Vor zehn Jahren hat Steve Jobs das iPhone vorgestellt. Keine andere Entwicklung hat unser Leben seither mehr geprägt. Dabei fehlte dem Apple-Telefon noch ein wesentliches Element
Als er an diesem Dienstag im schwarzen Rollkragenpullover und den Blue-Jeans die Bühne betrat, wusste Steve Jobs, dass es ein Moment für die Ewigkeit sein wird. «Heute werden wir zusammen Geschichte schreiben», sagte der Apple-CEO. Solche Sätze gehören zum Standardrepertoire des Mannes mit der John-Lennon-Brille. Doch diesmal traf er auch tatsächlich zu.
Jobs hatte nicht bloss ein Produkt vorzustellen, das die Welt verändern wird, sondern gleich drei, wie er dem Publikum erklärte. Das erste: ein iPod mit einem grossen Touch-Bildschirm. Das zweite: ein revolutionäres Mobiltelefon. Und das dritte: ein innovatives Internet-Kommunikationsgerät.
Dann breitete er die Hände aus wie ein Messias und wiederholte mantraartig die drei Worte: iPod, Mobiltelefon, Internet-Kommunikationsgerät. «Das sind nicht drei separate Dinge, sondern eines. Habt ihr verstanden?» Die Menge jubelt. Sie hat es schon lange verstanden. «Wir nennen es iPhone», sagt Jobs und strahlt.
Nächsten Montag sind es zehn Jahre her, seit der mittlerweile verstorbene Apple-Gründer das iPhone in San Francisco an der MacWorld Conference der Öffentlichkeit vorstellte – und damit die Smartphone-Revolution einläutete.
Nein, das iPhone war nicht das erste internetfähige Mobiltelefon. Digitalaffine Manager hatten damals bereits ein Blackberry in ihrer Westentasche. Und Nokia stellte schon 1996 den 900 Communicator vor, mit dem neben E-Mails auch Faxe empfangen werden konnten. Doch erst Steve Jobs machte das Handy wirklich smart – und unseren Alltag zu einem anderen.
Das gelang ihm nur, weil er – wie er an besagtem 9. Januar 2007 selber sagte – drei Geräte in eines packte: ein iPod mit Touchscreen, ein Mobiltelefon und ein Internet-Kommunikationsgerät.
Der Touchscreen ermöglichte, wie die Maus beim Macintosh, eine direkte und intuitive Bedienung. Es gab zwar schon vor dem iPhone portable Geräte mit berührungsempfindlichen Bildschirmen; bereits der Simon Personal Communicator von IBM aus dem Jahr 1994 liess sich so steuern. Doch das iPhone verfügte über die Multi-Touch-Technologie, erkannte also mehrere Finger gleichzeitig auf dem Bildschirm; und bot auch darüber hinaus ein unvergleichlich flüssiges Interaktionserlebnis.
Dass Jobs das Mobiltelefon «revolutionierte» und nicht bloss den iPod Touch erfand, war ein cleverer Schachzug – obwohl die Telefon-Funktion heute eines der entbehrlichsten Features ist und Messenger-Apps und Kamera für digital Natives ungleich wichtiger geworden sind. Doch wenn Jobs den Computer für die Hosentasche erfunden hätte, so hätte er den Menschen ein neues Gerät aufgezwängt; mit dem iPhone ersetzte er ihnen bloss das ausgediente Handy. Das geht widerstandsloser.
Und dann wäre da – als Drittes – das Internet-Kommunikationsgerät. Der sperrige Name steht für die eigentliche Revolution des iPhones: das mobile Internet. Ein Gerät in der Tasche zu haben, mit dem man, egal, wo man sich gerade befindet, Zugang zum weltumspannenden Informationsnetz hat, hat unser Leben mindestens so stark verändert wie die Entwicklung des Internets selbst.
Das Internet vernetzt die Menschen auf der ganzen Welt. Doch erst das mobile Internet tut dies in Echtzeit. Das ist ein entscheidender Unterschied. Es ist der Grund dafür, dass das Smartphone unseren Alltag diktiert und alles durchdringt. Nur so wurden all die Dienste möglich, ohne die das moderne Leben nicht mehr aushaltbar wäre: Zugticket lösen mit der SBB-App, sich zur gesuchten Adresse lotsen lassen mit Google Maps, Fahrgelegenheit bestellen mit Uber, die Liebe finden mit Tinder.
Noch unter der warmen Decke liegend, langen wir am Morgen nach dem Handy, die ersten Push-Meldungen der Newsportale stechen uns ins Auge, wir lesen die über Nacht eingegangenen Textnachrichten der Freunde und beantworten vielleicht schon die ersten Geschäftsmails. Und am Abend schenken wir dem Smartphone unsere letzte Aufmerksamkeit, ehe wir es auf den Nachttisch schieben und die Augen schliessen.
Als Steve Jobs vor zehn Jahren das iPhone in die TV-Kameras streckte, war das kaum absehbar. Auch war das mobile Internet nicht annähernd für den sich anbahnenden Datenverkehr vorbereitet – und das iPhone unterstützte nicht einmal den damals neusten Funkstandard 3G. Die ersten Nutzer klagten über verstopfte Netze. Doch die Telekomanbieter erkannten schnell das (wirtschaftliche) Potenzial und investierten Milliarden in ihre Infrastruktur. Erst so kam die Smartphone-Revolution in Fahrt.
Für den ganz grossen Erfolg brauchte es dann nur noch einen Geniestreich Steve Jobs’: den App Store. Es war bei der Lancierung des Ur-iPhones noch nicht möglich, Apps von Programmierern aus aller Welt auf das Gerät zu laden. Erst ein Jahr später wurde der Marktplatz für Applikationen eröffnet. So gab Jobs allen die Möglichkeit, am Erfolg des iPhones teilzunehmen, und liess Apple gleichzeitig an jedem verkauften Programm mitverdienen.
Eineinhalb Jahre später verzeichnete der Store bereits 10 Milliarden Downloads. Bald überstieg die Anzahl Apps die Hunderttausendmarke, dann die magische Grenze von einer Million; heute sind es über zwei Millionen und Apple ist vor allem darum bedacht, alte, dahinrottende Applikationen auszurangieren. Die meisten der Alltagshelfer kann sich keinen Schimmer Beachtung erheischen. Doch hinund wieder startet eine App durch und entwickelt sich zum neuen Milliarden-Dollar-Business: Spotify, Snapchat, Pokémon Go, um nur einige zu nennen. All diese wären ohne das iPhone undenkbar geblieben.
Keine Frage, Steve Jobs war ein Genie. Und trotzdem: Auch ohne ihn hätten wir heute das Smartphone. Ein anderer hätte es erfunden. Es hätte bloss länger gedauert.