform.
Beiden Hosentrends, der lockeren Cargo und der eleganten Marlene Dietrich, ist gemeinsam, dass sie mit ihrer Omnipräsenz zwei hochaktuelle Themen in der Modewelt manifestieren. Erstens: das finale Begräbnis der Skinnyjeans.
Die einzigen Frauen, die jemals gut darin ausgesehen haben, heissen Kate Moss und Sienna Miller. Sie sind und bleiben Skinnyjeans-Ikonen. Nur ihnen mit ihren schlanken Körpern verzeiht man, dass sie daran festhalten – inklusive flache Ballerinas. Normalgewichtigen Frauen mit strammen Waden und festen Fesseln schmeicheln Skinnys selten – zu rasch und zu gnadenlos kann es hier ins Presswurstartige kippen. Und damit sind wir bei Punkt zwei, warum die weiten Hosenmodelle so gut ins Jetzt passen: Sie verzeihen.
Denn die Schweiz hat zugenommen. Eine aktuelle Studie der HSG, der Universität St.Gallen, mit rund 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat ergeben, dass wir im letzten Jahr im Schnitt 3,3 Kilogramm zugelegt haben. Bei den 45- bis 64-Jährigen fällt das post-pandemische Hüftgold noch deutlicher ins Gewicht. Sie haben während Corona fast 6,7 Kilogramm zugelegt.
Für den Studienleiter und HSG-Professor Thomas Rudolph fällt das Ergebnis proportional zu anderen Jahren «extrem hoch aus». Zum Vergleich: Zwischen 2014 und 2019 lag die Gewichtszunahme im Durchschnitt bei lediglich 100 Gramm. Existenzängste, weniger Bewegung und das Homeoffice mit seinen veränderten Essgewohnheiten seien die Hauptgründe für die Gewichtszunahme.
Nun denn. So, wie sich die Gemüter irgendwann wieder beruhigen, wird sich auch das Gewicht auf der Waage wieder einpendeln. Das braucht allerdings noch etwas Zeit. So lange tragen wir die Cargohose ganz gern.
Zu einer beigen, armeegrünen oder schwarzen Cargohose, die tief sitzt und breit wirkt, sollte man ein Oberteil wählen, das nicht auch noch locker sitzt. Heisst: Kombinieren Sie dazu im Herbst einen Rollkragenpullover oder eine schmal geschnittene Bluse. Sonst laufen Sie Gefahr, dass der Look zu Grunge wirkt. Ebenfalls um dies zu vermeiden, sollten die Haare immer speziell gepflegt sein und das Gesicht minimal geschminkt (Foundation, Blush und Lippenstift).
Zweimal Tarnfarbe/Camouflage ist einmal Tarnfarbe/Camouflage zu viel. Ausser, Sie bretzeln sich gerade für eine Berliner Underground-Vernissage mit jungen Künstlern auf. Für alle anderen gilt: zur Cargohose bitte keine Politstatements-T-Shirts oder ein Military-Oberteil tragen. Sonst wirkt es rasch zu sehr nach Sendungsbedürfnis.
Ja, Sneakers sind cool – und praktisch. Aber bei der Cargohose (und bei der Marlene-Dietrich-Hose ebenso) empfiehlt sich, die optische Beinverlängerung ernstzunehmen. Heisst: Tagsüber Stiefeletten dazu tragen, abends Pumps.