Die «International Performance Art Giswil» mobilisierte am Samstag die «Wanderlust» der Besucher. Nach dem Herumschweifen in der berückenden Landschaft hallten vier Performances in der Turbinenhalle nach.
Die ästhetische «Turbine» wird zuerst links liegen gelassen. Zuhinterst in der Giswiler Aaried-Ebene befindet sich die 90 Meter lange, 12 Meter breite und 12 Meter hohe Halle der Elektrizitätswerke Obwalden. Dort fand 1998 das erste Performance-Festival statt. Eine internationale Gesellschaft versammelte sich. Und die Kraftwerkzentrale strahlte gleich weit über die Szene hinaus. Ein präziser Ton oder eine kleine Aktion im weiten Raum genügte bereits, um die Anwesenden zu elektrisieren.
Vor vier Jahren übergaben Monika Günther und Ruedi Schill die künstlerische Leitung Andrea Saemann. Die Performancekünstlerin und Netzwerkerin aus Basel experimentiert nun mit Vermittlungsarten: Letztes Jahr integrierte sie Einheimische ins Geschehen, einige Performances fanden im Dorf statt. Am Samstag, beim 18. Festival, treffen sich weit über hundert Interessierte mit Rucksäcken und Wanderschuhen beim Bahnhof Giswil: Das Gelände um die Turbine soll vorgängig performativ erkundet werden. 12 Uhr ist’s, die Sonne scheint. Vier Möglichkeiten à fünf Stunden stehen zur Auswahl:
1. Mit dem ehemaligen Kantonsoberförster Peter Lienert und den Performerinnen Nicole Buchmann und Karin Dähler auf einen informativen Rundgang mit Feuer und Wein.
2. Mit Künstlerin Eliane Rutishauser und Kinderarzt Beat de Roche auf eine einfachere Wanderung durch alle Zeitebenen.
3. Mit Tanz-Performerin Milena Buckel auf einen hügeligeren Weg verschiedene Sagen, Burgen, Erscheinungen erleben.
4. Mit den Künstlern Tina Z’Rotz und Markus Schwander und der Musikerin Rahel Kraft auf eine steile, über längere Zeit abschüssige Wanderung zum Thema «Wasserfall und Wunder».
Wir wählen die schwierigste Wanderung mit beschränkter Teilnehmerzahl. Vielleicht warten nebst der Exklusivität risikoreiche Performances auf. 15 Leute werden auf eine Anhöhe zwischen dem Sarnersee und Lungerersee chauffiert. Dort verteilen Z’Rotz und Schwander bunte Brillen. Je nach Farbe erscheint die Landschaft in einem anderen Licht. Zusammen mit der Stille – Schweigen ist angesagt! – soll sich die Wahrnehmung noch verstärken. Tatsächlich wirkt der bewaldete Steilhang bald wie Virtual Reality. Der winzige Tunnel, der zum Wasserfall Steibi führt, beeindruckt.
Während die Gruppe schön im Kreis neben dem Tunnel picknickt, schert ein blasser Mann mit grünen Turnschuhen aus und klettert ein rutschiges Gelände hoch. Eine erste Performance? Nein. Er möge es, mit Händen und Füssen eine neue Umgebung zu erkunden, sagt der junge Kurator aus Moskau. In der «berauschenden Natur» wird er später einen riesigen Steinpilz finden.
Via abenteuerliche Alutreppen und kleine Holzbrücken pilgert die Gruppe weiter zur Kapelle im Sakramentswald hoch. Am wundersamen Ort hat die Musikerin Rahel Kraft kleine Boxen installiert. Einzelne Wörter, die frühere Kirchengänger in ein Dankesbuch geschrieben haben, geistern nun durch den dunklen Raum: Hoffnung, Einfordern, Geben, uneingeschränkt, Traum etc. Die Worte gehen in Klänge über, vermischen sich mit dem Rauschen, das von einer Quelle via Mikrofon in die Kapelle geleitet wird.
Man ist froh, um fünf Uhr in der «Turbine» anzukommen. Bei Älplermagronen lässt man sich die Erlebnisse der anderen erzählen. Bis in der Halle die Performances starten.
Die erste wäre allein mit der Stimme von Rahel Kraft noch eindrücklicher gewesen – trotz gelungener Aktion des Künstlerpaares am Hellraumprojektor. Nach langem Umbau schreitet eine weiss gekleidete Frau (Nicole Buchmann) durch den mit Rechaud-Kerzen erhellten Raum. Sie zieht eine Kette aus Wolle und Glasfläschchen mit roter Flüssigkeit hinter sich her. Diese legt sie auf ein weisses Tuch. Mit einem Stein zertrümmert sie die Kette, worauf sich der Stoff verfärbt. Am anderen Ende erscheint eine Frau im schwarzen Gewand (Karin Dähler). An ihrem Körper sind sechs Glocken wie Fesseln angebracht. Doch sie weiss sich zu befreien, bimmelt sich in einem sakralen Rhythmus frei. Sagenhaft!
Die Zuschauer werden zur «Ruine» hinter der Turbine geleitet. Dort steht Milena Buckel starr im Scheinwerferlicht. Kaum haben sich alle um sie versammelt, entschwindet sie in die Halle, worauf ihr alle wieder folgen. Sie nimmt einen Musikapparat aus dem Korb und stellt ihn auf den Boden. Folklore hallt durch den Raum. Die Zuschauer bleiben stehen, während die Frau sich aus dem Raum beamt. Ein Scheinwerfer genügt, um die bizarre Maske der letzten Darstellerin (Eliane Rutishauser) ins Gedächtnis zu brennen. Rhythmisch klopft sie auf das in Gold gekleidete Haupt. Was sie damit genau meint, bleibt ein Geheimnis.