Besser Leben
31 Tage um 5 Uhr aufstehen: Experiment geschafft, aber...

So mancher Promi und Manager schwört darauf, den Tag konsequent um 5 Uhr zu starten. Unser Autor macht den Selbstversuch und notiert hier seine Erfahrungen. Hat der frühe Vogel tatsächlich mehr vom Leben?

Martin Oswald Jetzt kommentieren
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Tagebuch

Donnerstag, 31. März, 05:54 Uhr

Liebe Leserin, lieber Leser.

Mit dem heutigen Morgen geht mein Selbstversuch zu Ende. Er endet zumindest in Form dieses Tagebuchs, wo ich meine Erfahrungen mit Ihnen geteilt habe und mich über unzählige Reaktionen freuen durfte. «Und, machst du weiter?», werde ich in diesen Tagen oft gefragt. Hier und heute bekommen Sie mein Fazit:

Das Positive vorneweg: Ich geniesse die Zeit am frühen Morgen enorm. Man hat das Gefühl, die Welt schlafe noch und man bekomme etwas zusätzliche Zeit geschenkt, ganz für sich allein. Besonders fasziniert haben mich die Momente draussen in der Natur, wenn am Himmel die Sterne verblassen und sich am Horizont der neue Tag in all seinen Farben ankündigt. Ob Atemübungen, Krafttraining oder Jogging – Sport am Morgen an der frischen Luft tut einfach gut.

Kampf gegen den Schlafmangel

Auch die gewonnene Zeit, um Artikel zu lesen und Podcasts zu hören, möchte ich so rasch nicht mehr hergeben. Das wird bleiben und dafür bin ich auch weiterhin bereit, früher aufzustehen. Auch am Wochenende. Aber – und jetzt kommt der kritische Punkt: 5 Uhr ist mir einfach zu früh und sorgt, je nach Abendprogramm, ständig für ein Schlafdefizit.

Weniger Schlaf ist nicht Sinn und Zweck der Frühaufsteher. Um aber ausreichend Schlaf zu bekommen, müsste ich täglich zwischen 21 und 22 Uhr zu Bett gehen. Und das ist kaum zu schaffen, sofern man weiterhin im Sportklub bleiben, Familien- und Paarzeit pflegen und mal mit Freunden Essen gehen möchte.

Nach diesen 31 Tagen bin ich tatsächlich überzeugt davon, dass man mehr vom Leben hat, wenn man etwas früher aufsteht und mit einem persönlichen Morgenritual in den Tag startet. Aber dazu muss es nicht 5 Uhr sein. Und nach einem langen Abend darf auch einmal Muse für etwas mehr Schlaf sein.

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und wünsche Ihnen viele schöne Morgenmomente.
herzlich, Martin Oswald

Mittwoch, 30. März, 06:42 Uhr

Heute früh erinnere ich mich an die Worte des Schlafforschers Philipp Valko. Er sagte in Vorbereitung auf dieses Experiment zu mir, wie wichtig es sei, kein Schlafdefizit anzuhäufen und dieses am Wochenende mit langem Ausschlafen zu kompensieren. Doch heute, kurz vor Ende der 31 Tage, sehne ich mich tatsächlich nach einem Morgen ohne Wecker und einer langen Nacht mit neun Stunden Schlaf.

Was mich in den letzten Wochen zusätzlich motiviert hat, waren die unzähligen Nachrichten von Freunden und aus der Leserschaft.

«Die Morgendämmerung am See ist herrlich. Ich geniesse die Zeit bis meine Tochter erwacht. Ich lese und nimm mir einfach bewusst Zeit für mich»
«Das war die beste Idee Martin. Ich habe so viel mehr vom Tag, seit ich um 5 Uhr aufstehe.»

Wenn es mir schwerfällt, so früh aufzustehen, dann denke ich einen kurzen Moment an all die anderen Wecker, die gerade klingeln. Und an euch alle, die mit mir dieses Experiment gemacht haben.

