Nationalheiliger
Bruder Klaus: der bauernschlaue Einsiedler

Bruder Klaus gab selten konkrete Ratschläge. Warum er im Jubiläumsjahr dennoch durch alle politischen Lager gefeiert wird.

Pirmin Meier
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Zu Ehren des Bruder Klaus findet in Sachseln jährlich eine Feier statt - dieses Jahr sind zum 600-Jahr-Jubiläum grössere Anlässe geplant. (Archivbild)

Zu Ehren des Bruder Klaus findet in Sachseln jährlich eine Feier statt - dieses Jahr sind zum 600-Jahr-Jubiläum grössere Anlässe geplant. (Archivbild)

KEYSTONE/URS FLUEELER

Es ist so eine Sache mit Nationalheiligen. In Frankreich ist es Jeanne d’Arc, das Stimmen hörende Mädchen aus Domrémy. Um 1425 erhielt sie von Erzengel Michael und den heiligen Nothelferinnen Katharina und Margaretha den Befehl, das Vaterland zu retten. Seit rund 20 Jahren ist die «Jungfrau von Orléans», wie sie auch genannt wird, unter anderem die Parteiheilige des Front National. Ihre Heiligsprechung 1920 war auch eine päpstliche und kirchliche Anerkennung für den Sieg Frankreichs im Ersten Weltkrieg.

Zu jener Zeit, gegen Ende des Weltkrieges, liess der Bundesrat dem damals noch nicht heiliggesprochenen Schweizer Einsiedler Klaus von Flüe zu Ehren mit allen Glocken der Schweiz läuten. Das Motiv galt keinem Schlachtensieg. Es war ein Akt der Dankbarkeit für die Verschonung des Landes, die man der Neutralität zuschrieb. Die Mahnung «Mischet euch nicht in fremde Händel» wurde früh in diese Richtung interpretiert. Im 16. Jahrhundert war der Walliser Kardinal und Aussenpolitiker Matthäus Schiner einer der frühesten Verehrer und Instrumentalisierer von Bruder Klaus. Ihm ging es im Gegensatz zum Reformator Zwingli nicht um das Abstellen der fremden Kriegsdienste. Eher schon um deren Regulierung. Auf dem Schlachtfeld sollten nicht Schweizer gegen Schweizer kämpfen. In diesem Sinn deutete der Kirchenfürst die Mahnungen des Obwaldners.

Bruder Klaus war schon zu Lebzeiten die gewichtigste Symbolfigur der Eidgenossen. Ging es um den Frieden, wandten sich längst vor dem umstrittenen Stanser Verkommnis von 1481 die Diplomaten Mailands, aber auch Habsburgs Herzog Sigismund an den vielverehrten Eremiten, der im Ruf der Nahrungslosigkeit stand. So bei der Einfädelung des sogenannten Ewigen Friedens zwischen Habsburg und der Eidgenossenschaft 1474. In Wirklichkeit ging es um ein Bündnis gegen den Burgunderfürsten Karl den Kühnen.

Bruder Klaus: Das Entstehungsdatum dieses Bildes eines unbekannten Malers ist umstritten. Im übertragenen Sinn hat sich sowieso jeder sein eigenes Bild von ihm gemacht.

Bruder Klaus: Das Entstehungsdatum dieses Bildes eines unbekannten Malers ist umstritten. Im übertragenen Sinn hat sich sowieso jeder sein eigenes Bild von ihm gemacht.

HO

Ratschläge satt entlöhnt

Wenig bekannt ist, dass die Geschichte des mythischen Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell im Weissen Buch von Sarnen vom Schreiber des Bruder Klaus erstmals aufnotiert worden war. Hensli Schriber, so hiess der Mann, dokumentierte die Besitztümer der Familie von Flüe. Er hielt urkundlich fest, dass Klaus von Flües Sohn Hans 40 Tage vor dem Wegzug des Vaters von der Familie eine reiche Landammanntochter geheiratet hatte. Die letzte Arbeit des Vaters war das Jäten des Grundstücks, das die Schwiegertochter in die Ehe gebracht hatte. Als einziger der nicht wenigen verheirateten Eremiten in jener Zeit lebte Klaus in unmittelbarer Nähe seiner Familie. Seine berühmten Ratschläge, seien es an die Habsburger oder etwa für Bern und Solothurn, waren keineswegs gratis und übertrafen den Lohn des Landschreibers bei weitem. Den Schweizer Städten ging es vor allem darum, über das Ausspielen der «Karte Bruder Klaus» die Kriegshetzer in den Landorten in Schach zu halten.

