Die jungen Voyeure gehen zusammen ins Theater

Im Februar haben die Voyeure St. Gallen zusammengefunden. Gemeinsam schauen sie Stücke an, erkunden die Szene und diskutieren über das Gesehene. Bislang waren sie eine lockere Gruppe, im Herbst beginnt ihre erste richtige Saison.

Bettina Kugler
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Das letzte Treffen der Voyeure in dieser Saison: Auf dem Programm stand «Adams Äpfel» am Theater St. Gallen. (Bild: Michel Canonica)

Das letzte Treffen der Voyeure in dieser Saison: Auf dem Programm stand «Adams Äpfel» am Theater St. Gallen. (Bild: Michel Canonica)

Gehört das jetzt schon zum Stück, oder kennt der komische Typ in Dreiviertelhosen zufällig die Leute, denen er überschwänglich die Hand schüttelt? Es brauchte ein paar Sekunden, bis es «klick» gemacht hat – in diesem Punkt sind sich nach der Vorstellung alle in der Runde einig. Gesehen haben sie «Adams Äpfel» am Theater St. Gallen. Natascha und Jana, Tobias, Tamea, Momoko stehen nicht mit Cüpli im Foyer, wie es Theaterabonnenten gern tun. Der Abend ist fast schon sommerlich warm; also haben sie es sich draussen im Park auf der Treppe gemütlich gemacht. Rahel hat Getränke dabei; sie reichen kleine Snacks herum und tauschen lebhaft Eindrücke aus.

Einmal wöchentlich gemeinsam ins Theater

«Als er mit den frommen Liedern zum Mitklatschen anfing, war es klar», findet Eloisa. Sie studiert in Zürich Dramaturgie, ihr Blick ist nicht mehr ganz so frisch und unverbraucht wie jener der etwas Jüngeren in der Gruppe. «Voyeure» nennen sie sich; in Städten wie Bern, Basel und Zürich gibt es sie schon länger. Jetzt haben die Theaterpädagogin Rahel Flückiger und die Szenografin Helen Prates de Matos einen Ostschweizer Ableger initiiert; Startschuss war am Festival «Jungspund». Da sahen sich die Voyeure gleich mehrere Stücke gemeinsam an, als offene Gruppe. Ab Herbst soll es richtig losgehen, mit wöchentlichen Treffen: dann wollen sie die Theaterlandschaft der Region erkunden, auch Kleinbühnen der freien Szene und Laientheater. Das Angebot richtet sich an junge Leute zwischen 15 und 25 Jahren.

Einige von ihnen spielen beim Jungen Theater mit, andere sind einfach neugierig, wollen gern öfter Stücke anschauen. Einige können sich sogar einen Theaterberuf vorstellen. «Bisher musste ich immer meine Mutter mitschleppen», sagt Tobias lachend. Doch zu so tiefen, auch kontroversen Gesprächen wie mit Gleichaltrigen kommt es dabei dann eher selten.

In der Versuchsphase haben die Voyeure 10 Franken pro Abend gezahlt; künftig sollen sie sich für eine Saison anmelden. 300 Franken kostet das, sämtliche Tickets und Fahrtkosten sind inbegriffen, weitere Interessierte noch gesucht. Förderbeiträge von Pro Helvetia, Kantonen und Stiftungen machen es möglich; zudem erhalten die «Voyeure» Tickets zu ermässigten Preisen. Die Gesprächsrunde danach ist ebenso wichtig wie das Stück selbst, und sie hat kein festes Programm. Je nach Interesse innerhalb der Gruppe kann es das Thema sein, etwa die Realitätsverweigerung des Pfarrers Ivan (das ist der leutselige Mann mit den kurzen Hosen) in «Adams Äpfel», technische Details, das Bühnenbild. Oder es kommen Gäste hinzu – Schauspieler, die Regisseurin oder der Regisseur. In der Pilotphase haben die Organisatorinnen verschiedene Varianten ausprobiert und sich jeweils davon überraschen lassen, was den «Voyeuren» aufgefallen ist, was sie während der Vorstellung und hinterher beschäftigt hat.

Die eigene Wahrnehmung wird ernst genommen

«Sie dürfen ehrlich ihre Meinung äussern; es gibt kein richtig oder falsch», sagt Helen Prates de Matos. Rahel Flückiger pflichtet ihr bei. «Viele haben Angst, etwas nicht zu verstehen. Davon wollen wir wegkommen.» Die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen, sich eine Meinung zu bilden und mit anderen darüber zu reden stärke die Persönlichkeit und das demokratische Bewusstsein, davon sind die beiden Theaterfrauen überzeugt. Sie wollen nicht zu viel vorgeben, lieber zum Sehen animieren und das Gespräch moderieren. Nach «Adams Äpfel» gibt es reichlich Stoff zum Nachdenken, erst recht nach der Diskussionsrunde im Mondschein: über die Figuren Adam und Ivan, das Spiel mit dem Publikum, die Darstellung von Gewalt, die Komik des Stücks. Eine gute Wahl, finden alle. Und merken, dass sie als Voyeure in den letzten Monaten die Sinne und ihre Meinung schon geschärft haben.

Kontakt

Neuer Saisonstart im September. 

st.gallen@dievoyeure.ch, Informationen: dievoyeure.ch