«Die Bremer Stadtmusikanten», neu interpretiert, bereitet als Konstanzer «Weihnachtsmärchen» Vergnügen. Und feiert, wie sich Vielfalt zu einem wunderbar funktionierenden Gesamtorganismus fügen kann.
Die Märchenwelt gehört schönen Prinzessinnen, die von edlen Prinzen gerettet werden. Aber wollen wir das noch? Christoph Nix verantwortet in seiner letzten Konstanzer Spielzeit das klassische «Weihnachtsmärchen» auch als Autor, und das thematisiert nun Geschöpfe, die aus dem Raster gefallen sind. Als da wären: ein Esel, ein Hund, eine Katze und ein Hahn. Bekannt ist das Märchen als «Die Bremer Stadtmusikanten».
Eine lustige Geschichte mag man nicht erwarten, beginnt sie doch damit, dass die vier Tiere aus schierer Todesangst das Weite suchen. Auf der Konstanzer Bühne ist dann jedoch eine Entwicklungsgeschichte zu verfolgen, die rundum Spass macht. Keine Tränen bei den kleinsten Theatergängern, dafür viel Gelächter und Kurzweil.
Das fängt mit einem Esel an, dessen Puschelohren wie zum Kraulen geschaffen sind (Kostüme: Uschi Haug). Jonas Pätzold verleiht ihm dazu diesen zwischen Verwunderung und Traurigkeit changierenden Blick und staksige Beine. Nicht nur das Alter, auch der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, so dass sich bald ein Traktor aus dem Unterboden auf die Bühne erhebt.
Und während der Bühnenprospekt noch die heile Welt mit weiten Feldern zeigt, verpestet der Traktor schon die Luft. Immerhin: Der Müller macht sich Gedanken über sein altes Grauchen. Dem ist die Sache indes unheimlich, es macht sich vom Acker.
Noch mehr Schwung in die Bude kommt mit dem Jäger und seinem Hund, der mit André Rohde eine gute Figur macht, zumal er wie ein Wilder Stöckchen apportiert. Gegerbtes Fell in Form einer Lederhose sowie ein wagemutiges Käppi mit integrierten Schlappohren machen «das Tier» durchaus selbst schon zum Hingucker.
Wobei André Rohde Draufgängertum, Naivität und Ängstlichkeit jeweils sehr schön in Körpersprache übersetzt. Mehr als Schmunzeln lässt sich bei der Begegnung mit einer wunderschönen, rosa Pudeldame – ein Vorfall, der den Jäger erzürnt. Zeit, getrennte Wege zu gehen.
Etwas Bühnentechnik, und schon befinden sich Esel und Hund auf dem Dach einer aus dem Unterboden sich erhebenden Wohnung, aus der ein verwöhntes Kätzchen als «Scheidungswaise» auf die Strasse geworfen wird (Svenja Koch). Was für eine Herausforderung für unseren Jagdhund! Zumal sich die junge Dame zunächst durchaus ziert, ein guter «Kumpel» zu sein.
Dass sich Vielfalt zu einem wunderbar funktionierenden Gesamtorganismus fügen kann, wird abschliessend durch den Hahn bewiesen, der sich durchaus als «Gockel» aufspielt (Florian Rummel). Bis ihm klar wird, dass die Hausfrau eine Hühnersuppe kochen will. In diesem Fall ist es der Hausherr, der mit der Axt zögert und dadurch dem punkigen Rotschopf zur Flucht verhilft. Das Quartett ist vollzählig. Seine Wanderung («Seltsam, im Nebel zu wandern»: Hermann Hesse als Stichwortgeber) und die Vertreibung der Räuber sind letztlich die geringsten Abenteuer.
Die Inszenierung von Michael Bleiziffer lebt vom fröhlich agierenden Ensemble, das sich auch der live gespielten Musik des Thurgauers Frédéric Bolli gesanglich annimmt. Mit viel Liebe zum Detail punkten die Kostüme, und die Bühne beeindruckt durch die projizierten Prospekte, deren grafische Übermalungen von Fotos künstlerische Qualität zeigen (Bühne: Bozena Szlachta).
Viele kleine ironische Reminiszenzen adressieren Erwachsene. Sei es die Abwandlung von Grönemeyers «Männer», sei es ein Rotkäppchen, das hier nichts zu suchen hat und hinter der Bühne dem – eigentlich vom Hund vertriebenen – Wolf zum Opfer fällt, oder die eine oder andere Kampfansage an das Establishment mit aktuellem Bezug: «Ich bin hier und ich bin laut, weil ihr mir die Zukunft klaut.»
So kann man sich Märchen doch gefallen lassen. Und wenn sie nicht gestorben sind...
Weitere Vorstellungen bis 29.12.2019, Stadttheater Konstanz