Über die dringliche Empfehlung hinaus, sich bei Konflikten nicht über das Prozessieren oder gar mit Gewalt, sondern gütlich zu einigen, waren die Empfehlungen des fastenden Eremiten selten konkret. Als ein «gutmütiger Liberaler», wie ihn der Aargauer Philosoph Ignaz Troxler charakterisierte, verstand er es geschickt, sich jedem Lager als Katalysator des Friedens glaubhaft zu machen. Steht Tell für das Ideal der Freiheit, blieb Klaus zu Lebzeiten ein Friedensheiliger. In dieser Eigenschaft wurde er von Papst Pius XII. 1947 heiliggesprochen.

Charakteristisch bleibt für ihn, dass er schon zur Zeit der Reformation von je beiden zerstrittenen Lagern beansprucht wurde. Von den Reformierten eher ethisch, von den Katholiken als Wundermann und sogar als «Arzt der Eidgenossen». Zur Zeit des Sonderbundskrieges (1847) musste Klaus für die Katholisch-Konservativen als Parteiheiliger herhalten. Zwei Monate vor Kriegsbeginn wollte aber der Revolutionär Jakob Robert Steiger mit Berufung auf Bruder Klaus den Frieden retten. Dies in einem «Brief an das Luzerner Volk». Bis heute wird er instrumentalisiert: Vor 30 Jahren traten am Wallfahrtsort Flüeli-Ranft Frauen für eine grosszügige Asylpolitik in den Hungerstreik.

Lobeshymnen von links bis rechts

Kein Wunder, finden im Jubiläumsjahr 2017 polarisierende Bruder-Klaus-Feiern statt. Vor Monaten organisierte die CVP mit Gerhard Pfister einen «politischen Aschermittwoch» zu Ehren ihres Patrons. Es folgten Festakte der Landeskirchen (in Zug mit Altnationalrat Jo Lang als bemerkenswertem Redner) und Unterwaldens mit einer epochalen Ansprache von Peter von Matt. Mit Bischof Vitus Huonder und Altnationalrat Christoph Blocher erhebt an diesem Wochenende in Flüeli-Ranft die politische und religiöse Rechte ihren Anspruch auf Bruder Klaus. Dass der Zaun nicht zu weit zu machen sei, hat jedoch eher mit dem uralten Zaunrecht als Nachbarrecht zu tun als mit dem Verhältnis zur Europäischen Union.

Als historisch gesichert kann gelten, dass Klaus von Flüe gegenüber der Justiz der damaligen Zeit äusserst skeptisch war. Der urkundlich belegte Kirchensteuerverweigerer hat von auswärtigem Recht (des Bischofs von Konstanz) nicht viel gehalten und bei der Einbürgerung des deutschen Kaufmanns Rudolf Mötteli Misstrauen angedeutet. Kaum je hat es einen misstrauischeren Heiligen gegeben als den bauernschlauen ehemaligen Ratsherrn und Einsiedler. Als Bundespräsidentin Doris Leuthard den heiligen Klaus als Zeuge gegen das Misstrauen in Anspruch nahm, war sie, wie viele Festredner, nicht nahe bei den Urkunden.

Pirmin Meier verfasste mit «Ich Bruder Klaus von Flüe – Eine Geschichte aus der inneren Schweiz» (Union Verlag, 3. Auflage) eine mit dem Aargauer und Innerschweizer Literaturpreis ausgezeichnete Biografie des Heiligen.