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Kultur
Der Mundart-Autor Ernst Burren blickt im schwermütigen Geschichtenband «I däm Auter no nes Gschleipf» seinen Figuren in die verknorzten Seelen.
Schon im Buchtitel hört man das kopfschüttelnde Missfallen der biederen Volksmeinung: Pfui, so was gehöre sich doch nicht, so spät im Leben noch eine Liebschaft anfangen – in diesem Alter! «Es Gschleipf» tönt schliesslich bünzlihaft abschätzig. Ernst Burren zeigt hier seine Meisterschaft, den einfachen Leuten aufs Maul zu schauen und Biederkeit leise zu verspotten. Mit seiner Mentalitätsforschung kommt er seit Jahrzehnten sprachlich ungewöhnlich nahe an seine Figuren, die sich dem Erzähler in nachbarschaftlicher Plauderei anvertrauen. Die Mundart hilft ihm dabei enorm.
Ironischerweise entpuppt sich das missmutige, neidische Schimpfen in der kurzen Erzählung «Bettmeraup» als berechtigte Warnung. Denn der alte Ueli fällt auf einen weiblichen Blaubart herein. Barbara bringt einen Mann um den anderen ins Grab – ausgerechnet auf der Bettmeralp, wo den älteren Herren das Herz versagt vor Liebe und dünner Höhenluft. Es ist eine jener Geschichten, derentwegen man Burren als tiefsinnig-humorvollen Antiheimatdichter liebt.
Leider bleiben solche überraschenden Wendungen, bleibt Ironie, Groteske und schwarzer, trockener Humor, die Burrens Erzählungen sonst als charmanter Blick in Seelenabgründe auszeichnen, in diesem Erzählband allzu selten. Über weite Strecken herrscht ein schwermütiger Ton vor: Todesfälle, Krebs, Depressionen, Betrug, vernachlässigte Kinder, Verbitterung im Alter, Bauern-Not und Lehrer–Burnout.
Man kennt die Szenerien aus früheren Büchern von Ernst Burren. Im letzten Roman «Dr Chlaueputzer trinkt nume Orangschina» hatte der Solothurner Schriftsteller dem Leser immer wieder noch ein Schmunzeln geschenkt: Über Jasmin, die sich ein Kind von der dänischen Samenbank bestellt; über Erika, die nicht 93 werden will, weil man dann zu viele Krankheiten durchmachen müsse. Im neuen Erzählband gönnt uns Burren kaum eine Atempause, schon kommt der nächste Krebs, die Depressionen häufen sich. Und dann seufzt Lorli stellvertretend für alle Figuren erschöpft: «Was chunnt ächt no aues.» Ja, man muss sich als Leser während der Lektüre selbst ein wenig vor so viel Altersschwermut schützen.
Die wechselnden Erzähler kommen immer mal wieder mit simpler, selbstgefälliger Moral daher: Mal haben sie in der Bescheidenheit eine Zufriedenheit gelernt, dann beklagen sie den kompromisslosen Egotrip der Menschen und lassen das Jammern von Bauern und Lehrern über die Veränderung der Welt kommentarlos stehen. In diesen Geschichten fehlen die Pointen.
Eine Qualität des Buches: Burren holt wieder die ganze Welt in die dörflichen Köpfe und Wünsche und gelegentlich blitzen Schalk und Erfindungslust des Autors durch.
Wenn Heiri sich nach fünfzig Ehejahren von seiner Frau trennen will, um ein paar Jahre mit einer japanischen Silikonpuppe zu leben; wenn die von ihrer Ehe frustrierte und naive Manuela auf einen rumänischen Internetbetrüger reinfällt, der sich als amerikanischer General ausgibt. Dann zeichnet Ernst Burren die Schweiz als Groteske und man mag sich mit der Schwermut dieses Buches wieder versöhnen.