Die Erzählung «Im Meer treibt die Welt» von Ruth Erat ist auch ein Text über die Brüchigkeit der menschlichen Existenz. Und der Arboner Autorin ist eine Parabel über die Grenzen des Erkennens gelungen.
Es ist ihr viertes in einem Verlag publiziertes Buch, und es ist ein beunruhigendes Buch. Die Autorin Ruth Erat, die viele Jahre in Rheineck lebte und heute in Arbon zu Hause ist, lässt ihren (ersten männlichen) Helden sich inmitten einer Welt völliger Brüchigkeit wiederfinden. Moritz Wandeler heisst er, und das Wort Wandel steckt wohl nicht umsonst in seinem Nachnamen.
Moritz Wandeler heisst er, und das Wort Wandel steckt wohl nicht umsonst in seinem Nachnamen.
In diesen rasant sich wandelnden Zeiten sind zu Beginn des Buches die Bügelfalten des biederen Anlageberaters noch in Ordnung, später verlieren sie ihre Perfektion immer mehr. Sich mit Zahlen, Kurven, Diagrammen in Scheinsicherheit zu wiegen, die Illusion überschaubarer Ordnung aufrechtzuerhalten, das gelingt Wandeler immer weniger.
Er ist ein Held, der sich Stück für Stück in seiner Lächerlichkeit erkennt: Warum lässt sich scheinbar alle Welt darauf ein, «sich im Nichtbewältigbaren abzumühen, in Anstrengungen zu stürzen, die sich ob dem Ausmass der Ansprüche ins Hilflose und Lachhafte verwandeln», fragt sich Wandeler, der als Figur für den heutigen Menschen stehen mag, der mehr denn je gefordert ist, Wichtiges von Unwichtigem, konkrete Realität von digitaler «Wirklichkeit» zu unterscheiden.
Moritz Wandeler sucht Antworten, indem er, sich treiben lassend, ans Mittelmeer fährt, nach Menton, einer Grenzstadt zu Italien. «Im Meer treibt die Welt» heisst das Buch der 68-jährigen Autorin. Über das Rätsel des Meeres, das heute aber auch Plastik und tote Flüchtlinge anschwemmt, dem Rätsel des Menschen, seiner Frage nach einem sinnvollen Dasein nachzugehen, das ist es, was sich der Anlageberater wünscht, was ihm aber nicht gelingt.
Grenzen, das heisst in dieser dichten, oft fast ein wenig atemlos machenden, packenden, aber nicht einfach zu verdauenden Erzählung auch die Grenzen der Wahrnehmung und des Erkennens immer wieder zu akzeptieren. «Wandeler fühlte sich zunehmend wie an den Rand gespült», schreibt Ruth Erat. «Das ist der Rand, sagte er sich. Hier vernichtete sich alles, was ich erkenne. Darüber hinaus ist nicht zu gehen.»
Letztlich ist Ruth Erats neues Buch, das im Frauenfelder Waldgut Verlag erscheint, auch eines über die Grenzen der Kommunikation im Zeitalter medialer Überflutung und belastender ständiger Erreichbarkeit. Ruth Erat spricht in diesem Kontext auch von der Aussichtslosigkeit: «Der Mensch ist heute angekommen im Unbewältigbaren einer medialen Welt, eines vielschichtigen und Grenzen hinter sich lassenden Gesprächs, das uns stetig denunziert, mit Unwahrheiten beliefert, unsinnig daherschwätzt, Katastrophen meldet», verdeutlicht sie im Gespräch.
«Der Mensch ist heute angekommen im Unbewältigbaren einer medialen Welt, eines vielschichtigen und Grenzen hinter sich lassenden Gesprächs, das uns stetig denunziert, mit Unwahrheiten beliefert, unsinnig daherschwätzt, Katastrophen meldet», verdeutlicht sie im Gespräch.
«Im Meer treibt die Welt», aber auch das Meer gibt keine Antworten auf die Welt, das merkt der Held mehr und mehr. Die Erzählung über einen Menschen, der sich seiner Bedeutungslosigkeit mit jeder Buchseite bewusster wird, scheint erst einmal recht hoffnungslos. Aber in der Schonungslosigkeit liegt vielleicht etwas den Leser Wachrüttelndes: über echte Kommunikation nachzudenken, dabei aber auch das Rätselhafte des Menschseins stehen zu lassen.
Zu den besten Passagen gehören Ruth Erats Ausflüge in die Kindheit, in eine Welt unschuldigen Fragens und Entdeckens. «Kinder erleben die Welt noch als Rätsel, sie haben noch nicht resigniert», sagt die Autorin. Aber auch in den Kindheitsträumen findet ihr Held keinen Trost.
Buchvernissage: Mi, 17. 4., 20 Uhr, Parfin de Siècle, St. Gallen; Ruth Erats Buch «Im Meer treibt die Welt» erscheint im Waldgut Verlag.