In der Kunsthalle St. Gallen holt Maria Anwander lustvoll die Überväter der Kunstgeschichte vom Sockel und stellt die Asche ihres Vaters aus.
Eigentlich ist das, was Maria Anwander tut, ziemlich frech. Sie spaziert ins Museum of Modern Art in New York und verpasst dort einer Wand einen leidenschaftlichen Zungenkuss. Dann klebt sie ein Schild mit der Werkbeschreibung darauf. Der Kuss sei ein Geschenk der Künstlerin an die renommierte Institution, steht dort geschrieben.
In der Kunsthalle St. Gallen, wo die 34jährige Vorarlberger Künstlerin zurzeit ihre bisher grösste Einzelausstellung bestreitet, ist ein Video der illegalen Performance zu sehen. Doch weil Maria Anwander ihre Aktion derart unbekümmert durchführt, erscheint sie nicht provokativ, sondern äusserst sympathisch. Wie komme ich als Künstlerin ins Museum? Wer legt die Kriterien dazu fest? Ist nur museale Kunst gute Kunst? Maria Anwanders Kuss-Aktion wirft komplexe Fragen auf, von denen man sich jedoch gerne zum Nachdenken anregen lässt.
Die Künstlerin hinterfragt in ihrem Schaffen das Kunstsystem, seine Akteure und seine Bedingungen. Dabei geht sie humorvoll und spielerisch vor und macht auch vor der Kunsthalle St. Gallen nicht halt. Indem sie das Büro des Direktors und seiner Mitarbeitenden mitten in den Ausstellungsraum verlegt, zeigt sie, dass die Beschäftigung mit hehrer Kunst häufig nichts anderes als banale Büroarbeit ist. Maria Anwander befriedigt mit dieser Aktion auch ein Stück weit den Voyeurismus der Besucher. Eine herbe Absage an die Schaulust der Besucher erteilt die Künstlerin hingegen im zweiten Ausstellungsraum. Ein Absperrband verwehrt den Zutritt, denn – so steht es auf einem Hinweisschild geschrieben – die dort gezeigten Arbeiten entsprächen möglicherweise nicht den ethischen Vorstellungen der Besucher. Bei jedem, der den Hinweis liest, läuft ein anderer Film im Kopf ab. Doch weil die Neugierde nicht befriedigt wird, ist die Frustration gross: «Der Betrachter ist total auf sich selbst zurückgeworfen», sagt dazu die Künstlerin. Sie kritisiert die Bevormundung des Publikums durch die Museen und weist darauf hin, dass die Kraft einer Arbeit durch solche Warnschilder, die in Museen häufig anzutreffen seien, im Vornherein zerstört werde. Maria Anwander stellt nicht nur die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln von Kunstinstitutionen zur Diskussion, sondern bringt in mehreren Arbeiten auch ihre spezifisch weibliche Sicht auf den Kunstbetrieb ein. Besonders deutlich wird dies in ihren Appropriationen. Dabei schafft sie aus ikonischen Werken der Kunstgeschichte etwas Neues. Aus John Baldessaris berühmter Fotoserie von 1977 «Throwing Three Balls in the Air to Get a Straight Line» entfernt sie die roten Bälle und verpasst der Serie den anzüglichen Titel «Baldessari Without Balls». Auch bei der Arbeit «Fountain (After Sherrie Levine)» holt Maria Anwander einen berühmten Künstler vom Sockel. Bei dieser Appropriation bezieht sich die Künstlerin auf einen Bronzeguss der amerikanischen Künstlerin Sherrie Levine, die ihrerseits Marcel Duchamps berühmtes Readymade, das Urinal von 1917, zum Vorbild genommen hat. Maria Anwander stellt es nun ganz unverfroren aus, ohne Duchamp als ursprünglichen Autor des Werks zu erwähnen. Die Künstlerin macht damit deutlich, wie männerlastig die Kunstgeschichte ist. «Es hat sich noch nicht genug getan», stellt Maria Anwander fest. «Obwohl heute mehrheitlich Frauen Kunst studieren, setzen sich später die Jungs durch.»
Ohne Warnschild kommt schliesslich die intimste und gleichzeitig provokativste Arbeit im letzten Raum aus: Auf einem Tischchen befindet sich ein Häufchen Asche – sie stammt von Maria Anwanders verstorbenem Vater. Der Titel der Arbeit lautet: «Portrait of A Proud Father Smiling». Damit tritt die Arbeit in den Dialog mit jener Frage, die am Beginn und am Ende der Ausstellung steht und sich aus einer zweiteiligen Neonarbeit zusammensetzt. «Why Art Now», liest man im Foyer und im letzten Raum «And What For?» Wozu heute noch Kunst machen? Um den Vater stolz zu machen, um berühmt zu werden oder um die Welt zu verändern? Es ist eine Frage, die Maria Anwander für sich persönlich beantworten muss, an der sie aber mit grossem Gewinn auch ihr Publikum teilhaben lässt.
Kunsthalle St. Gallen, bis 5. Oktober.