Dienstag, 29. März, 05:17 Uhr

Der frühe Vogel ist müde, der gestrige Arbeitstag zog sich bis spät in den Abend. Und statt jetzt eine Runde zu joggen, rolle ich meine Füsse und Waden schmerzhaft über eine Black Roll. Die hilft dabei, die Muskulatur zu lockern. Ich habe mir beim Sport eine Sehnenentzündung an der Ferse zugezogen. Seit Tagen schmerzt jeder Schritt, dabei hätte ich grosse Lust auf Bewegung.

Noch zwei Tage und die Challenge ist zu Ende. Die Wetterprognosen künden Regen an, ein Novum in diesem Monat.

Montag, 28. März, 06:34 Uhr

Neue Woche, neues Buch. Nach der für angehende Frühaufsteher zwingenden Lektüre «5am Club» nehme ich mich einem weiteren Bestseller der Selbstoptimierung an: «Micro Habits». Darin geht es um die Macht der kleinen Veränderungen. Statt sich auf grosse Ziele zu fokussieren, geht es um die kleinen Schritte im Alltag. Quasi Mini-Verhaltensweisen.

Buch: Micro Habits.

Buch: Micro Habits.

Bild: PD

Statt sich gleich einen Marathon zum Ziel zu nehmen, erstmal einfach jeden Tag 10 Minuten spazieren gehen oder eine Haltestelle früher aus dem Bus steigen. Statt endlich gesund zu Essen, erstmal einfach auf den Zucker im Kaffee verzichten oder täglich eine Flasche Wasser bei der Arbeit trinken. Oder statt gleich dem «5 Uhr früh Club» beizutreten, erstmal einfach jeden Morgen eine Viertelstunde früher aufstehen und die Zeit für sich nutzen.

Die Veränderung mag auf den ersten Blick unbedeutend oder klein erscheinen. Aber täglich zehn Minuten Bewegung sind fünf Stunden im Monat und 60 Stunden im Jahr. Es gilt das Vorhaben so klein zu verpacken, dass man gar nicht scheitern kann. Konfuzius sagte: «Der Mann, der den Berg abtrug, war derselbe, der anfing, kleine Steine wegzutragen».

Mehr dazu im lesenswerten Blogpost «Das 6-Minuten-Prinzip».

Sonntag, 27. März, 08:36 Uhr

Der Morgen nach der Zeitumstellung vermittelt mir ein Gefühl, als wäre immer noch Winter und mein Morgenritual geprägt von Dunkelheit. Noch vier Tage und dann ist die Challenge geschafft. Immer häufiger werde ich darum aus meinem Umfeld gefragt, ob ich im April weiterhin so früh aufstehen werde. Noch habe ich ein paar wenige Tage Zeit, um mein Fazit zu ziehen. Und natürlich werde ich Sie daran teilhaben lassen.

Schon jetzt ist aber klar, dass ein gutes Morgenritual noch ohne stimmiges Abendritual funktionieren kann. So hat mir Psychologin Anna Miller stark empfohlen, am Abend einige Zeit vor dem Einschlafen auf alle technischen Geräte zu verzichten. Und Robin Sharma rät in seinem Buch «5am Club», bereits vor dem Einschlafen seine Sportkleider für den nächsten Morgen bereitzulegen. Während der eine Ratschlag hilft, gut einschlafen zu können, hilft der andere, am Morgen möglichst rasch in die Gänge zu kommen.

Und Vorbereitung ist tatsächlich die halbe Miete. Um niemanden in meiner Familie zu wecken, sind alle Kleidungsstücke, die Schuhe und die Kopfhörer so bereitgelegt, dass ich am Morgen um 5 Uhr mit Sicherheit nichts suchen muss und keine lauten Schubladen oder Schranktüren öffnen muss.

Samstag, 26. März, 07:43 Uhr

Ein weiterer herrlicher Morgen, doch die Natur braucht dringend Regen. Und ich müsste dringend mal wieder ausschlafen. Aber noch dauert mein Experiment fünf weitere Tage. Und ab morgen ändert sich ein Parameter für uns Frühaufsteher: Das Licht. Denn es ist Zeitumstellung und wir stellen die Uhr eine Stunde nach vorne. Während die Sonne heute um 06.14 Uhr über der Ostschweiz aufging, wird sie das morgen Sonntag erst um 07.12 Uhr tun. Mein Morgenritual draussen in der Natur wird also erstmal wieder im Dunkeln stattfinden. Schade.

