Auftritte in Aarau
Zirkus geht auch anders

Aarau ist zum siebten Mal Schauplatz für zeitgenössische Zirkuskunst.

Alice Guldimann
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Jongleur, Seiltänzer, Zauberer: Beim Circus Ronaldo muss der Platzanweiser die Vorstellung übernehmen.

Jongleur, Seiltänzer, Zauberer: Beim Circus Ronaldo muss der Platzanweiser die Vorstellung übernehmen.

Photographer: Vincent Schiphorst

Zirkus kann ganz gut ohne Zelt auskommen. Ohne Manege, ohne Dompteur-Nummern, ohne Zirkus-Musik. Wie, zeigt Roman Müller alle zwei Jahre in Aarau. Sein Festival für zeitgenössische Zirkuskunst «cirqu’», das dieses Jahr zum siebten Mal stattfindet, kombiniert Zirkus mit Theater und Performance-Kunst.

Manche Festival-Teilnehmer sind dabei näher am traditionellen Zirkusbild als andere. Der belgische Circus Ronaldo erzählt die Geschichte eines Platzanweisers, der vor den Trümmern seines Zirkus steht. Die gesamte Zirkusfamilie ist tot. Doch dann kommt das Publikum und der Platzanweiser muss unterhalten. Er erzählt von den Artisten und Zauberern, will zeigen, was sie einst alles konnten. Dabei muss er selbst die zersägte Jungfrau spielen und zündet aus Versehen die Manege an.

Das clownesk gefärbte Stück, das sich mit der Essenz des Zirkus befasst, entspricht genau dem Geschmack des künstlerischen Leiters Müller: «Danny Ronaldo greift hier ein aktuelles Thema auf, denn der traditionelle Zirkus hat es tatsächlich heutzutage nicht mehr leicht.» Wenn Müller sein Festivalprogramm zusammenstellt, hört er ganz auf sein Gefühl. Eine Produktion muss ihm im Gedächtnis bleiben, ihn reinziehen. Der zeitgenössische Zirkus ist verglichen mit dem Theater noch jung, da gibt es nicht Tausende Produktionen, aus denen man auswählen kann. Die meisten internationalen Kompanien sind gemäss Müller in der Schweiz auch eher unbekannt, da es hier wenige Plattformen für sie gebe.

Zirkus-Perlen nach Aarau holen

«Mir ist es wichtig, die Perlen nach Aarau zu holen», so Müller. Eine dieser Perlen ist die Französische Kompanie «L’Association du Vide». Vor fünf Jahren hat er zum ersten Mal gesehen, wie der Artist Fragan Gehlker an seinen Seilen hochklettert, sich fallen lässt und wieder hochklettert, dabei grosse Risiken eingeht. Für Müller war schnell klar, dass diese Produktion perfekt in die Alte Reithalle passt. Bis er seine Vision jedoch umsetzen konnte, vergingen einige Jahre. «Nun bin ich sehr glücklich, dass ‹Le Vide› doch noch nach Aarau kommt.»

Vier Tage vor der Schweizer Premiere hängen neun dicke Seile vom eindrücklichen Gebälk des Raumes. Fragan Gehlker muss sich an die Begebenheiten gewöhnen, sucht sich aber mit Leichtigkeit seinen Weg durch die Dachkonstruktion.

«Cirqu’7» ist die letzte Ausgabe des Festivals, die vor dem Umbau der Alten Reithalle stattfindet. Von Wehmut will Roman Müller allerdings nicht sprechen. «Natürlich wird sich der Raum verändern, aber die Renovation bietet auch eine Chance.» Die technischen Möglichkeiten werden mehr und der Aufwand kleiner. Aber trotz ihres Charmes stosse die Reithalle heute vielerorts an ihre Grenzen, zum Beispiel, was die Bodenbelastung betrifft.

Das neuntägige Zirkus-Festival spielt sich jedoch nicht nur in der Alten Reithalle ab, sondern in der ganzen Stadt. Das FahrAwaY Zirkusspektakel baut sich mit einer grossen, runden Konstruktion aus Stahl und Holz auf dem Bahnhofplatz auf. Vier Artistinnen und Artisten und zwei Musiker zeigen zwei Vorstellungen, die für alle zugänglich sind. Im Kasinopark zeigt ein Duo aus Belgien eine dynamische Jongliernummer, die sich im hinteren Teil eines Lastwagens abspielt. Roman Müller ist es wichtig, im Rahmen von «cirqu’7» auch jungen Schweizer Kompanien eine Bühne zu geben. Eine davon ist die «compagnie.sh» mit ihrer Produktion «Le projet F». Ein Schauspieler, ein Musiker und drei Artisten befassen sich darin mit den Risiken im Zirkus-Metier. Was geschieht, wenn ein Fehler passiert, bei der Raubtiernummer oder beim waghalsigen Sprung aus grosser Höhe?

Mit altem Zirkusbild brechen

«Man darf sich bei einem solchen Festival auch nicht davor fürchten, mit dem klassischen Zirkusbild zu brechen, wie es zum Beispiel ‹Vortex› tut», erzählt Müller. Die französische Performance-Künstlerin Phia Ménard interpretiert darin das schmerzvolle Ringen der menschlichen Seele mit sich selbst.

Wenige Tage vor Festivalbeginn ist die Stimmung bei Müller gelöst: «Ich sitze hier und freue mich einfach», sagt er. Auch wenn dieses Festival eine Art Abschied bedeutet, sieht der Leiter positiv in die Zukunft. «cirq’» wird auch in der neuen Reithalle fester Bestandteil des Programms sein.

«cirqu’7» Vom 31. Mai bis zum 9. Juni an verschiedenen Spielorten in Aarau.