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Willem Dafoe ist ein Anti-Star: Bewegt er sich in seinem neuen Film als Leuchtturmwärter auf Oscar-Kurs?

40 Jahre dabei, selten stand er in den Filmen im Mittelpunkt: Nun könnte seine Rolle im düsteren Drama von Robert Eggers, «The Lighthouse», den US-Schauspieler Willem Dafoe zum ganz grossen Erfolg führen.

Regina Grüter
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Zwei Leuchtturmwärter ringen in «The Lighthouse» mit sich selbst und einander: Willem Dafoe (links) an der Seite von Robert Pattinson.

Zwei Leuchtturmwärter ringen in «The Lighthouse» mit sich selbst und einander: Willem Dafoe (links) an der Seite von Robert Pattinson.

CH Media

Willem Dafoe, Zahnlücke, hohe Wangenknochen, warme Augen, sagt nie «this is ­great», wie das viele seiner Berufskollegen tun. Der amerikanische Schauspieler macht seine Begeisterung für eine Filmrolle in Interviews immer an konkreten Dingen fest, hört aufmerksam zu und antwortet präzise. Und sein Enthusiasmus ist jeweils gross. So war das auch mit Robert Eggers «The Lighthouse», der seit gestern im Kino läuft.

Dafoe gibt auch nichts auf grosse Namen. Der heute 36-jährige Eggers hatte 2015 den Horrorfilm «The Witch» ins Kino gebracht, sein Debüt. Den hatte Dafoe gesehen, ohne überhaupt etwas vom Hype um den Film mitbekommen zu haben. Fasziniert von dessen Filmsprache sagte er zu seinen Vertretern: «Diesen Kerl möchte ich kennenlernen».

Darum geht es in «The Lighthouse»

Danach ging alles sehr schnell. Eggers wollte Willem Dafoe und Robert Pattinson in seinem neuen Film. An dessen Seite spielt Dafoe nun im naturalistischen Fantasy-Psycho-­Zweipersonenspiel den alten Leuchtturmwärter. Die beiden unterschiedlichen Charaktere ringen auf einer entlegenen Insel im Neuengland der 1890er-Jahre um ihre psychische Gesundheit, während sie den Elementen, einander und nicht zuletzt sich selbst ausgeliefert sind.

Eingefangen ist das in grossartigen Schwarz-Weiss-Bildern und mit speziellen Linsen. Die Gesichter werden dabei zu düsteren Fratzen, während der Himmel umso heller erscheint. All das habe seinem Sinn für Abenteuer entsprochen, sagt der 64-jährige Dafoe im Interview mit der «Los Angeles Times». Zum in gehobener, rhythmischer Sprache geschriebenen Drehbuch konnte er nur noch Ja sagen.

Denkt von einem Film zum nächsten

Dafoe denkt nicht, was könnte ich als Nächstes für meine Karriere tun, er denkt in künstlerischen Kategorien. Er fühlt sich von der Arbeit bestimmter Regisseure angezogen und ist sich nicht zu schade, nach einer Hauptrolle im nächsten Film die Nebenrolle zu spielen.

Wiederholt hat er mit Regiegrössen wie Paul Schrader, Wes Anderson und Lars von Trier zusammengearbeitet. Diese Neugierde und Faszination für das Werk anderer sei es, was einem als Schauspieler dazu antreibe, weiterzumachen, sagt er. Man müsse sich manchmal selber zurücknehmen. Er will einfach Teil von guten Filmen sein und ordnet sich der Vision des Regisseurs unter.

Stationen: Vietnam, Anti-Christ, van Gogh

Überhaupt waren es Nebenrollen, die ihm drei seiner bisher vier Oscarnominierungen einbrachten: «Platoon», «Shadow of the Vampire» und «The Florida Project». Allein diese Rollen zeigen auf, wie breit Willem Dafoes Spektrum ist: der wohlwollende Sergeant in Oliver Stones Vietnamdrama, Max Schreck alias Nosferatu in der Verfilmung der Dreharbeiten von Friedrich Wilhelm Murnaus Stummfilmklassiker und jüngst der gutherzige Motelmanager in Sean Bakers Sozialdrama.

Dieses Jahr folgte die erste Nomination als Hauptdarsteller: als wahnhafter Vincent van Gogh im Schaffensrausch in Julian Schnabels «At Eternity’s Gate».

Sogar Jesus Christus hat er gespielt, in Martin Scorseses umstrittenen «The Last Temptation of Christ». Er ging und geht immer wieder an Grenzen, besonders in Lars von Triers filmischem Albtraum «Antichrist».

Diese Rollen widerlegen das Bösewicht-Klischee, das Dafoe anhaftet. «Wer meine Filme wirklich kennt, der sieht, dass ich in Wahrheit oft gute Typen spiele.» Sie sind zwar Aussenseiter, seltsam möglicherweise, vielleicht gar kriminell, aber sie wollen das Richtige tun.

Obwohl ganz klar dem Independentkino und dem Autorenfilm zugewandt, lässt sich Dafoe immer mal wieder für einen Blockbuster begeistern. «Spider-Man» war so einer, und sein Grüner Kobold mit dem dämonischen Lachen hat neben «Speed 2» – einer der wenigen Fehltritte – und «Wild at Heart» wohl viel zur Bösewicht-Typisierung beigetragen. Oder der Pixar-Film «Finding Nemo», worin er Halfterfisch Gill seine Stimme lieh. Da muss einfach jemand sein, der dafür brennt, eine Geschichte zu erzählen.

Leidenschaft fürs ­Handgemachte

Den jungen «Lighthouse»-Regisseur Eggers und den erfahrenen Dafoe verbindet nicht nur die Leidenschaft fürs handgemachte Kino. Beide machten in ihrer Jugend experimentelles Theater – Dafoe ist immer noch Mitglied der New Yorker Kollektivs The Wooster Group, welches er 1977 mitgründete.

Auch sind sie beide im Nordosten der USA aufgewachsen, Dafoe in Wisconsin, Eggers in New Hampshire in der Region Neuengland, wo auch «The Lighthouse» spielt.

Dass Dafoe nun für seine Rolle als so erhaben fluchender Leuchtturmwärter für einen Oscar nominiert wird, ist wahrscheinlich. Ein Goldmännchen in Willem Dafoes Hand wäre auch ein Statement für den Autorenfilm.

«The Lighthouse» (CAN/USA 2019, 109 Minuten). R: Robert Eggers. Jetzt im Kino. Am 12. Dezember kommt mit Edward Nortons 50er-Jahre-Gangsterdrama «Motherless Brooklyn» ein weiterer vielversprechender Film mit Willem Dafoe ins Kino.