Freitag, 25. März, 06:53 Uhr

Zeit, etwas Neues auszuprobieren. Heute gibt es eine spezielle Atemübung von Wim Hof. Das ist der Typ der seit über 40 Jahren jeden Morgen ein Bad im eiskalten See nimmt und von sich behauptet, deswegen noch keinen Tag krank gewesen zu sein. Seine Atemübung beruht darauf, durch intensives Ein- und Ausatmen den ganzen Körper mit Sauerstoff zu füllen und dann für einen Moment die Luft anzuhalten.

Fazit nach meinem ersten Versuch: Man ist total wach nach dieser Übung und der Kopf fühlt sich frisch an. Während der Phase des Luftanhaltens entsteht ein Gefühl von Trance. Das Youtube-Video ist eine Audioanleitung. Probieren Sie es aus.

Donnerstag, 24. März, 07:24 Uhr

Ich erwache in einem Hostel in Winterthur. Zwischen einem Anlass gestern Abend und einem Workshop heute früh, hatte sich die nächtliche Rückreise ins Appenzellerland nicht gelohnt. Allerdings stelle ich zum wiederholten Mal in diesem Monat fest, dass ein Morgenritual unterwegs oder im Hotel nicht so einfach umzusetzen ist, wie im trauten Zuhause.

Da fällt mir ein Satz aus dem Buch «5am Club» von Robin Sharma ein: «Alle Veränderungen sind am Anfang mühsam, in ihrem Verlauf chaotisch und am Ende grossartig.» Ist das wirklich so, oder ist das bloss dick aufgetragener Motivationssprech eines kanadischen Autors? Ich bin dabei es herauszufinden.

Mittwoch, 23. März, 06:18 Uhr

Guten Morgen. Schön, dass Sie mein Tagebuch lesen. Tagebuch schreiben ist eine neue Erfahrung für mich. Dabei wird genau das im «5 Uhr früh Club» sehr empfohlen. Reflektieren und schreiben, am besten von Hand, zwanzig Minuten jeden Morgen. Dabei können folgende Fragen im Zentrum stehen?

  • Wofür bin ich dankbar?
  • Was habe ich heute für mein Glück getan?
  • Was möchte ich in meinem Leben verändern?
  • Wer gibt mir ein gutes Gefühl?
  • Was ist Glück für mich?

Ein Dankbarkeits-Tagebuch kann man natürlich auch am Abend schreiben, aber vielleicht sind die Gedanken am frühen Morgen klarer.

Meine Gedanken sind heute früh noch nicht besonders klar. Ich fühle mich müde. Da hilft die frische Morgenluft. Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Mittwoch.

Dienstag, 22. März, 06:53 Uhr

Mit zu einer inspirierenden und gesunden Morgenroutine gehört es, dem üblichen Reflex zu widerstehen, sogleich das Smartphone in die Hand zu nehmen, Nachrichten zu lesen, durch Instagram zu surfen und E-Mail zu checken. Darum empfiehlt es sich, einen analogen Wecker im Schlafzimmer zu haben und das Handy draussen zu lassen. Auch nach dem Aufstehen wären erst einmal bewegen, reflektieren und lernen auf dem Programm.

Mit Betonung auf «wären». Noch gelingt es mir nicht, dem Reflex zu entsagen, kurz nachzusehen, ob die Welt noch steht. Natürlich tut sie das. Aber der News-Junkie in mir ist meist stärker. Gerade in diesen Tagen des Ukraine-Kriegs möchte ich am Ball der neusten Entwicklungen bleiben.

Inwieweit ist dieses Verhalten völlig normal und an welchem Punkt nimmt das Handy einen zu grossen Stellenwert ein? Über diese Frage habe ich mit Kollegin und Psychologin Anna Miller gesprochen:

Montag, 21. März, 06:24 Uhr

Der Mond scheint hell auf mich herunter, wie ich um kurz nach 5 Uhr draussen meine Übungen mache. Am anderen Ende des Spektrums zeigen sich erste Erhellungen am Horizont. Noch ist alles ruhig. Irgendwo in der Nähe ruft eine Eule. Heute muss ich mein Morgenprogramm kurz halten, denn um 6 Uhr beginnt die Reise nach Zug. Redaktionsbesuch bei den Kolleginnen und Kollegen der Zuger Zeitung. Noch sind die 31 Tage nicht um, noch ist es zu früh für ein Fazit zum Versuch, dem Klub der Frühaufsteher beizutreten. Doch die Magie des Moments vor Tagesanbruch - draussen in der Natur - die wird mich so rasch nicht mehr loslassen.

Sonntag, 20. März, 05:15 Uhr

«Was machst du denn genau so früh am Morgen?» - werde ich diese Tage oft gefragt. Die Philosophie des «5 Uhr früh Club» sieht vor, zwanzig Minuten Sport zu machen, zwanzig Minuten zu reflektieren und zwanzig Minuten etwas zu lernen. Meine Intention, dieses Experiment zu machen, entstand vor allem aus dem Wunsch, mehr Zeit für Sport und mehr Zeit zum Lesen zu haben. Hier also mein noch unausgereifter Ablauf:

  • Aufstehen und anziehen
  • 1 Glas Wasser trinken
  • 10 Minuten Lu Jong draussen in der Natur (Atmung und Bewegung)
  • 20 Minuten lesen (Nachrichten, Hintergründe, Newsletter, usw.)
  • 20 Minuten Podcast hören (Gespräche, Hörbücher)
  • 20 Minuten joggen, anschliessend duschen

Und dann ist es Zeit, die 8-jährige Tochter für die Schule zu wecken und damit startet der allmorgendliche Ablauf unserer vierköpfigen Familie.

Samstag, 19. März, 06:50 Uhr

Einer der Treiber, früher in den Tag zu starten, ist der Wunsch, mehr Zeit zu haben. Doch mehr Zeit ist genau betrachtet nicht zu haben. Es geht eher um den Versuch, die uns geschenkte Lebenszeit optimal zu nutzen. Ein durchwegs philosophisches Thema, welches im «5 Uhr früh Club» eine grosse Rolle spielt.

Neulich bin ich auf dieses Bild gestossen. Eine Art Kalender, der die Anzahl Wochen eines durchschnittlichen Menschenlebens zeigt. Werden wir 90 Jahre alt, so leben wir umgerechnet 4680 Wochen.

Ein Kalender mit den Wochen eines Lebens.

Ein Kalender mit den Wochen eines Lebens.

Bild: PD

Trägt man auf diesem Kalender die bereits gelebten Wochen ein, wird einem unweigerlich bewusst, wie schnell die Zeit vergeht. Die Webseite Waitbutwhy hat das typische Leben einer Amerikanerin oder eines Amerikaners auf diesem Kalender eingetragen.

«The life of a typical american»

«The life of a typical american»

Bild: waitbutwhy.com

Eine schöne Vorlage für ein wenig Reflexion über den Umgang mit der eigenen Lebenszeit.

Freitag, 18. März, 07:23 Uhr

Guten Morgen liebe Leserin, lieber Leser. Heute ist «Internationaler Tag des Schlafes». Dagegen klingt das Experiment, jeden Tag um 5 Uhr aufzustehen erstmal wie eine Anti-These. Doch wer jeden Morgen früh aufsteht und damit auch noch mehr vom Tag haben will, braucht guten Schlaf. Studien zeigen aber, dass fast ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer an Schlafstörungen leidet.

Schlafmangel wirkt sich negativ auf die Konzentration und das Gedächtnis aus. Er kann die Stimmung beeinflussen und ein Grund für Depressionen werden. Bestimmte Erkrankungen wie Schlafapnoe steigern sogar das Risiko für Herz-Kreislauf-Probleme wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Neurologe Dr. José Haba-Rubio erklärt: «Wer müde oder schläfrig ist, ist auch weniger leistungsfähig. Und jemand, der nicht richtig schlafen kann, läuft Gefahr, an anderen Krankheiten zu leiden. Zudem erhöht schlechter Schlaf das Risiko von Arbeitsunfällen.»

Kollegin Jolanda Riedener hat sich mit diesem Thema beschäftigt und Schlafforscher nach Tipps gefragt.

Donnerstag, 17. März, 07:55 Uhr

Würde ich nicht über meinen Versuch schreiben, ich wäre heute Morgen liegen geblieben. Doch die konstant hohen Abrufzahlen dieses Tagebuchs und die vielen persönlichen Reaktionen schliessen ein Nachlassen aus.

Gruppendruck quasi. Das ist eine der vielen Erkenntnisse aus den ersten 17 Tagen: Veränderung fällt leichter, wenn man nicht alleine ist. Wollen Sie mit Rauchen aufhören, eine Sprache lernen oder regelmässig schwimmen gehen? Dann suchen Sie sich Verbündete, die das gleiche Ziel verfolgen.

Es ist einige Jahre her, da war ich Teil einer Jogginggruppe, die sich jeweils um 6 Uhr früh traf. Eines Morgens herrschte draussen Wintersturm. Niemals wäre ich bei diesem Wetter alleine laufen gegangen. Aber die Gruppe hängen lassen, war keine Option. Es wurde schliesslich zu einem unvergesslichen Training - dem Gruppendruck sei Dank.

Mittwoch, 16. März, 05:05 Uhr

Wissen Sie, warum ein Space Shuttle während seinen ersten 60 Sekunden mehr Treibstoffs verbraucht als während seiner gesamten Erdumrundung?

Bild: WiffleGif

Es muss nach dem Start die Schwerkraft überwinden. Und genau so geht es doch vielen von uns mit dem Aufstehen am Morgen. Es braucht Überwindung und Energie, sich aus dem weichen und warmen Gefühl unter der Decke loszureissen und den Verlockungen zu widerstehen, noch ein paar Minuten im Bett liegen zu bleiben.

Es ist dies der kritischste Moment des Unterfangens, täglich um 5 Uhr aufzustehen. In dem Moment ist Willenskraft gefordert. Und diese zu trainieren, sei ein entscheidender Baustein, um Grosses zu vollbringen – heisst es im Buch «Der 5 Uhr Club» von Robin Sharma. Nun denn, auf geht's!

Dienstag, 15. März, 06:31 Uhr

Sind Ihnen die Vögel schon aufgefallen, die jetzt wieder jeden Morgen zu hören sind? Der Frühling naht, wie schön. Vögel beginnen zu unterschiedlichen Zeiten zu pfeifen. Das war mir völlig neu, als ich auf diese Website hier stiess. Singende Vögel zeigen die Uhrzeit, heisst es dort. Demnach beginne der Gartenrotschwanz sein Konzert exakt 90 Minuten vor Sonnenaufgang. Das Rotkehlchen achtzig, die Amsel fünfundsiebzig, der Zaunkönig siebzig.

Zu spät: Der Star fängt erst zehn Minuten nach Sonnenaufgang an zu pfeifen.

Zu spät: Der Star fängt erst zehn Minuten nach Sonnenaufgang an zu pfeifen.

Bild: Severin Bigler
Montag, 14. März, 05:28 Uhr

Eine neue Woche beginnt, allerdings ohne mein bereits so vertrautes Morgenritual. Zwar klingelt auch heute der Wecker um 5 Uhr, aber diesmal steht eine Geschäftsreise nach Deutschland auf dem Terminplan und mein Bus fährt um 6 Uhr. Ich bedaure ein wenig, für einmal den Sonnenaufgang in der Natur zu verpassen.

Sonntag, 13. März, 07:25 Uhr

Heute startete mein Tag um 6 Uhr. Eine Stunde später als sonst. Die Erfahrung der ersten Tage im 5-Uhr-Club haben mir gezeigt, dass ich mit sieben Stunden Schlaf auskomme und mich fit fühle. Wird es Abends mal später, könnte es also sinnvoll sein, die Schlafdauer beizubehalten und so im Rhythmus zu bleiben. Die Empfehlung der Mentaltrainerin habe ich damit missachtet. Aber darum geht es wohl: Herausfinden, was für einen selber funktioniert.

Und selbst Sonntagmorgen um 6 Uhr ist eine grossartige Zeit. Draussen in der Natur die Dämmerung beobachten, Atemübungen praktizieren und den Körper bewegen, dazu Musik hören. Probieren Sie es aus.

Samstag, 12. März, 07:01 Uhr

Tag 12 des Experiments. Ich finde eine Nachricht von Mentaltrainerin Tina Dyck auf meinem Handy. Sie hatte mir im Vorfeld Tipps gegeben. «Na, wie läuft es mit dem frühen Aufstehen?», möchte sie wissen. Wir telefonieren und ich erzähle ihr von der schönen Erfahrung der ruhigen Morgenstunden. Aber auch davon, wie schwierig es ist, genügend Schlaf zu bekommen. Ihr Tipp: Mittagsschlaf am Wochenende. «Versuche weiterhin um 5 Uhr aufzustehen, auch wenn es am Freitagabend mit Freunden mal etwas später wird. Aber mach dafür von 11 bis 13 Uhr ein Nickerchen.»

Freitag, 11. März, 07:59 Uhr

Ich habe Glück. Seit dem Start meines Morgenexperiments ist es schönes Wetter. Und so stand ich auch heute früh draussen in der Natur, während am Horizont das Grau langsam in ein helles Blau und schliesslich in Rosa und Gelb überging.

Morgendämmerung über dem Appenzellerland.

Morgendämmerung über dem Appenzellerland.

Bild: Martin Oswald

In der Literatur wird diese Zeit des Tages auch als Zwischenraum beschrieben. Ein Raum, in dem das eine endet und das andere noch nicht begonnen hat. Die indigenen Stämme Nordamerikas sagen beispielsweise, dass die Erde zweimal am Tag in ein mystisches Reich eintaucht. Einmal direkt nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist und bevor die Dunkelheit der Nacht hereinbricht. Das andere Mal bevor die Sonne am Morgenhimmel erscheint, nach dem dunkelsten Teil der Nacht. Der Anthrophologe Carlos Castaneda bezeichnet diesen Moment als «einen Spalt zwischen den Welten».

Donnerstag, 10. März, 06:10 Uhr

Heute habe ich kurz gezögert, als der Wecker mich jäh aus dem Schlaf riss. Liegenbleiben schien sehr verlockend. Aber nichts da, raus mit dir...

Mittwoch, 9. März, 05:56 Uhr

Womit schliesst man so ein Morgenritual ab, bevor der Tag startet? Ich habe mir vorgenommen, jeweils einen Blick in die Agenda zu werfen, terminfreie Zeiten zu suchen und diese für ein wichtiges Thema zu blocken. Worauf möchte ich mich heute fokussieren? Welches Vorhaben ist besonders wichtig?

Man kann sich wunderbar den ganzen Tag durch Termine bestimmen lassen, E-Mails beantworten und andere kleine Tasks erledigen. So ist man zwar dauernd beschäftigt, aber kommt keinen echten Schritt weiter. Fokus ist das Zauberwort. Wenn ich jedoch entscheide, bei welchem Projekt ich heute einen entscheidenden Schritt weiter kommen möchte, dann werde ich mich weniger ablenken lassen und am Ende des Arbeitstages ein gutes Gefühl haben.

Probieren Sie es aus: Schreiben Sie ihr wichtiges Vorhaben für heute auf ein Post-It und kleben Sie es gut sichtbar an den Bildschirm.

Dienstag, 8. März, 07:34 Uhr
Die App Productive.

Die App Productive.

Bild: Screenshot

Warum mögen viele von uns To-Do-Listen? Weil es uns Halt und Struktur gibt, Sicherheit vermittelt. Wenn ich alles erledigt, alle Tasks abgearbeitet habe, dann erst tritt ein Gefühl von Zufriedenheit ein. Auch für das Entwickeln von Routinen gibt es Tools und Apps. Als ich den Vorsatz fasste, einen Monat lang um 5 Uhr aufzustehen, suchte ich sogleich nach einer passenden App, die mich zusätzlich motivieren und mir Struktur bieten würde. Apps wie Fabulous oder Productive ermöglichen, ein individuelles Programm zusammen zu stellen, Erinnerungen zu setzen und den Fortschritt zu überprüfen.

Doch diese Apps bleiben bislang ungenutzt auf meinem Handy liegen. Sie erscheinen mir wie die fehlgeleitete Anti-These zum sinnhaften Morgenritual, bei dem es um Bewusstsein, um Zeit für sich, um den Fokus auf Körper und Geist geht. Digitale Tools zum Arbeiten und Kommunizieren umgeben uns schon die restliche Zeit des Tages.

Montag, 7. März, 07:05 Uhr

Es ist kurz nach 7 Uhr, ich sitze im Zug Richtung Zürich. Draussen geht die Sonne als leuchtend rote Kugel über dem Horizont auf. Die nächsten zwei Tage steht ein Workshop auf dem Programm. So war ich auch heute getreu meinem einmonatigen Morgenexperiment um 5 Uhr wach, doch für mein Ritual blieb für einmal keine Zeit.

In den letzten Tagen haben ich zahlreiche Rückmeldungen zum Thema Morgenroutine erhalten. Viele probieren es mit mir aus und stehen jetzt im März früher auf. Andere müssen zwar ebenso früh aufstehen, haben aber keine Zeit für sich selbst. Weil sie den Zug erwischen müssen – so wie ich heute, weil sie Frühdienst in ihrem Beruf haben oder weil sie kleine Kinder haben. Früh aufzustehen und Zeit für sich zu haben, ist gewissermassen ein Privileg.

Sonntag, 6. März, 06:35 Uhr
Das Buchcover von «Der 5 Uhr Club».

Das Buchcover von «Der 5 Uhr Club».

Bild: PD

«Gestalte deinen Morgen und in deinem Leben wird alles möglich», dieser Satz bleibt mir hängen. Er stammt aus dem Bestseller von Robin Sharma mit dem Namen «Der 5 Uhr Club». Sharma erzählt darin die Geschichte einer Managerin und eines Künstlers, die auf Mauritius zu Gast bei einem Miliardär in sein lebensveränderndes Morgenritual eingeweiht werden. Der Autor zeigt in diesem belletristischen Ratgeber Schritt für Schritt, wie wichtig es ist, sich jeden Tag bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen. Auf der Basis neurowissenschaftlicher Studien erklärt er die Rituale, mit denen man die eigene Kreativität steigert, beste Gesundheit erreicht und die innere Gelassenheit beibehält.

Ich habe mich entschieden, mir jeden Morgen ein Stück aus der Hörbuch-Version (gratis bei Spotify) anzuhören und so Schritt für Schritt besser zu verstehen, was hinter der Philosophie des richtigen Morgenrituals steckt. Ein zentrales Element dabei ist die 20-20-20 Regel. Dabei geht es darum, je einen Drittel des Morgens für Bewegung, Weiterbildung und Reflexion einzusetzen.

Samstag, 5. März, 07:29 Uhr

Der fünfte Morgen im Experiment ist zugleich der erste Wochenendtag. Ein Tag, an dem ich üblicherweise gerne etwas länger schlafe. Das nach wie vor herrliche Wetter macht es leichter. Ich trainiere eine Weile draussen, beobachte wie der Himmel langsam heller wird und stürze mich dann in Lektüre. Habe mir viele Artikel bereitgelegt, die ich schon lange mal lesen wollte und jetzt endlich Zeit dafür habe.

Tipp: Ich speichere mir alle Artikel, die ich im Web entdecke und später lesen möchte, in der App Pocket.

Freitag, 4. März, 07:19 Uhr

Tag 4 meines Experiments. Ich stelle fest, dass die grosse Herausforderung für mich nicht das frühe Aufstehen, sondern das ebenso frühe zu Bett gehen ist. Um auf mindestens sieben Stunden zu kommen, müsste ich stets um 22 Uhr schlafen. Das schränkt den Abend stark ein, oder aber erfordert Kompromisse am Morgen.

Abendveranstaltungen, Einladungen bei Freunden, oder wie gestern das Fussball-Spiel des Lieblingsvereins, welches erst kurz vor 22.30 Uhr endet. Auf all das möchte ich natürlich nicht verzichten. Wie also bleibt man dem 5-Uhr-Club treu, ohne auf wertvollen Schlaf zu verzichten? Das muss ich in den nächsten Tagen herausfinden.

Donnerstag, 3. März, 06:05 Uhr

«Ich habe auch mal versucht, täglich um 5 Uhr aufzustehen, musste dieses Unterfangen jedoch abbrechen, da ich stets alle im Haus geweckt habe.» Das hat mir Michael vor ein paar Tagen bei LinkedIn geschrieben. Und es war mir eine Warnung, schliesslich hätte ich ganz schön Ärger mit Frau und Kindern, wenn sie meinetwegen so früh erwachen würden.

Darum: Vorbereitung ist die halbe Miete. Meine Sport-Klamotten lege ich bereits am Vorabend neben mein Bett. Jacke, Mütze und Handschuhe sind im Wohnzimmer bereit – schliesslich ist es die Tage eiskalt am frühen Morgen. Dann verlasse ich das Haus durch die Schiebetür direkt nach draussen, die Haustüre würde zu laut schliessen. Wieder zurück von Lu Jong und Joggingrunde setze ich mich aufs Sofa, lese Artikel und höre Podcasts. Alles schön leise. Bis jetzt geht der Plan auf.

Mittwoch, 2. März, 05:11 Uhr

Ich stehe draussen vor dem Haus, Stille, über mir leuchten die Sterne. Es ist kalt und ich habe mir eine dicke Winterjacke, Mütze und Handschuhe angezogen. Ich atme tief durch meine Nase ein und durch den Mund wieder aus. Ein guter Freund hatte von meinem Experiment gehört und gemeint, ich müsse unbedingt Lu Jong ausprobieren. Das passe perfekt zu einem gesunden Morgenritual und stärke Geist und Körper.

Lu Jong ist eine uralte Praxis, die in der tibetischen Medizin wurzelt. Sie soll Blockaden auf der physischen, geistigen und energetischen Ebene lösen. Ich probiere es aus und stelle erstmal fest, dass meine Muskulatur so früh am Morgen noch ziemlich eingerostet ist. Mal schauen, wie sich das in den nächsten Tagen verändert.

Anleitung für die 5 Grundübungen des Lu Jong

Video: Youtube
Dienstag, 1. März, 06:49 Uhr

Ich war schon wach, bevor der Wecker klingelte. Mein Unterbewusstsein hatte wohl gespeichert, dass heute meine Challenge beginnen würde. Ich ging in die Küche um ein Glas warmes Wasser zu trinken. Das soll die Verdauung anregen und den Stoffwechsel auf Trab bringen. Auf Trab brachte mich dann auch die Nachricht eines Kollegen:

«Guten Morgen Martin. Läck ist das früh, aber lass es uns versuchen.»

In den vergangenen Tagen haben mir unzählige Freunde geschrieben, sie würden ebenfalls mitmachen und versuchen, den Tag um 5 Uhr und mit einem festen Morgenritual zu beginnen. Auf meiner anschliessenden Joggingrunde dachte ich an die anderen Neulinge im 5-Uhr-Club. Was sie wohl gerade machten?

Montag, 28. Februar, 16:00Uhr

So, morgen früh geht es los. Der Wecker wird deutlich früher klingeln als sonst. Und damit der innere Schweinehund und die Müdigkeit nicht obsiegen, gilt es, heute Abend rechtzeitig ins Bett zu gehen. Momentan verbringe ich viel Zeit auf Twitter und News-Plattformen, um mich über den Krieg in der Ukraine zu informieren. Viele Ratgeber empfehlen jedoch, den Tag nicht gleich mit schlimmen Nachrichten zu beginnen. Als Journalist werde ich diesem Instinkt kaum widerstehen können. Aber das Ziel ist klar: Ich möchte den Tag mit Sport, mit Achtsamkeit und mit Lesen beginnen.

Tipps vom Schlafforscher und der Mentaltrainerin

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